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Ergebnisse der bundesweiten Befragung studentischer Beschäftigter an Hochschulen und Forschungseinrichtungen

Jung, akademisch, prekär

Trotz mehr als 40-jähriger Bemühungen ist es aufgrund der Blockadehaltung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) bis heute nicht gelungen, eine Tarifierung für bundesweit ca. 400.000 studentische Beschäftigte zu erreichen.

Im Zuge der Tarifverhandlungen im Herbst 2021 wurde eine „Bestandsaufnahme über die Beschäftigungsbedingungen der studentischen Hilfskräfte“ vereinbart. Die Bestandsaufnahme kann somit als ein erster wichtiger Zwischenschritt zu einer möglichen Tarifierung verstanden werden. Entscheidend für diesen wichtigen Schritt waren vor allem die erfolgreichen Aktivitäten der zahlreichen TVStud-Initiativen im Kontext der bundesweiten Kampagne, die es seit Anfang 2021 gibt.

Immer mehr Studierende gehen einer Erwerbstätigkeit nach, um sich ihren Lebensunterhalt während des Studiums zu sichern. Im Jahr 2016 traf das auf ganze 69 Prozent der Studierenden zu. Der größte Anteil der erwerbstätigen Studierenden arbeitet dabei an einer Hochschule oder Forschungseinrichtung (S. 27). Aufgrund der Blockadehaltung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (und ihrer Vorgänger) ist es trotz mehr als 40jähriger Bemühungen bis heute nicht gelungen, eine Tarifierung der heute bundesweit ca. 400.000 studentischen Beschäftigten zu erreichen. Im Zuge der Tarifverhandlungen zum TV-L im Herbst 2021 wurde jedoch erstmals eine „Bestandsaufnahme über die Beschäftigungsbedingungen der studentischen Hilfskräfte“ mit der TdL vereinbart. Die Bestandsaufnahme kann somit als ein erster wichtiger Zwischenschritt zu einer möglichen Tarifierung verstanden werden. Entscheidend für diesen wichtigen Schritt waren vor allem die erfolgreichen Aktivitäten der zahlreichen TVStud Initiativen im Kontext der bundesweiten Kampagne, die es seit Anfang 2021 gibt.

Die Initiativen haben die Bestandsaufnahme im Anschluss an die Tarifverhandlungen selbst in die Hand genommen und die Studie gemeinsam mit den Gewerkschaften GEW und ver.di und der Abteilung „Wandel der Arbeitsgesellschaft“ des Instituts für Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen durchgeführt. Die Ergebnisse dieser bislang größten bundesweiten Befragung studentischer Beschäftigter, an der insgesamt über 11.000 Beschäftigte teilgenommen haben, liegen nun vor und die Gespräche über die Bestandsaufnahme mit der TdL haben begonnen. Für uns bedeutet das: Es ist genau der richtige Zeitpunkt noch einmal durchzustarten, bis es im Herbst in die nächsten Tarifverhandlungen geht!

Bereits ein Blick in die vorhandene Datenlage lässt erste Deutungen bezüglich der Entwicklung der Beschäftigungsverhältnisse zu. Entgegen anderer Personalgruppen an den Hochschulen, die in etwa gleichem Umfang wie die Gesamtstudierendenzahlen angewachsen sind, gibt es einen überproportionalen Zuwachs an studentischen Beschäftigten. In Hessen und Schleswig-Holstein liegt dieser Zuwachs sogar bei ca. 70 Prozent. Zum einen lässt sich daraus ableiten, dass diese Form der Nebentätigkeit für immer mehr junge Menschen die erste Arbeitserfahrung darstellt. Zum anderen „deutet der überproportionale Zuwachs der studentischen Beschäftigten auf eine zunehmende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse an Hochschulen insofern hin, als dass mehr Tätigkeiten auf die Beschäftigten mit den am wenigstens regulierten Arbeitsverhältnissen und der geringsten Bezahlung verlagert werden“ (S. 23).

Die Studie umfasst 130 Seiten, weshalb nun lediglich ein kleiner Einblick mit Fokus auf Sachsen gegeben wird. Insgesamt haben in Sachsen 766 studentische Beschäftigte an der Umfrage teilgenommen. Davon fallen auf die Universität Leipzig 394, auf die Technische Universität Dresden 265, auf die HTWK 42, auf die Hochschule Mittweida 42 und auf die Technische Universität Bergakademie Freiberg 23 beantwortete Fragebögen (S. 40f.).

 

Soziale Selektion

In der Studie wird sichtbar, dass studentische Beschäftigte überdurchschnittlich häufig aus Akademiker*innenfamilien kommen und die soziale Herkunft nach wie vor ein ausschlaggebender Faktor für ihre Einstellung ist. Bundesweit haben mindestens 61,3 Prozent der Befragten mindestens ein Elternteil mit (Fach-)Hochschulabschluss. Unter den Studierenden traf das im Jahr 2016 insgesamt lediglich auf einen Anteil von 52 Prozent zu. Hinzu kommt, dass 90 Prozent der studentischen Beschäftigten dieser Arbeit primär aus finanziellen Gründen nachgehen. Jedoch ist es so, dass „mit steigendem sozioökonomische[m] Status der Eltern wiederum […] die Qualifizierung in den Vordergrund“ (S. 45) rückt und das Handeln der Studierenden weniger an Finanzfragen geknüpft ist (S. 54). Es muss von den Arbeitgebern endlich anerkannt werden, dass die Arbeit der studentischen Beschäftigten in aller Regel kein netter Zeitvertreib zur individuellen Weiterbildung ist, sondern es sich um ein ernstzunehmendes Lohnarbeitsverhältnis handelt, das vielen Studierenden das Studium überhaupt erst ermöglicht.

Hieran anknüpfend fällt die (In-)Formalität der Zugangswege zu den Stellen auf: Insgesamt sind 60,3 Prozent der Beschäftigten über einen informellen Weg an die Arbeit gekommen, also bspw. über die direkte Ansprache durch ihre Professor*innen. In Sachsen trifft das sogar auf knapp 69,6 Prozent zu. Studierende mit Migrationshintergrund, Frauen und nicht-binäre Studierende sowie diejenigen, deren Eltern einen formal niedrigeren Berufsabschluss haben, geben demgegenüber häufiger an, über eine Ausschreibung an ihre aktuelle Stelle gekommen zu sein (S. 50f.). Der Zugang zu den Stellen wiederum ist vermutlich für viele der Türöffner zur Promotion, denn dreiviertel der Doktorand*innen waren zuvor als studentische/wissenschaftliche Hilfskraft oder Tutor*in angestellt (S. 9). Beim Zugang zu den Stellen lässt sich folglich ein „gleichstellungspolitisches Defizit“ (S. 119) feststellen, welches sich durch die Rekrutierungspraktiken vieler Lehrstühle verstetigt. Die Auswirkung der sozialen Herkunft auf den Zugang zu Stellen als studentische Beschäftigte spielt leider nach wie vor eine entscheidende Rolle.

 

Einkommen und Armutsgefährdung

In Sachsen verdienen studentische Beschäftigte im Schnitt 377,92 Euro pro Monat mit ihrer Tätigkeit (S. 66), welcher sie im Durchschnitt 33,11 Stunden pro Monat laut Vertrag nachgehen (S. 67). Allerdings gehen 30 Prozent der Beschäftigten einer weiteren bezahlten Tätigkeit außerhalb der Hochschule nach (S. 68). Es ist zudem nicht ungewöhnlich, dass Studierende parallel auf mehreren Stellen als studentische*r Beschäftigte*r arbeiten. Das trifft bundesweit auf 43,8 Prozent der Befragten zu (S. 67). Grundsätzlich stellt das Einkommen durch die Tätigkeit als studentische*r Beschäftigte*r die größte Einkommensquelle der Befragten dar – noch vor den Zuwendungen durch die Eltern (S. 69). Es handelt sich somit um das wichtigste Einkommen dieser Studierenden, mit welchem sie sich maßgeblich den Lebensunterhalt während ihres Studiums finanzieren.

In Sachsen standen den studentischen Beschäftigten durchschnittlich 1003,44 Euro pro Monat zur Verfügung (S. 70). In unserem Bundesland haben damit 77,7 der studentischen Beschäftigten weniger als 1251 Euro pro Monat zur Verfügung. Zum Hintergrund: Alleinlebende, mit einem Gesamteinkommen von unter 1251 Euro im Monat gelten in Deutschland als armutsgefährdet. Im Jahr 2021 galten auf dieser Grundlage bundesweit 37,9 Prozent der Gesamtstudierendenschaft als armutsgefährdet und 76,1 Prozent derjenigen, die alleine oder ausschließlich zusammen mit anderen Studierenden wohnten (S. 71f.). Es zeigt sich, dass das Einkommen aus der Tätigkeit als studentische*r Beschäftigte*r bei weitem nicht ausreicht, um die Existenz der Studierenden zu sichern. Wir brauchen deshalb dringend existenzsichernde Löhne und jährliche Lohnerhöhungen!

Im Durchschnitt sind die Verträge von studentischen Beschäftigten in Sachsen 5,4 Monate kurz, wobei jedoch 41,6 Prozent der Vertragslaufzeiten sogar kürzer als 5 Monate sind (S.73). Dennoch arbeiten die Studienteilnehmer*innen (bundesweit) im Schnitt bereits seit 20,2 Monaten auf der gleichen Stelle und schließen mit ihrem Arbeitgeber im Schnitt 4,6 Verträge in Folge ab (S. 77). Oft handelt es sich dabei immer wieder um die gleiche Stelle – im Durchschnitt sind die studentischen Beschäftigten „das dritte Mal in Folge auf derselben Stelle“ (S. 60) angestellt. Neben den kurzen Vertragslaufzeiten gibt es ein weiteres Problem: Ein großer Teil der Befragten hat „schon einmal eine Zeit lang ohne schriftlichen Arbeitsvertrag gearbeitet“ (S. 78). In Sachsen trifft das auf 19,6 Prozent der Befragten zu, wobei diese im Durchschnitt 2,29 Monate ohne schriftlichen Arbeitsvertrag arbeiteten (S. 78f.). 17,5 Prozent taten dies unbezahlt vor offiziellem Vertragsbeginn, 11,3 Prozent unbezahlt über den offiziellen Vertragszeitraum hinaus und 11,2 Prozent erhielten eine verspätete Bezahlung, die nicht vertraglich vereinbart war. Die Beschäftigten Sachsens, die ohne einen schriftlichen Arbeitsvertrag arbeiten, sind im Bundesvergleich besonders lange ohne Bezahlung tätig (davor: 4,22 Wochen, länger: 4,8 Wochen) (S. 78f.). Um Kettenverträge und Leerläufe ohne schriftlichen Arbeitsvertrag zu verhindern, braucht es unbedingt angemessene Mindestvertragslaufzeiten!

Überstunden ohne Bezahlung

Wie bereits erwähnt, haben studentische Beschäftigte in Sachsen Arbeitsverträge mit einem Umfang von durchschnittlich 33,11 Stunden pro Monat. Pro Woche sind das etwa 8,27 Stunden vertraglich vereinbarte Lohnarbeit. In der Studie geben jedoch 38,9 Prozent der Befragten (bundesweit) an, monatlich unbezahlte Überstunden zu leisten. Je nach Art der Anstellung fallen die Antworten unterschiedlich aus: „35,7 Prozent der studentischen und 38,4 Prozent der wissenschaftlichen Hilfskräfte geben an, Überstunden zu leisten, bei den studentischen Angestellten sind es 40,2 Prozent. Unterscheidet man zwischen Hilfskräften und Tutor*innen, so fällt ins Auge, dass insbesondere Tutor*innen (50,6%) und WHK mit Master-Abschluss (47,7%) überdurchschnittlich häufig unbezahlte Überstunden machen“ (S. 87). In Sachsen schätzen die Beschäftigten ihre tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit im Schnitt auf 9 Stunden, also 1 Stunden oberhalb der wöchentlich vereinbarten Arbeitszeit (S. 90).

Es zeigt sich in den Ergebnissen der Studie ein Zusammenhang zwischen den Überstunden und der Angst vor negativen Konsequenzen. Daneben wirkt es sich negativ aus, wenn die Beschäftigten nicht wissen, dass eine Personalvertretung existiert: 52 Prozent der Befragten, die keine Kenntnis über die Existenz einer Personalvertretung haben, geben an, unbezahlte Überstunden zu leisten (S. 87f.). In Sachsen wissen jedoch 66,2 Prozent der Befragten nicht, dass es Personalräte gibt, die für sie zuständig sind (S. 97). Es besteht folglich dringender Verbesserungsbedarf, was die Aufklärung der Beschäftigten über ihre Mitbestimmungsrechte betrifft. Positiv auf die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit wirkt es sich aus, wenn – welch Überraschung – die Beschäftigten ihre Arbeitszeit regelmäßig dokumentieren. Das trifft jedoch lediglich 64 Prozent der Befragten zu. Und das, obwohl die Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, für eine Arbeitszeiterfassung zu sorgen (S. 91f)!

 

Urlaub, Krankheit, Mitbestimmung

Bundesweit, mit Ausnahme in Berlin, wurden 36,2 Prozent der Befragten nicht über ihren Urlaubsanspruch aufgeklärt, 6,8 Prozent wurden sogar falsch (!) informiert. Ihnen teilte man mit, dass sie keinen Anspruch auf Urlaub hätten (S. 92). Je kürzer die Vertragslaufzeit, desto seltener wurden die Beschäftigten von ihren Vorgesetzten über den Anspruch informiert (S. 109f). Daneben wissen 29,3 Prozent der studentischen Beschäftigten nicht, dass ihnen eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zusteht (S. 95f). Auch hier gilt: je kürzer die Vertragslaufzeit, desto geringer das Wissen darüber (S. 105f.). In Sachsen nehmen auf dieser Informationsgrundlage 41,2 Prozent der Befragten ihren Urlaub nicht vollständig in Anspruch, 24,4 Prozent wissen nicht, ob sie ihren Urlaub vollständig in Anspruch nehmen (S. 89f.). Je länger die Vertragslaufzeit ist, desto eher wird der Urlaub vollständig in Anspruch genommen (S. 109f.). Außerdem arbeiten 18 Prozent der Beschäftigten in Sachsen ihre Krankheitstage immer, 11,3 Prozent häufig und 21,7 Prozent manchmal nach (S. 95). Auch hier gilt: Je länger die Laufzeit des Vertrages, desto seltener werden Krankheitstage nachgearbeitet (S. 106f.). Es fällt zudem auf, dass die Beschäftigten mit zunehmendem Alter Urlaub eher vollständig in Anspruch nehmen und seltener Krankheitstage nacharbeiten (S. 98f.), wohingegen die Bereitschaft Überstunden zu leisten zunimmt (S.100). Und: „Während männliche Befragte zu 48,7 Prozent angeben, niemals Krankheitstage nachzuarbeiten, liegt diese Zahl bei den nicht-männlichen bei 38,9 Prozent“ (S. 96). So traurig es auch sein mag: Wir müssen sogar die Einhaltung von Mindeststandards von den öffentlichen Arbeitgebern fordern.

Es handelt sich bei den studentischen Beschäftigten um eine Berufsgruppe, deren Anstellungsverhältnisse die größte Tariflücke im öffentlichen Dienst bilden. Grundlegende Arbeitsrechtsverstöße sind hier die Regel, nicht die Ausnahme (S. 122f.). Insbesondere im direkten Vergleich zu Berlin zeigt sich, dass sich eine Tarifierung positiv auf die Einhaltung von Arbeitnehmer*innenrechten auswirkt. 

Jetzt muss sich die Arbeitgeberseite gegenüber diesen Argumenten eigentlich „nur noch“ öffnen. Es ist zu vermuten, dass wir hier ein wenig nachhelfen müssen – also: Werdet TVStud-Botschafter*in und geht mit uns auf die Straße, um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen!

Her mit dem Tarifvertrag für studentische Beschäftigte!

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