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Schule

Zwischen Hoffnung und Frust: Kritische Gedanken zum Start der Arbeitszeitstudie des Kultusministeriums

Die Arbeitszeitstudie des SMK weckt Erwartungen, doch es gibt auch Bedenken: Wird sie wirklich zur Entlastung der Lehrkräfte führen oder geht es um eine weitere Effizienzsteigerung auf Kosten der Kolleg:innen?

Am 1. August starteten 12 Prozent der sächsischen Lehrkräfte mit vielen Hoffnungen und einer gehörigen Portion Vertrauensvorschuss mit der – auf ein Jahr befristeten – elektronischen Erfassung ihrer Arbeitszeit und sämtlicher ihrer Arbeitsschritte. 

„Endlich interessiert sich das Kultusministerium für die von uns vor und nach dem Unterricht geleistete Arbeit, wie Korrekturen und fachliche Recherchen!“ – „Gut, dass ich jetzt die Möglichkeit habe, auch die ausufernde Elternarbeit und psychologische Betreuung der Schüler:innen zu dokumentieren.“ – „Jetzt wird der Minister einsehen, dass die sächsischen Lehrkräfte dringend durch Klassenleiterstunden und Anrechnungen für vorbereitungsintensive Fächer entlastet werden müssen.“ – So lauteten die vielen positiven Rückmeldungen von Kolleg:innen zum Start der Erhebung. 

Diese Erwartungen begründeten sich in der Erfahrung der täglichen Überlastung durch die vielfältigen Aufgaben, die in den letzten Jahren dazugekommen waren und bei denen die Schulen unter dem Schlagwort Eigenverantwortung immer wieder alleingelassen wurden: die zunehmenden sozial-emotionalen Problematiken bei Schüler:innen und Eltern, die Zuwanderung, die Inklusion, die Digitalisierung, der Umgang mit (Rechts-) Extremismus.

Und es waren natürlich die Lehrkräfte in den korrekturintensiven sprachlichen Fächern an den weiterführenden Schulen, die hofften, dass durch eine Arbeitszeiterfassung ihre seit Jahren vorgebrachten Klagen über die ausufernde Belastung in den Prüfungszeiten endlich Gehör finden und verbindliche Abminderungsstunden und Korrekturtage eingeführt werden.

Die positiven Erwartungen waren begründet in der täglichen Erfahrung der Überlastung durch die vielfältigen neuen Aufgaben

Die Aussagen des SMK klangen durchaus vielversprechend: „Um die Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte so attraktiv wie möglich zu gestalten, ist es unabdingbar, die tatsächliche Arbeitsbelastung der sächsischen Lehrkräfte zu kennen“, hieß es beispielsweise in einem Brief des SMK an die Schulleitungen im Februar 2024.

Im Mai wurde der Minister im SMK-Blog ähnlich entgegenkommend zitiert: „Es geht darum, die Arbeitsbelastung unserer Lehrkräfte genau zu ermitteln. Nur auf der Basis valider Daten können wir sehen, ob die Arbeitszeit der Lehrkräfte ausreicht, um den vielfältigen Tätigkeiten des Lehrerberufs nachzukommen.“ 

In den Ohren vieler Kolleg:innen klangen diese Beteuerungen des SMK so, als ob das Ministerium schon in den Startlöchern stünde, um Entlastungen durch Reduzierungen der Unterrichtsverpflichtung zu schaffen und nur noch gegenüber dem Finanzministerium und der Öffentlichkeit die letzten objektiven Beweise vorbringen möchte.

Insbesondere die vom SMK zugesicherte Anonymität der Teilnahme ließ viele Kritiker:innen verstimmen

Mögliche kritische Stimmen in Bezug auf die zusätzliche Belastung durch die engmaschige Dokumentation und die Gefahr möglicher Sanktionen bei Fehlverhalten wurden vom SMK im bereits zitierten Schulleitungsschreiben schon im Vorfeld auszuräumen versucht: „Die erhobenen Daten verbleiben zu jeder Zeit bei der Prognos AG und werden nicht an das Sächsische Staatsministerium für Kultus (SMK) weitergegeben. Zudem können die gemachten Angaben nicht auf einzelne Personen zurückgeführt werden. Eine Auswertung der Daten erfolgt nur aggregiert, so dass diese keine Rückschlüsse auf individuelle Befragte zulassen.“ Auch wurde versprochen, dass das Erfassungstool „schlank und nutzerfreundlich“ sein wird, und dass die Kolleg:innen eine umfassende Unterstützung an die Seite gestellt bekommen.

Insbesondere die vom SMK zugesicherte Anonymität der Teilnahme ließ viele Kritiker:innen verstimmen, da auf diese Weise indirekt eine Freiwilligkeit bestand und offenbar auch sichergestellt war, dass Kolleg:innen sich bei den Eintragungen nicht überwacht fühlen. Zudem war so die Möglichkeit gegeben, dass sie unerkannt aussteigen können, wenn die zeitliche Inanspruchnahme durch die Untersuchung zu hoch wird. 

Verunsicherung durch Ausnahmen bei der Anonymität

Kurz vor dem Start der elektronischen Erfassung von Arbeitszeit und Tätigkeiten der Lehrkräfte, wurde allerdings durch eine Meldung im Schulportal die Euphorie bei vielen Kolleg:innen stark getrübt. Ausgelöst durch eine Veröffentlichung auf der Homepage der GEW Sachsen, in der darauf hingewiesen wurde, dass die Erhebung durch die versprochene Anonymität de facto freiwillig wäre, sah sich das SMK gezwungen, im Schulportal eine Klarstellung zu veröffentlichen. 

Am 26.07.2024 wurden alle betroffenen Kolleg:innen informiert, dass doch Ausnahmen von dem im Frühjahr gegebenen Versprechen der Anonymität existieren würden: Im Falle der Nichtteilnahme an der Erfassung oder bei der Eintragung von „nicht plausiblen Daten“ würde Prognos AG die Anonymität aufheben und sogar dem SMK die entsprechenden Namen mitteilen, damit Sanktionen eingeleitet werden können.

Als – nicht zuletzt in Reaktion auf diese überraschende Information – mehrere Hundert  Kolleg:innen beim SMK formell eine Freistellung von der Erfassung beantragten, wurde das SMK in den Antworten an die Antragstellenden sehr deutlich, die Mehrzahl der Anträge auf Freistellung von der Erfassungspflicht wurde abgelehnt: Die Arbeitszeit- und Tätigkeitserfassung sei eine Dienstpflicht und bei Nichtbefolgung dieser würden arbeits- bzw. dienstrechtliche Konsequenzen drohen. Auf Nachfrage des Hauptpersonalrates, welche Sanktionen angedacht seien, kam bis zum Redaktionsschluss keine eindeutige Antwort.

Das komplizierte und teilweise undurchsichtige Erfassungssystem führt so zu zusätzlichen Belastungen 

Nach dem Start der Arbeitszeiterhebung wurden weitere Beschwerden über die Art und Weise der Erfassung laut, unter anderem folgende: 

  1. Es überfordere die Kolleg:innen ggf. minutengenau anzugeben, welche Tätigkeiten sie aus einem Katalog von 23 verschiedenen Aufgaben täglich ausgeführt haben. Auch sei die Zuordnung der tatsächlichen Tätigkeiten zu dem vorgegebenen Aufgabenkatalog nicht immer eindeutig.
  2. Die Eingabe sei unnötig umständlich, da jedes Mal nach der zeitlichen Lage der Tätigkeiten gefragt wird, obwohl diese nach Aussage der Prognos AG keine Rolle für die Auswertung der erfassten Daten spielt.
  3. Verwirrend sei auch die standardmäßige Abfrage der „Mengen“ der eingegebenen Tätigkeiten, die nach Aussage der Prognos AG ebenfalls unberücksichtigt bleiben soll.
  4. Es fehlt an einer übersichtlichen und vollständigen Kontrollübersicht für die Kolleg:innen, in der auch direkt die Korrekturen eingetragen werden können, da durch die umständlichen und verwirrenden Eingabemodalitäten nicht selten Fehler bei der Eingabe passieren würden.

Das komplizierte und teilweise undurchsichtige Erfassungssystem führt so zu weiteren Belastungen. Die Kolleg:innen müssen zusätzliche Zeit und Nerven investieren, um diese von der Ibo GmbH ursprünglich für die Personalbemessung in Firmen und Behörden entwickelte Standardsoftware auch im Schulkontext korrekt zu nutzen. 

Nicht wenige Kolleg:innen fürchten nun, dass eine fehlerhafte oder lückenhafte Erfassung zu falschen Ergebnissen führt, die dann Prognos AG und SMK zu unvorteilhaften Schlussfolgerungen kommen lässt. 

Denkbar ist beispielsweise, das die Kolleg:innen irgendwann in dem für eine Arbeitszeitstudie ungewöhnlich langen Zeitraum von 12 Monaten schlicht ermüden täglich detailliert zu dokumentieren, welche Zeit sie zusätzlich zum Unterricht aufwenden und sie daher anfangen, pauschale Schätzungen einzutragen, die ggf. unter der tatsächlich benötigten Zeit bleiben.

Insbesondere wenn die Kolleg:innen zur Bescheidenheit neigen (oder Angst haben, wegen „unplausiblen Eintragungen“ abgemahnt zu werden) 

und sich beim Eintragen von Schätzungen darauf verlassen, dass sie in der Schulzeit eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden haben, würde die Studie sehr zu Ungunsten der gesamten sächsischen Lehrerschaft ausgehen. Denn in der Arbeitszeitstudie wird mit der Jahresarbeitszeit kalkuliert. Deswegen ist es für das SMK auch so wichtig, dass die Studie ein gesamtes Schuljahr inklusive der Ferien dauert.

In der aktuellen „Lehrerarbeitszeitverordnung“ in Mecklenburg-Vorpommern ist gut erklärt, was der Ansatz der Jahresarbeitszeit rechnerisch für die Wochenarbeitszeit von Lehrer:innen bedeutet: „Unter Berücksichtigung von Urlaub und Feiertagen ergibt sich aus der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Zeitstunden x durchschnittlich 44 Wochen eine Jahresarbeitszeit von rund 1 760 Zeitstunden. Um die Jahresarbeitszeit von rund 1 760 Zeitstunden unter Berücksichtigung von Urlaub, Feiertagen und Ferienzeiten zu erreichen, müssen Lehrkräfte im Durchschnitt 45 Zeitstunden pro Woche arbeiten."

Natürlich ist es auch möglich, in den Ferien unterrichtsvorbereitende Tätigkeiten und Fortbildungen einzutragen. Die meisten Kolleg:innen werden die Ferien aber tatsächlich zur Regeneration und zum Abschalten benötigen, sei es wegen der überlangen Arbeitszeiten durch häusliche Korrekturen und Vorbereitungen, sei es durch die hohe Intensität und emotionale Inanspruchnahme der pädagogischen Arbeit in herausfordernden Schulkontexten.

In Sachsen gilt für Lehrkräfte eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden 

Auch ein anderer Aspekt bezüglich der Arbeitszeit von Lehrkräfte wird nicht allen Kolleg:innen bewusst sein: In Sachsen gilt für alle Beamt:innen und auch für angestellten Lehrkräfte eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden, solange ein Ausgleich innerhalb von vier Monaten stattfindet (§ 1 Abs. 1 S. 2 Sächsische Arbeitszeitverordnung). 

Ein Anspruch auf Entlastung würde sich, ausgehend vom Konzept der Jahresarbeitszeit und der sächsischen Höchstarbeitszeitregelung, also erst ergeben, wenn nachweislich über 48 Stunden in der Woche gearbeitet wird und/ oder über mehrere Monate dauerhaft 48 Stunden gearbeitet wird, so dass rechnerisch kein Ausgleich in den Ferien erfolgen kann. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Menschen, die durch allgemeine Altersbeschwerden oder Gesundheitsprobleme eingeschränkt sind oder familiäre Pflegeaufgaben haben, dazu für einen längeren Zeitraum in der Lage sein werden, selbst wenn sie es wollen würden oder der dienstliche Bedarf aufgrund der Planung bestünde. 

Vor dem Hintergrund der ursprünglichen, offenen Aussagen von Kultusminister Christian Piwarz gegenüber der Presse, dass die Arbeitszeitstudie dazu diene, zu sehen, „welche Spielräume es für Arbeitszeitkonten gibt, beziehungsweise welche Spielräume vorhanden sind, um kurzfristig mehr Lehrer für den Unterricht zu bekommen“ (SäZ 19.1.24), fällt es schwer, die eigenen Zweifel zu verdrängen, dass es sich bei der Arbeitszeiterfassung nicht um eine neutrale wissenschaftliche Studie mit dem Ziel der Entlastung der Kolleg:innen handelt. Das ungute Gefühl, dass es sich um eine schlichte betriebswirtschaftliche „Personalbedarfsermittlung“, mit dem Ziel der „Qualitätssteigerung“ und eines „effizienteren und profitableren Einsatzes“ der Lehrkräfte (vgl. Homepage der Ibo GmbH) handelt, lässt sich leider nicht einfach beiseiteschieben. 

Dennoch sollte der Optimismus noch nicht aufgegeben werden, dass in diesem Fall eine vom Arbeitgeber und Dienstherren beauftragte Studie nicht zu Arbeitsverdichtung und Spaltung zwischen den Lehrkräften führt, sondern zur Klassenleiterstunde, zu verbindlichen Anrechnungen für Korrekturen und zu Entlastung bei unterrichtsfernen Tätigkeiten. 

Juri Haas, Grundschullehrer und Mitglied im Lehrerhauptpersonalrat 

  • Welche Erfahrungen habt Ihr mit der Studie gemacht, welche Hoffnungen und welche Befürchtungen habt Ihr? Schreibt bitte an juri.haas(at)gew-sachsen(dot)de.
  • Kolleg:innen, denen vom Kultusministerium wegen der Nichtteilnahme an der Studie oder angeblich unplausiblen Eintragungen Sanktion angedroht wurden, können in der Landesrechtsschutzstelle Unterstützung erhalten: rechtsschutz(at)gew-sachsen(dot)de