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Queerness in Sachsen

Zur Akzeptanz und Repräsentation von sexueller Vielfalt an Schulen

Sexuelle, geschlechtliche und romantische Vielfalt erfährt zunehmend mehr Sichtbarkeit. Gleichzeitig boomt Queerfeindlichkeit in Deutschland und der Welt, wie wir es zuletzt wieder durch den Mord an einer trans* Person am Rande des CSD's in Münster oder durch das Attentat auf einen queeren Nachtclub in Colorado Springs (USA) erfahren mussten.

Vor diesem Hintergrund sind queere Menschen und insbesondere queere Kinder und Jugendliche eine höchst vulnerable Gruppe in unserer pluralistischen Gesellschaft. Der Schule als Ort der Sozialisation sowie des gemeinsamen Lebens und Lernens wird damit eine besondere Bedeutung zuteil. So ist nicht umsonst im sächsischen „Landesaktionsplan zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen“ (SMS 2017) als ein Ziel für die Schule die „Verhinderung von Benachteiligung wegen sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten sowie die Entwicklung von Akzeptanz füreinander“ (ebd., S. 23) festgehalten. Gleichzeitig zeigen sich Schulen allerdings als extrem queerfeindlicher Ort (vgl. u. a. Klocke 2012). Mit Blick auf den Freistaat zählen in einer aktuellen Studie die befragten queeren Menschen die Schule neben Öffentlichkeit sowie Polizei und Justiz zu den Bereichen, in denen am häufigsten negative Erfahrungen gemacht werden mussten (Rauh et al. 2022, S. 87). Bedauerlicherweise fehlen weitere detailliertere Forschungsergebnisse zu Queerness an Sachsens Schulen. Hier möchte dieser Beitrag etwas mehr Licht ins Dunkel bringen.

Forschungsmethodik und -design

Im Rahmen einer studentischen Abschlussarbeit wurde die vorliegende Untersuchung durchgeführt. Sie widmete sich der Akzeptanz und Repräsentation von sexueller, geschlechtlicher und romantischer Vielfalt an Sachsens weiterführenden Schulen. Ziel war es, erste Erkenntnisse zur Thematisierung und Integration von queeren Thematiken in Unterricht und Schulalltag zu erhalten, um darauf aufbauend Implikationen für die schulische Praxis in Sachsen abzuleiten.
Über einen Verteiler des sächsischen Schulportals wurde Ende des Schuljahres 2022 den Schulleitungen aller Schulen mit der Sekundarstufe I (Gymnasien, Oberschulen, Förderschulen, Gemeinschaftsschulen und Freie Schulen) in Sachsen ein Online-Fragebogen zugesandt. Der aus geschlossenen und offenen Fragen zusammengesetzte Bogen umfasste folgende Themenkomplexe: Einstellungen und Relevanzsetzungen zu (sexueller und geschlechtlicher) Vielfalt, Thematisierung von Queerness in- und außerhalb des Unterrichts, Fort- und Weiterbildungsangebote, Diskriminierung an den Schulen sowie Kenntnisse zu einschlägigen, landesspezifischen Rahmenplänen und Projekten.

In die Auswertung konnten 55 vollständig ausgefüllte Fragebögen einbezogen werden. Unter den befragten Schulen waren 22 Oberschulen, 15 Förderschulen, zehn Gymnasien sowie je zwei Gemeinschafts- und Freie Schulen [1]. Während die Größe der befragten Schulen zwischen 60 und 900 beschulten Schüler*innen variiert, ist ebenso die Größe der Städte oder Gemeinden, in denen die Schulen liegen, different (5.000 bis 600.000 Einwohner*innen). Am häufigsten sind Schulen mit einem großstädtischen Einzugsgebiet vertreten. Die gewonnenen Daten aus den geschlossenen Fragen wurden größtenteils univariat ausgewertet und dargestellt, während sich den offenen Fragen induktiv­-kategorienbildend und inhaltsanalytisch genähert wurde.

Ergebnisdarstellung

Generell ist festzuhalten, dass knapp 90 % der befragten Schulleitungen der Aussage, Vielfalt sei an ihrer Schule wichtig, eher oder voll zustimmen. Die Schulleitungen begründen die Zustimmung damit, dass Vielfalt etwas Normales sei, verweisen auf die generelle Diversität menschlichen Lebens oder verstehen Vielfalt als Bereicherung. Expliziter dahingehend befragt, ob sexuelle und geschlechtliche Vielfalt an den Schulen wichtig sei, stimmen dem knapp 68 % eher oder voll zu. Über ein Viertel der Befragten (27 %) erachtet sexuelle und geschlechtliche Vielfalt an ihrer Schule als eher oder gar nicht wichtig. Begründet wird dies damit, dass Queerness nicht explizit fokussiert werde, dass das Thema wenig Relevanz für die Schüler*innen habe und Privatsache sei oder sexuelle und geschlechtliche Vielfalt „keine vordergründige Rolle spielt und spielen soll“. Aspekte sexueller und geschlechtlicher Vielfalt hat knapp die Hälfte der Schulen ganz ausdrücklich in ihrer Schulordnung verankert.
Fast zwei Drittel (65 %) der Schulleitungen gibt an, dass sexuelle und geschlechtliche Vielfalt an ihren Schulen – vorrangig im Biologieunterricht – thematisiert werde. Ob und wenn ja, wie dies behandelt werden soll und kann, werde in den Kollegien tendenziell weniger diskutiert und hänge eher von der persönlichen Einstellung der Lehrkräfte ab. Und wenngleich 74 % der Schulleitungen der Meinung sind, dass es wichtigere Inhalte gebe, räumt eine Mehrheit (60 %) ein, dass es für die Integration sexueller und geschlechtlicher Vielfalt an den Schulen genügend Zeit gebe. Grundsätzlich werden diese Angebote von den Schüler*innen angenommen. Außerunterrichtliche Projekte zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gibt es an gut einem Drittel der Schulen. In der Regel arbeite man hier mit externen Partner*innen zusammen.

Dahingehend befragt, ob es an den Schulen Diskriminierung aufgrund sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gebe, bejahen dies 66 % der befragten Schulleitungen, 18 % verneinen. 16 % der Schulleitungen wissen nicht, ob es derartige Vorfälle an ihren Schulen gibt. In der Regel interveniere man bei auftretendem diskriminierenden Verhalten in Form von Gesprächen, dem Einbezug der Schulsozialarbeit oder der Vertrauenslehrkräfte sowie mittels Aufklärung im Unterricht. 

Obgleich eine grundsätzliche Bereitschaft zur Weiterbildung zu Themen wie Antidiskriminierung oder konkret Queerness bei den Schulleitungen besteht, gibt es nur an einem Fünftel der Schulen entsprechende Angebote. Als Formate für mögliche Weiterbildungen präferiert werden Input und Wissensvermittlung, Austausch- und Beratungsmöglichkeiten unter Kolleg*innen sowie Interaktionen und Diskussionen. Inhaltlich sollen dabei laut Schulleitungen ein vielfaltsbewusster Umgang mit Schüler*innen, der Umgang mit beobachteter Diskriminierung sowie die Reflexion gesellschaftlicher Normen fokussiert werden.

Einschlägige, landesspezifische Rahmenpläne wie den „Landesaktionsplan zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen“ sowie den „Orientierungsrahmen für die Familien- und Sexualerziehung an sächsischen Schulen“ sind der Mehrheit der Schulleitungen nicht bekannt. Gleiches gilt für spezifische Antidiskriminierungsprogramme wie bspw. das Projekt „Schule der Vielfalt“ des RosaLinde Leipzig e. V.

Interpretation der Ergebnisse

In den Daten zeigt sich eine positive Einstellung und hohe Relevanzsetzung der Schulleitungen allgemein in Bezug auf Vielfalt. Interessant erscheint jedoch die Tatsache, dass diese Einstellung deutlich abnimmt, sobald konkreter nach der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt gefragt wird. Es erscheint so, als sei man nach außen allgemein ggü. „Vielfalt“ eher positiv, möglicherweise auch sozial erwünscht eingestellt, während sich bei genauerer Betrachtung durchaus verhaltenere oder sogar klar abwertende Einstellungen zeigen. 
Wenngleich Queerness in den Schulen offenbar thematisiert wird, geschieht dies immer noch vorrangig im Biologieunterricht und geht mit der Gefahr einer Medikalisierung und Pathologisierung einher. Eine stärker fächerübergreifende und auch außercurriculare Repräsentation wäre wünschenswert. Darüber hinaus erscheint es problematisch, dass diese Aspekte im Kollegium nicht Diskussionsbestandteil sind und zu sehr vom Einsatz einzelner Kolleg*innen abhängen. Außerdem scheinen Schulen hier vermehrt auf sich gestellt zu sein und nur selten die Angebote professioneller Externer zu nutzen. Dabei ist anzunehmen, dass für die Realisierung queerer Themen grundsätzlich günstige Bedingungen in den Schulen herrschen: Laut Schulleitungen stünde ausreichend Zeit zur Verfügung und die Schüler*innen würden derartige Angebote sehr begrüßen.

Diskriminierung aufgrund nicht-cis-heteronormativer Liebens- und Lebensweisen sind an den Schulen vorherrschend. Besonders besorgniserregend erscheint jedoch die Tatsache, dass ein nicht unwesentlicher Anteil der befragten Schulleitungen gar nicht wisse, ob Diskriminierung von LSBTIQ* an ihren Schulen stattfinde. Es muss vermutet werden, dass Queerfeindlichkeit entweder nicht wahrgenommen oder erkannt wird und damit unsichtbar und ohne Konsequenzen bleibt, oder möglicherweise sogar bewusst ignoriert wird.

Deutliche Potentiale liegen in Weiterbildungsmöglichkeiten zu Queerness für das pädagogische Personal. Grundsätzlich bestünde Interesse an derartigen Fortbildungen, allerdings mangelt es an der Realisierung dieser. Ebenso ausbaufähig erscheint die Kenntnis über und die Berücksichtigung von landesweiten einschlägigen Rahmenplänen und Vorgaben sowie Antidiskriminierungsprogrammen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse vor dem Hintergrund betrachtet werden müssen, dass die Untersuchung nicht repräsentativ ist. Eine höhere Beteiligung wäre selbstredend wünschenswert gewesen. Aufgrund der geringen Rücklaufquote kann angenommen werden, dass einer Umfrage zu diesem Thema keine sonderlich hohe Bedeutung zugemessen wird. Weiterhin könnten die Ergebnisse dahingehend verzerrt sein, als dass eine Teilnahme an der Umfrage eine generell positive Einstellung ggü. (sexueller und geschlechtlicher) Vielfalt voraussetzt. Somit könnte die Realität deutlich negativer aussehen als in den vorliegenden Daten dargestellt.

Implikationen für die Praxis 

„Nicht-heterosexuelle oder sich nicht geschlechtskonform verhaltende Kinder und Jugendliche haben ein erhöhtes Risiko, Opfer von Mobbing zu werden sowie Depressionen und Suizidgedanken zu entwickeln.“ (Klocke 2014, o. S.) Schulen und ihren pädagogischen Fachkräften wird damit eine große Verantwortung zuteil, einen gelingenden Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt zu realisieren. Dies kann funktionieren, indem sie bspw. die Sichtbarkeit queerer Lebensrealitäten maßgeblich in Schulalltag und Unterricht erhöhen, Mobbing und Diskriminierung erkennen und konsequent dagegen vorgehen, die Akzeptanz von Vielfalt institutionell in Richtlinien und Leitbildern verankern, mit externen Partner*innen kooperieren sowie das eigene Verhalten reflektieren und sich zu queeren Themen qualifizieren. Dieser Prozess sollte stets in enger Kooperation mit den Eltern sowie unter Beteiligung der Schüler*innen selbst erfolgen. Weitere Forschungsvorhaben diesbezüglich sind im Freistaat dringend erforderlich.

Literatur:
Klocke, Ulrich (2012): Akzeptanz sexueller Vielfalt an Berliner Schulen. Eine Befragung zu Verhalten, Einstellungen und Wissen zu LSBT und deren Einflussvariablen. Berlin. 

Klocke, Ulrich (2014): Inklusion sexueller und geschlechtlicher Vielfalt: Eine Studie zu Einflussmöglichkeiten pädagogischer Fachkräfte. In: Zeitschrift für Inklusion (3). Online verfügbar unter https://www.inklusion­online.net/index.php/inklusion-online/article/view/232, zuletzt geprüft am 15.11.2022.

Rauh, Christina; Werner, Elin; Thesing, Hendrik; Hofmann, Markus (2022): Lebenslagen von lsbtiq* Personen in Sachsen. Ergebnisse und Handlungsbedarfe. Hg. v. Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung.

Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz [SMS] (2017): Landesaktionsplan zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen. Online verfügbar unter https://www.vielfalt.sachsen.de/landesaktionsplan-3988.html, zuletzt geprüft am 15.11.2022.


Felix Michl
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Universität Leipzig
AG LSBTI* der GEW Sachsen

felix.michl(at)uni-leipzig(dot)de
Sarah Schickentanz
Studentin Lehramt Sonderpädagogik, Universität Leipzig

[1] Vier Angaben waren ungültig

Kontakt
Rocco Lehmann
Leitungsteam AG LSBTI*