Warum der Kultusminister den 1. Un-Gleichstellungspreis des DGB Sachsen „verdient“ hat
Zusatzpunkte statt Punktabzug – Menschenrechtliche Bekenntnisse sind keine Rechtschreibfehler!
Für die Verleihung des 1. Un-Gleichstellungspreises des DBG Sachsen sind 20 Nominierungen eingegangen. Der Sächsische Staatsminister für Kultus, Christian Piwarz, ist als einziger mehrfach – insgesamt achtmal – für den Preis nominiert worden. Auch die AG LSBTI* der GEW Sachsen und der BV Leipzig haben den Kultus- minister nominiert. Die Jury hat entschieden, ihm den Preis zu verleihen. Im Rahmen des frauenpolitischen Abends des DGB Sachsen ist Christian Piwarz der Preis am 26. August 2024 in Dresden überreicht worden.
Christian Piwarz erhält diesen Preis, weil das von ihm geführte Sächsische Staatsministerium für Kultus bereits vor drei Jahren die Verwendung von Sonderzeichen wie Gender*Stern, Gender_Gap oder Gender:Doppelpunkt in allen öffentlichen Schulen in Sachsen untersagt hat. Lehrkräften, die sich nicht an das Verbot halten, werden arbeitsrechtliche bzw. disziplinarrechtliche Konsequenzen angedroht. Dritte, zum Beispiel Trägervereine, mit denen Schulen kooperieren, werden Benachteiligungen im Hinblick auf das Abschließen von Dienstleistungs- und Honorarverträgen angekündigt. Zu Beginn des laufenden Schuljahres wurde das Verbot dadurch bekräftigt, dass die Verwendung von Sonderzeichen durch Schüler*innen als Mangel in der sprachlichen Richtigkeit gewertet wird.
Als Rechtfertigung für das Verbot und die damit verbundenen Konsequenzen führt das Kultusministerium an, dass das Amtliche Regelwerk, herausgegeben vom Rat der Deutschen Rechtschreibung, in seiner aktuellen Fassung die Verwendung von Sonderzeichen (derzeit) nicht empfehlen und mit dem Erlass lediglich ein Beschluss der Kultusministerkonferenz umgesetzt würde.
Aus Sicht der Nominierenden und der Jury sind die vorgebrachten orthografischen Gründe allerdings nur vorgeschoben. Schüler*innen und Lehrkräfte verwenden die Sonderzeichen ja gerade nicht aus Unkenntnis der Rechtschreibung! Deshalb dürfte das Verbot von der CDU lediglich ein Mittel dazu sein, sich als Partei zu inszenieren, die für traditionelle und konservative Werte eintritt.
Der Kultusminister bewirkt durch den Erlass, dass dieser Versuch einer parteipolitischen Profilierung auf dem Rücken von Schüler*innen und ihren Lehrkräften ausgetragen wird.
Das Amtliche Regelwerk verbietet bestimmte Formen geschlechtergerechter Sprache ja gerade eben nicht, sondern verdeutlicht, dass die Entwicklung des Gesamtbereichs geschlechtergerechter Sprache noch nicht abgeschlossen ist und vom Rat für deutsche Rechtschreibung weiter beobachtet werden wird.
Demnach hätte der Kultusminister auf die öffentliche Debatte um geschlechtergerechte Sprache rechtskonform auch anders reagieren können und müssen. Stattdessen drängt der Erlass des SMK intergeschlechtliche und non-binäre Menschen in Schule und Unterricht in Unsagbarkeit und somit in Unsichtbarkeit. Dies widerspricht zu allererst dem gesetzlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, der laut Artikel 1 des Sächsischen Schulgesetzes auf der Grundlage des Grundgesetzes und der sächsischen Verfassung verwirklicht wird. Sowohl nach Artikel 3 des Grundgesetzes als auch nach Artikel 18 der Verfassung des Freistaats Sachsen darf niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt oder bevorzugt werden.
Die Geschlechtsidentität, die Menschen leben, ist vielfältig: Neben cisgeschlechtlichen Frauen und Männern, gibt es inter- und transgeschlechtliche Personen. Menschen empfinden und leben ihre sexuelle Identität demnach auch zwischen und jenseits der Geschlechterkategorien weiblich und männlich. Dies gilt natürlich auch für Schüler*innen und Lehrkräfte. Seit 2018 erkennt auch das deutsche Personenstandsrecht nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts neben Frauen und Männern Menschen mit diversem Geschlecht, aber auch Personen ohne Geschlechtseintrag im Personenstand an.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verweist in einem Kurzgutachten im Frühjahr 2024 auf verfassungsrechtliche Probleme, die mit Erlassen wie dem des SMK einhergehen, weil „(d)as Grundgesetz (…) staatliche Stellen dazu (verpflichte), ihre hoheitlichen Aufgaben und Befugnisse diskriminierungsfrei auszuüben.“ Entsprechende Verbote seien Eingriffe in diverse Grundrechte, insbesondere in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Artikel 2 GG, das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 5 GG und das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit nach Artikel 2 GG. Auch die pädagogische Freiheit dürfte unzulässig eingeschränkt werden, weil es ein wichtiger Bestandteil von Demokratie- und Menschenrechtsbildung an Schulen ist, geschlechtliche Vielfalt abzubilden und Selbstbezeichnungen der Schüler*innen zu respektieren.
Das Verbot steht auch im Widerspruch mit dem Beutelsbacher Konsens. Denn dieser besagt, dass das, was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, auch im Unterricht kontrovers erscheinen muss. Das Verbot und die mit ihm verbundenen Sanktionen für Lehrkräfte und Schüler*innen sind mit Sicherheit keine Ermutigung, geschlechtergerechte Sprache im Unterricht zu thematisieren. Schüler*innen erwerben dadurch keine umfassende, lebens- und alltagsnahe Vorstellung von der sprachlichen, gesellschaftlichen und politischen Debatte um Möglichkeiten der Realisierung geschlechtergerechter Sprache in Wort und Schrift. Schon jetzt kann eine Tendenz beobachtet werden, dass die Verwendung des sogenannten generischen Maskulinums – im Übrigen vollkommen entgegen dem Erlass – (wieder) zunimmt.
Absurderweise kennt selbst das Schulgesetz des Freistaats Sachsen nur Lehrer, Schulleiter und Schüler. Erstaunlicherweise wird dies nicht sanktioniert.
Weil Sprache die immanente Funktion hat, gesellschaftliche Realitäten abzubilden, haben sich auch Möglichkeiten entwickelt, die Existenz weiterer Geschlechter neben weiblich und männlich sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Das Amtliche Regelwerk erkennt gerade deshalb an, dass die (Weiter-)Entwicklung von geschlechtergerechter Sprache noch nicht abgeschlossen ist. Dass sich Sprache insbesondere auch durch gesellschaftlichen Wandel fortwährend verändert, zeigt sich beispielsweise darin, dass die Dudenredaktion gerade erst 3000 neue Wörter in die aktuelle Auflage des Dudens eingefügt und 400 veraltete entfernt hat.
Im Landesaktionsplan zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen der Sächsischen Staatsregierung von 2017 heißt es ausdrücklich: „In einem weltoffenen Sachsen sollen heterosexuelle, lesbische, schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche, transgender und intergeschlechtliche Menschen gleichberechtigt leben.“ Für den Handlungsbereich Schule, Vorschule und Hochschule lautet ein Ziel konkret: „Schaffung von Diskriminierungsfreiheit und Verbesserung der Akzeptanz im Unterricht und Schulalltag“. Mit dem Landesaktionsplan verpflichtet sich die gesamte (!) Landesregierung im Grunde dazu, dass ihr politisches Handeln auch danach auszurichten, dass Bürger*innenrechte selbstverständlich auch für queere Menschen gelten. Auch aus diesem Grund wurde im Schulgesetz festgeschrieben, dass die vorurteilsfreie Begegnung gegenüber anderen Menschen auch unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung ein wichtiger Teil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule ist. Ein wichtiges Ziel der Familien- und Sexualerziehung an sächsischen Schulen besteht laut Orientierungsrahmen für selbige unter anderem darin, zu Toleranz gegenüber unterschiedlichen sexuellen Orientierungen anzuhalten und zu motivieren und Diskriminierungen entgegenzuwirken. Homosexualität und andere Ausdrucksformen sexueller Vielfalt sind Inhalte, mit denen sich Schüler*innen altersgerecht auseinandersetzen sollen. Durch den Erlass des SMK dürfen die Selbstbezeichnungen eines Teils dieser Personengruppen in Schulen nicht in Erscheinung treten. Der Erlass schränkt insofern die Verwirklichung dieser Ziele zumindest teilweise unzulässig ein.
Darüber hinaus ist zu befürchten, dass mit dem Verbot und der Sanktionierung bestimmter Formen geschlechtergerechter Sprache ein Klima der Verunsicherung – wenn nicht sogar der Denunziation – in die Schulen hereingetragen wird. Auf dieses Problem haben 15 Vereine und Institutionen den Kultusminister, seinen Amtschef und den Präsidenten des Landesamtes für Schule und Bildung im April 2024 aufmerksam gemacht. Sie weisen u. a. auf einen dringenden Handlungs-, Präzisions- und Korrekturbedarf hin, was den Inhalt und die Umsetzung des Erlasses betrifft.
Die Verleihung des Preises ist zugleich als mahnender Weckruf an politisches Handeln zu verstehen: Folgen nach dem Sprach-Verbot noch andere Verbote? Die zunehmende Sichtbarkeit von queeren Lebensweisen führt leider auch dazu, dass der Gegenwind aus rechtskonservativen und ultrareligiösen Strömungen zunehmend stärker wird. Die Ereignisse der letzten Wochen im Zusammenhang mit den Störungen von CSD-Demonstrationen wie beispielsweise in Bautzen oder Leipzig sind Alarmsignal genug. Eine zunehmende Aushöhlung elementarer Menschenrechte ist durchaus zu befürchten, wenn beispielsweise behauptet wird, dass geschlechtergerechte Sprache Ausdruck eines sogenannten „Gender-Gagas“ sei, das u. a. zum Ziel habe, Geschlecht abzuschaffen. Weiterhin wird mit dem Vorwurf der sogenannten „Frühsexualisierung“ unterstellt, dass Kinder und Jugendliche Übergriffigkeiten erführen, weil sexuelle und geschlechtliche Vielfalt auch in Schule sichtbar sei. Die Kinder und Jugendlichen würden dadurch „verwirrt“ und in ihrer „natürlichen“ Entwicklung negativ beeinflusst. Besonders extreme Positionen sprechen sogar von Missbrauch. Der Erlass und seine Begründung sind leider durchaus auch dazu geeignet, diese Ressentiments gegenüber sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten zu verstärken.
Nicht zuletzt wäre es auch in Übereinklang mit der im Landesaktionsplan dargelegten Auffassung der Sächsischen Staatsregierung zu Selbstvertretung und Partizipation geboten gewesen, wenn das Kultusministerium die queere Community beteiligt und den Dialog mit den betroffenen Personengruppen gesucht hätte. Statt eines dirigistisch verordneten Verbots bestimmter Formen geschlechtergerechter Sprache hätten Vorschläge für konstruktive Lösungen gefunden werden können. Dazu hätte es auch gehört, die von der Kultusministerkonferenz – einem Gremium, dem Christian Piwarz ja selbst angehört – in Aussicht gestellten, detaillierten Handlungsempfehlungen für queere Bildung abzuwarten. Die damalige Vorsitzende der GEW, Marlis Tepe, hatte 2020 die Kultusministerkonferenz aufgefordert, derartige Empfehlungen analog zu anderen Themen wie beispielsweise Inklusion zu entwickeln. Die Kultusministerkonferenz – und somit auch Christian Piwarz – versprach zu handeln.
Dass der für schulische Bildung und Erziehung zuständige Minister die menschenrechtlichen Argumente vollkommen ignoriert und sich stattdessen eines Vergleichs mit der Straßenverkehrsordnung bemüht, macht deutlich, warum er diesen 1. Un-Gleichstellungspreis verdient hat.
AG LSBTI* in der GEW Sachsen
PS: Wir danken Detlef Mücke von der AG Schwule Lehrer der GEW Berlin für seine Anregungen und seine Unterstützung bei der Formulierung dieses Beitrages.