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Die Neugestaltung der Bildungsempfehlungen – kein Schritt nach vorn

Der Freistaat Sachsen muss die Regularien für die Bildungsempfehlung ändern. Herausgekommen ist ein Gesetzentwurf, der einiges anders macht, aber nichts besser.

Eine der wichtigsten Entscheidungen im Leben unserer Kinder ist die Wahl des richtigen Bildungsweges. Während viele Bundesländern (z.B. Sachsen-Anhalt, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen) anerkennen, dass diese Entscheidung ein ursächliches Elternrecht ist, sah die bisherige Praxis in Sachsen anders aus. Innerhalb der Bildungsempfehlung wurde der Zugang zum Gymnasium verwehrt, wenn die Schüler*innen in den Fächern Deutsch, Sachkunde und Mathematik einen strengen Durchschnittswert von 2,0 verfehlen.

Nachdem 2016 das Verwaltungsgericht Dresden Eltern Recht gegeben hatte, die diese Praxis in Frage stellten, war der Freistaat nun gezwungen, eine Neuregelung auf den Weg zu bringen. So bedenklich wie es ist, dass nicht zum ersten Mal die Gerichte grobe Fehlentwicklungen in der sächsischen Bildungspolitik korrigieren mussten, so groß war die Chance, mit einer mutigen und richtungsweisenden Gesetzesnovelle die Elternrechte zu stärken, den Kindern einen chancengleichen und gerechten Zugang zur weiterführenden Bildung zu ermöglichen und die Kollegen an den Schulen zu entlasten. Auch die GEW Sachsen begrüßte, dass jetzt eine verfassungskonforme Lösung die mittlerweile 24jährige offenkundig rechtswidrige Praxis beenden könnte.

Allerdings ist es am Ende wiederum so, wie wir es von der Staatsregierung kennen. Die Chancen wurden vertan und wir haben einen Gesetzentwurf vorliegen, der das Wort „Verschlimmbesserung“ kultiviert.

Warum vertrete ich diese Ansicht? Zunächst einmal bleibt das streng gegliederte Schulwesen im Freistaat bestehen und trägt weiterhin zwangsläufig die Wertung der verschiedenen Schularten in sich. Ein Weg hin zur Zulassung von Gemeinschaftsschulen (im Rahmen der Schulgesetznovelle), die ein längeres gemeinsames Lernen ermöglichen und alle allgemeinbildenden Schulabschlüsse anbieten, hätte zumindest Alternativen aufgezeigt. Der scheinbare Zwang für die Eltern, ihr Kind am Gymnasium anzumelden, wäre entfallen. Der Freistaat hätte Eltern, Schüler und Lehrer entlastet. Wenn Kinder länger gemeinsam lernen, wäre dies ein Ausweg aus der Praxis gewesen, dass eine „Bildungsempfehlung“ in der 4. Klasse viel zu früh abgegeben wird. Der Weg in Richtung Oberschule oder Gymnasium soll aber weiterhin zu einem Zeitpunkt festgelegt werden, der vor dem Beginn des Fachunterrichtes, der Pubertät und oft auch der Entwicklung vielfältiger Interessen und Talente liegt. Natürlich ist es wichtig, den Eltern zu diesem Zeitpunkt eine Rückkopplung zur schulischen Entwicklung ihres Kindes zu geben. Aber es muss eine Bildungsberatung sein, keine Bildungsempfehlung!

In der vorliegenden Fassung des Gesetzes bleibt es dabei, dass der unpädagogische Weg eines strengen Notendurchschnitts die Richtung weisen soll. Allerdings kann ein Notendurchschnitt nicht den Ausschlag über den weiteren Schulweg geben. Zensuren geben keine richtungsweisende Aussage zur Lernkompetenz eines Kindes. Hierzu müsste eine ganzheitliche Betrachtung der Fähigkeiten oder Fertigkeiten herangezogen werden. Im Übrigen liegt der sächsische Schnitt von 2,0 deutlich unter dem der wenigen Bundesländern, die diesen Weg noch gehen!

In der öffentlichen und medialen Bewertung der Novellierung war oft von einer „Stärkung des Elternwillens bzw. –rechts“ zu hören bzw. zu lesen. Doch ist dem wirklich so? Das Gesetz legt fest, dass sich Eltern tatsächlich auch entgegen der Bildungsempfehlung für ein Gymnasium entscheiden können. Dies allerdings nur, wenn sie ein verpflichtendes Beratungsgespräch in Anspruch nehmen und ihr Kind an einer schriftlichen Leistungserhebung teilnimmt.
Für dieses Verfahren stellen sich hierbei mehrere Fragen: Kann solch ein Zwangsgespräch tatsächlich in einer vertrauensvollen und partnerschaftlichen Atmosphäre geführt werden, die für eine Bildungsberatung notwendig wäre? Was bringt ein Gespräch der Eltern mit Lehrer*innen, die das Kind zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht kennen können? Ist damit nicht immer noch die Bildungsempfehlung die Grundlage der Diskussion? Welchen Sinn macht ein schriftlicher Leistungstest, der letzten Endes immer unter einem großen Druck für die Kinder durchgeführt werden wird (durch die Erwartungshaltung der Eltern, der –fremden- Lehrer, ihrer Mitschüler*innen)?

Und nicht zuletzt: Was bedeutet diese Novelle eigentlich für unsere Kolleg*innen? Prinzipiell stellt z.B. das zusätzliche Testverfahren im Kern die Empfehlungen der Grundschullehrer*innen in Frage. Ein einfaches Beratungsgespräch und ein einzelner Test werden hier höher gewichtet als jahrelange Begleitung eines Kindes? Zudem müssen diese Leistungserhebungen von unseren Kolleg*innen begleitet und ausgewertet werden. Hier droht also wieder eine zusätzliche Belastung im Schulalltag. War im sogenannten „Maßnahmenpaket“ nicht vor kurzem noch von angedachten Entlastungen die Rede?

Letzten Endes muss also festgestellt werden, dass die Neuregelung der Bildungsempfehlung keineswegs Hürden abbaut, sondern eher neue bzw. andere Hürden errichtet. Es wird hier keineswegs der Weg zur Chancengleichheit für die Bildungsbiografien der sächsischen Schüler*innen geebnet. Man setzt weiterhin auf ein strenges Auswahlverfahren für die Kinder und auf die Belastbarkeit unserer Kolleg*innen. Der mögliche Ausweg, ein längeres gemeinsames Lernen der Kinder, wurde in der Anhörung am 20. Dezember 2016 von der CDU lapidar als ein Abweichen von der Thematik disqualifiziert. Es bleibt also scheinbar beim Festhalten am Althergebrachten in der sächsischen Bildungslandschaft. Es bleibt beim fehlenden Mut, notwendige Reformen zumindest anzudenken. So geht also Sachsen? Schade drum!