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Schule

Offener Brief an die Abgeordnete S. Gockel

In ihrem Redebeitrag im Landtag hat die CDU-Abgeordnete Sandra Gockel am 21. September sächsischen Lehrkräften unrichtige und pauschale Vorwürfe gemacht. Eine Entgegnung von Uschi Kruse, Landesvorsitzende der GEW Sachsen.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete Gockel,

vor einigen Tagen haben Sie in Ihrer ersten Rede im Sächsischen Landtag Stellung zu einem vorliegenden Antrag genommen. Da Ihr Beitrag öffentlich zugänglich ist, äußere auch ich mich in Form eines Offenen Briefes.

Die von Ihnen vorgetragene unsachliche Bewertung der GEW Sachsen wäre für mich noch hinnehmbar. Ihre pauschale Beschimpfung der sächsischen Lehrerschaft und Ihre Vorschläge zur Bekämpfung des Lehrermangels sind es allerdings keinesfalls.

In unerträglicher Weise haben Sie in Ihrer Rede der sächsischen Lehrerschaft

  • fehlende „Bereitschaft auf immer neue Kinder und Elterngenerationen zu reagieren“ quittiert,
  • unterstellt „nicht [über] das gebotene Verständnis“ zu verfügen,
  • „mangelnde Resilienz für den Beruf des Lehrers“ bescheinigt,
  • „fachdidaktische Überprägung” attestiert sowie
  • Leistungsbereitschaft abgesprochen.

Dabei haben Sie den sprichwörtlichen Stammtisch mit Sätzen wie

  • „Der Lehrerberuf ist weder der Zugang zum bedingungslosen Grundgehalt, noch die Fortsetzung der eigenen glücklichen Schulzeit mit anderen Mitteln.“
  • „Jene, die sich heute hinstellen und nur etwas von Überforderung, Work-Life-Balance und die Suche nach Freiräumen für Meditations- und Selbstfindungskurse erzählen, sind selten die Zierde des Berufsstandes.“

bedient.

Als Belege für all die pauschalen und bösartigen Vorwürfe dienen Ihre Erfahrungen als Schulleiterin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn mit Kolleg*innen zusammengetroffen sind, die in Ihrer Gesamtheit dem von Ihnen gezeichneten katastrophalen Bild auch nur ansatzweise entsprechen. Ich kenne jedenfalls niemanden, der glaubt, mit seinem Einkommen seien keine Verpflichtungen verbunden und Ihre Beschreibung von Lehrer*innen, die mehr Interesse an Meditations- und Selbstfindungskursen als an ihrer Arbeit haben, ist eine empörende Beifall heischende Karikatur genau der jungen Menschen, die wir so dringend brauchen.

Sie ignorieren geflissentlich alle Daten von Schulleistungsuntersuchungen, die ohne die hervorragende Arbeit sächsischer Lehrerinnen und Lehrer nicht denkbar wären. Meine Kolleginnen und Kollegen haben sich weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart auf die Aufgaben zurückgezogen, die sie vertraglich schulden.

Ohne all die Unterstützungs- und Förderangebote, die Kontakte zu Schulträgern und Jugendämtern, ohne die Weihnachtsfeiern und Klassenfahrten, ohne all die Debatten zur Schulentwicklung, all die Elternarbeit oder Praktikumsbegleitungen, ohne die Bereitschaft, ein weiteres Jahr als Mentor*in tätig zu werden, wäre das Schulleben in unserem Land deutlich ärmer. Lehrer*innen bringen Kindern Zahnbürsten mit, Lehrer*innen versuchen aus Lernräumen Lebensräume werden zu lassen, Lehrer*innen arbeiten mit Vereinen und Initiativen zusammen usw., usf. Haben Sie all das übersehen oder passte die Darstellung dieser und anderer Mühen einfach nicht in Ihre holzschnittartige Beschreibung einer desolaten Arbeitseinstellung der sächsischen Lehrerschaft?

In Ihrer Stellungnahme im Landtag haben Sie u.a. gesagt:

„Wenn es uns um die Schüler geht (…) muss ich als Lehrer, der in dieser Gesellschaft gut bezahlt ist, auch mich nicht ständig um mich selbst drehen, nicht noch Teilzeit fordern, wenn ich merke, wir haben Fachkräftemangel.“

Diese Aussage bedient nicht nur gängige Klischees, sie zeugt auch von wenig Sachkunde. Ein Blick in vorliegende statistische Daten würde zur Einordnung der Teilzeit bei sächsischen Lehrkräften genügen. Die Quote ist niedriger als in fast allen Bundesländern und sie korreliert sowohl mit dem Alter der Beschäftigten an den Schulen als auch mit dem hohen Frauenanteil. Und da Sie auf das fehlende Verständnis von Menschen hingewiesen haben, die nicht von öffentlichen Mitteln bezahlt werden, mache ich Sie darauf aufmerksam, dass die Teilzeitquote von Frauen über alle Wirtschaftszweige hinweg in Deutschland höher ist als die von Lehrerinnen. 

Übrigens: Wer mehr Vollzeit anreizen will, muss die Belastung reduzieren. Die Absenkung der Unterrichtsverpflichtung führt keineswegs im gleichen Umfang zur Senkung der Arbeitsleistung, das zeigen wissenschaftliche Untersuchungen und das kann jede*r Interessierte beobachten. Die in Sachsen zur Verfügung stehenden Zahlen zeigen auch den Zusammenhang zu der Teilzeit, mit der in den 1990er- und 2000er-Jahren bedarfsbedingte Kündigungen vermieden worden sind. Es ist schon ziemlich dreist, von heute 60-jährigen Kolleg*innen die Vollzeit zu erwarten, die ihnen zwischen ihrem dreißigsten und fünfzigsten Lebensjahr verwehrt war. 

Genau bei diesen älteren Beschäftigten sollen nach Ihrer Auffassung die Arbeitsbedingungen verschlechtert werden. „Altersermäßigungen sind hier aus der Zeit gefallen“, verkündeten Sie in Ihrer Rede. Diejenigen, die – mit allen Auswirkungen auf ihre Rente – oft zwei Jahrzehnte in Teilzeit arbeiten mussten, die lange auf die Ost-West Anpassung und auf höhere Eingruppierungen warten mussten, für die die Verbeamtung nie in Erwägung gezogen wurde, sollen jetzt persönlich für eine verfehlte Personalpolitik bezahlen, die genau die CDU zu verantworten hat, für die Sie jetzt im Landtag sitzen. Das ist nicht nur zutiefst ungerecht, es ist auch völlig kontraproduktiv, weil der Freistaat Interesse daran haben muss, dass diese Kolleg*innen möglichst lange und möglichst motiviert im Schuldienst bleiben. 

Auch K6 und K9 – also Verminderungen beim Einsatz im Kurssystem in der gymnasialen Oberstufe – halten Sie für „aus der Zeit gefallen“. Die Arbeitszeit bemisst sich in zivilisierten Ländern nicht danach, wie viele Menschen gerade verfügbar sind. Auch die Mitarbeiter der von Ihnen zitierten Handwerksbetriebe arbeiten wegen Personalmangels derzeit nicht ständig wöchentlich 10 Stunden mehr. Eine sachliche Bewertung hätte auch die Betrachtung des sehr hohen Regelstundenmaßes an sächsischen Gymnasien im Vergleich zu anderen Bundesländern und von Studien zur Arbeitszeit von Lehrkräften erfordert.

Lehrer*innen arbeiten – so alle bisherigen Resultate – im Jahresverlauf mehr als sonstige Angestellte und Beamte. Die Studien hätten Ihnen auch Aufschluss über das hohe Arbeitsaufkommen von Lehrer*innen an Wochenenden und in den Ferien vermittelt. Obwohl das Schulgesetz seit Jahren in § 40 Absatz 2 eine entsprechende Regelung enthält, schlagen Sie vor, in die unterrichtsfreie Zeit „Fortbildung (…) jenseits des Urlaubsanspruchs [zu verlagern]“. Ich weiß, für die Aussage, Lehrer*innen würden sich an allen Ferientagen eine schöne Zeit machen, erhält man immer Beifall. Angemessen und sachlich richtig ist sie deshalb noch lange nicht.

Sehr geehrte Frau Gockel,

niemand erwartet, dass Sie in Ihrer neuen Aufgabe Sachwalterin der Interessen von Lehrerinnen und Lehrern sind. Von einer Abgeordneten, die über Haushaltspläne und schulgesetzliche Regelungen mitentscheidet, muss man aber Sachlichkeit und Fairness erwarten. Natürlich gibt es unter ca. 30.000 Beschäftigten in jeder Branche Menschen, die ihren Pflichten nicht ausreichend nachkommen. Daraus das Versagen einer ganzen Berufsgruppe abzuleiten und den Generationenkonflikt anzuheizen, verbietet sich für verantwortungsvolle Politik allerdings. Die sächsischen Lehrer*innen sind nicht das Problem des Schulsystems, sondern seine einzige Chance!

Zu einem Dialog mit Ihnen stehe ich gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Uschi Kruse

Landesvorsitzende der GEW Sachsen