Zum Inhalt springen

„Gender-Verbot“ in Sachsen

Ein „Erfolg populistischer Nebelkerzen“

Warum Sprachgebrauchsverbote nicht zu demokratischen Gesellschaften pas­sen und das SMK unzulässig in das Selbstbestimmungsrecht eingreift.

Pünktlich zum Beginn der Sommerferien hat das Sächsische Staatsministerium für Kultus (SMK) mit Schreiben vom 6. Juli 2023 (erneut) die Nutzung von Sonderzeichen für geschlechtergerechte Sprache an Schulen verboten. Dem Schreiben zu Folge bedeutet das, dass zwar die Nutzung bestimmter Formen geschlechtergerechter Sprache im Schulbereich durchaus erwünscht ist, beispielsweise in Form binärer Paarformen (Schülerinnen und Schüler), geschlechtsneutraler Begriffe (Kinder, Jugendliche) oder Partizipien (Lernende). Untersagt ist allerdings die Verwendung von Sonderzeichen, die im Amtlichen Regelwerk für die Rechtschreibung nicht vorgesehen sind (Schüler*innen, Schüler:innen, Schüler_innen usw.). Diese Regelung betrifft im Übrigen nicht nur die unmittelbar beim Freistaat Beschäftigten, sondern auch Dritte, die beispielsweise als Trägervereine mittels Honorarverträgen Bildungsarbeit in Form von Projekten an Schulen anbieten. Diese müssen ihre Schreibweisen anpassen. Andernfalls könnten keine Verträge abgeschlossen werden. Welche Konsequenzen Lehrkräften drohen, wenn diese gegen das Verbot des SMK verstoßen, ist noch unklar. 

Inzwischen ist Sachsen nicht mehr das einzige Bundesland, dass unter Berufung auf das Amtliche Regelwerk bestimmte Formen geschlechtergerechter Sprache an Schulen untersagt: Mitte August trat in Sachsen-Anhalt durch das ebenfalls CDU-geführte Kultusministerium eine ähnliche Regelung in Kraft. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es einen Beschluss der Kultusministerkonferenz über Leitlinien zur Sicherung der Chancengleichheit durch geschlechtersensible schulische Bildung und Erziehung aus dem Jahre 2016 gibt. Dort verpflichten sich die Länder u. a., dafür zu sorgen, dass „[…] die mündliche und schriftliche Kommunikation im Unterricht und in außerunterrichtlichen Kontexten geschlechtersensible Formulierungen beachtet […]“ und sich dabei an „Beispielen guter Praxis“ orientiert. Wie der Erlass aus Sachsen zu dieser Selbstverpflichtung der Länder passt, erschließt sich vermutlich nur dem SMK. 
Über den allgemeinen Ärger über das so genannte „Gender-Verbot“ hinaus sind die mutmaßlichen Motive für das Vorgehen des SMK Anlass zu großer Sorge, denn der Erlass ist eingebettet in politische Bestrebungen konservativer, rechts-konservativer und rechtsextremer Kräfte, die Sichtbarkeit und die Akzeptanz von sexueller und insbesondere von geschlechtlicher Vielfalt zurückzudrängen und die Selbstbestimmungsrechte von Frauen und queeren Menschen einzuschränken. Es geht in der sogenannten „Genderdebatte“ im Kern nicht um Fragen der schriftsprachlichen Richtigkeit. Vielmehr ist die Diskussion um Formen geschlechtergerechter Sprache lediglich ein austauschbarer Anlass dafür, bürgerliche Freiheitsrechte von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten in Frage zu stellen und anzugreifen. 

Die Ursache für diese Bestrebungen dürften heteronormative Vorstellungen von Geschlecht und Zusammenleben sein, die eine vermeintliche Verunsicherung durch eine zunehmende Sichtbarkeit von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt als existenzielle Gefahr für das eigene Weltbild sehen. Um diese Gefahr möglichst glaubhaft heraufzubeschwören, wird tief in die Mottenkiste der Vorurteile gegriffen, derer sich bereits vor Jahrzehnten bedient worden ist, um die gesellschaftliche Akzeptanz und die rechtliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Bisexuellen zu verhindern: Angeblich würden Kinder in ihrer Entwicklung beeinträchtigt, weil die sichtbare Vielfalt sie verunsichere und in ihrer Identitätsbildung negativ beeinflussen könnte. Nicht selten wird behauptet, Sichtbarkeit von Vielfalt fördere eine sogenannte „Frühsexualisierung“. Auch pädosexuelle Motive werden durchaus unterstellt. Aus diesem Grund müssten Kinder dementsprechend vor solchen vermeintlich negativen Einflüssen wirksam geschützt werden. Nachdem sich inzwischen offensichtlich gezeigt hat, dass Kinder und Jugendliche durch die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz und rechtliche Gleichstellung von Homo- und Bisexuellen nicht negativ beeinflusst werden (sondern im Gegenteil!), braucht es offenbar nun einen neuen Feind: Die sogenannte „Trans- und GenderLobby“. 

In welche Besorgnis erregende Richtung sich Eingriffe in die sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung von Menschen weiterentwickeln können, zeigt der Blick zu einigen unserer osteuropäischen Nachbarn: In nicht wenigen Ländern gibt es bereits heute so genannte „AntiHomo-Propaganda“-Gesetze, gesetzliche Verbote für geschlechtsangleichende Maßnahmen oder Verbote von gleichgeschlechtlichen Ehen/Partnerschaften. 

Die Jury der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ sowie der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft „Sprache in der Politik e. V.“ haben vor Kurzem ebenfalls Stellung zum sogenannten „Gender-Verbot“ in Sachsen bezogen. Die Stellungnahme wurde von einer Vielzahl namhafter Linguist*innen, die an Hochschulen und Universitäten tätig sind, unterzeichnet. Die Wissenschaftler*innen stellen klar, dass „[…] das Sprechen und die aus ihm abgeleitete Sprache bereits in sich zutiefst demokratische Phänomene [sind]: Grundsätzlich bestimmen Sprecherinnen und Sprecher durch ihren Sprachgebrauch die Regeln der Sprache. Sie verfolgen ihre Ziele, sie geben ihre Intentionen zu erkennen, sie drücken Identitäten und Einstellungen aus.“ Deshalb seien Sprachverbote Instrumente von Diktaturen. Sprachgebrauchsverbote genauso wie -zwänge würden die Meinungsfreiheit einschränken und nicht in demokratische Gesellschaftsordnungen passen. 
Ein Verbot gesellschaftlich inzwischen weit verbreiteter Formen geschlechtergerechter Sprache unter dem Deckmantel der orthografischen Richtigkeit befördert aktiv Ausgrenzung und Diskriminierung und steht im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 18 der Verfassung des Freistaats Sachsen, auf welcher die Grundlagen des Erziehungs- und Bildungsauftrages der Schule laut Schulgesetz u. a. beruhen. Deshalb braucht es jetzt auch ein Einstehen der Mehrheitsgesellschaft für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten. Das heißt auch, dass die beiden anderen Koalitionsparteien in Sachsen, die bisher wenig bis gar nichts zum “Gender-Verbot” in Schulen gesagt haben, sich über allgemeine Anti-AfD-Floskeln hinaus positionieren müssen. Landesregierung und SMK sollten den Fokus ihrer Arbeit darauf legen, dass die Schulen den Erziehungs- und Bildungsauftrag durch das Sächsische Schulgesetz tatsächlich verwirklichen können. 

Das rigorose Vorgehen des SMK in der Frage um geschlechtergerechte Sprache ist bisher beispiellos: Zu keinem Zeitpunkt seit 1990 wurden per Erlass bestimmte Schreibweisen an Schulen verboten. Ganz offensichtlich scheint es sich um ein (weiteres) politisches Ablenkungsmanöver zu handeln, das leider auf dem Rücken von Schüler*innen, Eltern, Beschäftigten und sogar Dritten ausgetragen wird. Denn die Schulen und das gesamte Bildungssystem im Freistaat stehen vor immensen Herausforderungen, für die es zweifellos in der CDU-geführten Landesregierung keine nennenswerten Lösungsansätze gibt. Verursacht sind diese massiven Probleme durch die chronische Unterfinanzierung, die sich inzwischen unabweisbar und ganz deutlich beispielsweise in einem enormen Lehrkräftemangel, überlasteten Pädagog*innen und schlechter materieller Ausstattung der Schulen durch die Schulträger äußert. Damit einhergehend nehmen Bildungsqualität und Bildungsgerechtigkeit beständig ab, was sich zunehmend nicht nur in schlechten Schulleistungen und unzureichenden Kompetenzen von Schüler*innen äußert, sondern auch in immer größer werdender Bildungsungerechtigkeit. 

Der Landesregierung und dem SMK muss die Frage gestellt werden, weshalb das SMK diesen Aufwand betreibt, nur um Gendersternchen, Doppelpunkte oder Unterstriche aus der Schriftsprache der Schulen im Freistaat zu verbannen. Schließlich zeigen die Autor*innen der o. g. Stellungnahme aus linguistischer Perspektive auf, dass „[…] dieses Thema aus linguistischer Sicht eher marginal […] und seine überzogene Bedeutung im medialen und politischen Diskurs selbst ein Erfolg rechtspopulistischer Nebelkerzen [ist].“ 
Die Sächsische Landesregierung und das SMK müssen deshalb den Erlass umgehend zurücknehmen! 
 

AGs LSBTI* und Gleichstellung 
der GEW Sachsen

Kontakt
AG Gleichstellung
in der GEW Sachsen
Adresse Nonnenstr. 58
04229 Leipzig
Kontakt
Axel Stumpf
Leitungsteam AG LSBTI*
Mobil:  0152 5354 2420