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Inklusion

Wir alle brauchen das! Plädoyer für mehr inklusions- und förderpädagogische Inhalte im Lehramtsstudium

Seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 durch Bundestag und Bundesrat, verpflichtet sich die Bundesrepublik „die politische, wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu verwirklichen.“ [1]

Das gilt natürlich auch in der Bildung. Inklusivere Bildung, ein inklusives Bildungssystem ist das Ziel. Daraus ergeben sich zwei Fragen: 
1. Was soll ein inklusives Bildungssystem sein oder was heißt eigentlich Inklusion? 2. Wie und vom wem soll und vor allem kann das umgesetzt werden?
Zwei Fragen, auf die es in der föderal organisierten Bundesrepublik mit seiner „Kulturhoheit“ der Länder ca. 32 Antworten gibt.

Wie antwortet Sachsen? Erst einmal recht spät. Erst im Jahr 2016 legte die sächsische Staatsregierung den „Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention“ inklusive eines Kapitels zur (schulischen) Bildung vor. Worin sich eine erste Antwort, nämlich der sächsische Leitgedanke in Bezug auf inklusive schulische Bildung findet: „So viel gemeinsamer Unterricht an der Regelschule wie möglich und so viel Unterricht an der Förderschule wie nötig.“ [2] 

Weiter wird die Wahlfreiheit (SächsSchulG •§ 34) bezüglich der Wahl der Schule, abgesichert durch das sächsische Schulgesetz betont, das die Schulen auch dazu verpflichtet „die vorurteilsfreie Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderungen“ zu fördern und Inklusion als „Ziel der Schulentwicklung aller Schulen“ (SächsSchulG § l Abs. 7) markiert.

Rein rechtlich und „per se“ scheint eine inklusive schulische Bildung in Sachsen allem Anschein nach möglich und, ja, auch gewollt zu sein. Die Frage nach der Umsetzung ist eigentlich auch recht schnell beantwortet: größtenteils durch die Lehrkräfte. Diese müssen Inklusion tagtäglich leben, umsetzen und möglich machen. Dass es dafür natürlich auch entsprechende Ressourcen und Strukturen braucht ist klar, aber wie so oft in der Schule geht ohne die Lehrkraft eigentlich nix.
Inklusionspädagogische Inhalte, also bspw. Binnendifferenzierung, Inklusionstheorien, Schutz- und Risikofaktoren-Modell, Dekonstruktion von Behinderung, entsprechende Wertvorstellungen, stellen mittlerweile eine berufsrelevante Kompetenz dar und müssen entsprechend beherrscht werden. 

Womit sich die zweite Ebene dieser Frage auftut: Können die das? Oder in Bezug auf angehende Lehrkräfte, die Lehramtsstudierenden von heute: Werden wir dafür ausgebildet? – Nein! 
Mit der Ausnahme von angehenden Sonderpädagog*innen vielleicht, was den Lehrkräften in den Regelschulen natürlich reichlich wenig bringt. Was nützen mir schließlich inklusions- und förderpädagogisch toll ausgebildete Sonderpädagog*innen, wenn diese den Schüler*innen 1 – 2 Mal pro Woche für 45 min zur Verfügung stehen und der Lehrkraft zumeist nur zwischen „Tür und Angel“?
Der Soll-Zustand ist also recht klar: Umfangreiche inklusions- und sonderpädagogische Inhalte müssen gut sichtbar (d. h. in Form eines eigenen Moduls) im Curriculum der Bildungswissenschaften verankert werden, wo sich alle Lehramtsstudierenden mit diesen auseinandersetzen können und dürfen. In Sachsen bereits Realität? Leider auch nein.

Blick auf den Ist-Zustand: An der Universität Leipzig bspw. taucht Inklusion in den Modul­beschreibungen der Bildungswissenschaften (BiWi) ganze 2-Mal (!) auf. Im Modul BiWi 1 als eines von 10 Lernzielen, was ca. 2 – 3 Lehrveranstaltungen bedeutet und einmal im Modul BiWi 7, indem es aber nicht verpflichtend ist. [3]
In den Fachdidaktiken sieht es nicht besser aus. Die angehenden Lehrkräfte an der Universität Leipzig sind also weder verpflichtet, in einem angemessenen Umfang inklusionspädagogische Inhalte zu studieren, noch können sie es überhaupt, das Angebot existiert schlicht nicht. Sie werden also schon durch die Mängel ihrer Studienstruktur an der Umsetzung eines Menschenrechtes in ihrem späteren Berufsleben eingeschränkt. Natürlich einerseits auf Kosten aller Schüler*innen, insbesondere derer, die nach sächsischem Verständnis „inkludiert“ werden, aber auch auf Kosten der Lehrkräfte selbst. Das unverschuldete (!) Mehr an Mangel an beruflicher Kompetenz bedeutet in der Praxis ein Mehr an Belastung und Unzufriedenheit, in einem Beruf der im Burnout-Ranking sowieso schon weit oben rangiert. Lehrkräfte werden vor allem über das Lehren, also den Unterricht definiert. Außen- und Selbstwahrnehmung dürften hier ziemlich deckungsgleich sein. 

Sehr pauschal und stark verkürzt: Guter Unterricht gleich gute Lehrkraft. Was aber wenn mir als Lehrkraft eben kein guter Unterricht gelingt, also nicht alle Schüler*innen gut lernen, weil mir die entsprechende Ausbildung fehlt. Unzufriedenheit, Selbstzweifel und Überlastung sind nur zu oft der Beginn eines Weges, an dessen Ende der Abschied aus dem Beruf steht. Mehr inklusionspädagogische Inhalte sind eben nicht nur aus Schüler*innenperspektive bedeutend, sondern ebenso aus Beschäftigtenperspektive. Ein Studium, das seinen Studierenden mehr solche Inhalte zur Verfügung stellt und ihnen entsprechende Kompetenzen abfordert, ist vor allem auch ein nachhaltiges Studium. Stattet es seine Absolvent*innen doch mit Kompetenzen aus, die diesen das spätere Berufsleben erleichtern und damit höchstwahrscheinlich länger in diesem hält.


Eric Scholz
Student Lehramt für Sonderpädagogik

Quellen:
[1] www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/nicht-ohne-uns-ueber-uns-451554
[2] (Aktionsplan der Sächsischen Staatsregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) 2016, S. 44.)
[3] Dies gilt für alle Lehramtsstudiengänge. Exemplarisch Modulbeschreibung Staatsexamen Lehramt an Oberschulen Bildungswissenschaften S. l und 11, Stand 7. Juli 2022.

Veröffentlicht in „Kritisches Lehramtsportfolio“ Nr. 5, Oktober 2022