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Kommentar

Zeit der Pandemie – Zeit des Lernens

Es ist Mittwoch, der 15. April gegen 21:30 Uhr. Vier Telefonkonferenzen, mehrere Presseanfragen und eine kaum überschaubare Zahl von E-Mails und diverse Schreiben liegen hinter mir. Ein ganz normaler Tag in der Corona-Krise und doch ein besonderer. Heute haben sich die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten über die weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie verständigt.

Ich weiß heute also, dass wir bei Erscheinen dieser Ausgabe der E&W noch weit von der Normalität entfernt sind, auch wenn die Notbetreuung in Kindertageseinrichtungen ausgeweitet wurde, Prüfungen geschrieben und vorbereitet werden, Viertklässler*innen die Flure ihrer Grundschule seit einigen Tagen wieder etwas mehr mit Leben erfüllen oder einige Hochschuleinrichtungen wieder benutzbar sind.

In den letzten Wochen haben wir viel gelernt. Nicht nur, dass Telefonkonferenzen oder Online-Lernen funktionieren, sondern auch, welche Grenzen diese Instrumente haben. Kein noch so gut ausgerüsteter PC und keine noch so vollkommene Plattform kann eine aufmunternde Geste, einen skeptischen Blick oder lachendes Miteinander ersetzen. Dass der Wunsch mit vielen Menschen zusammen zu treffen, so groß werden kann, hätte ich noch vor wenigen Wochen nicht vermutet. Wie durch ein Brennglas nehmen wir dieser Tage Bildungsungerechtigkeiten wahr. Sie existierten auch vor dem Unterricht zu Hause – sie haben sich nur verschärft und müssen Thema bleiben, wenn der Alltag uns irgendwann wiederhat. Dass viel zu kleine Räume pädagogischen Erfordernissen widersprechen, wissen wir seit langem, wie sehr sie auch hygienische Standards verletzen, begreifen wir dieser Tage schmerzhaft. Gruppen und Klassen müssen nicht kleiner werden – sie dürfen nur halb so groß sein und eine marode Toilettenanlage ist nicht nur für einige Kinder und ihre Erzieher*innen/Lehrer*innen ein Problem, sondern für uns alle.  

Schon jetzt ist es nicht schwer, für unsere Gesellschaft und für den Bildungsbereich den notwendigen Änderungsbedarf zu formulieren. Wir brauchen nicht weniger sondern mehr Staat – mehr staatliche Verantwortung für die Daseinsvorsorge, Bildungsbedingungen, die angemessene Reaktionen auf Veränderungen zulassen, gesetzliche Mindestlöhne, die auch bei Konjunktureinbrüchen nicht zur Verarmung führen usw. usf.

In den kommenden Wochen und Monaten wird die Auseinandersetzung darum beginnen, wer die coronabedingte Zeche bezahlt. Wird sich die Wirtschaft durchsetzen und z. B. die Ausnahmen für Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten zur Normalität machen oder werden wir Gewerkschaften so stark in die gesellschaftliche Debatte eingreifen können, dass wir nicht nur die Einschnitte in Arbeitnehmerrechte rückgängig machen, sondern auch die notwendigen gesellschaftlichen Reformen anschieben können?

Wenn der Beifall für all die Held*innen und der Dank an Erzieher*innen, Lehrer*innen und Beschäftigte an den Hochschulen verklungen ist, werden wir uns nicht auf Anerkennung unserer Leistungen verlassen können, sondern nur auf unsere gemeinsame Kraft. Wie sehr die postulierte Wertschätzung zur Floskel wird, haben viele von uns in den letzten Wochen gelernt. Wenn wir nicht Verlierer der Verteilungsdebatte werden wollen, müssen wir stärker werden. Gewerkschaften sind mehr als Anbieter von Schlüsselversicherungen und werden dieser Tage so wichtig wie vor 30 Jahren.

Wer in den letzten Wochen das Agieren der Gewerkschaften im Bildungsbereich genau beobachtet hat, wird die Unterschiede schnell herausgefunden haben. Ich bin ziemlich stolz auf die Beratungen, Informationen und auf all die Interventionen, mit denen wir versucht haben, die Interessen unserer Mitglieder wirksam zu vertreten.

Das Kultusministerium wird irgendwann unsere täglichen Vorschläge, Kritiken oder Mahnungen vermissen. Auch bei diesem Austausch habe ich neue Erfahrungen gemacht. Zum einen ist in dieser Krisenzeit manches von dem, was wir angeregt haben, unkompliziert aufgenommen und umgesetzt worden. Zum anderen habe ich gelernt, wie groß das Engagement der Mitarbeiter*innen im SMK und im LaSuB in diesen Tagen ist, trotz eigener Sorgen und trotz Zugehörigkeit des einen oder anderen zur Risikogruppe. Ich weiß schon: Ein solches Kompliment ist in dieser Zeitschrift eher ungewöhnlich – es gehört zur Ehrlichkeit aber dazu. Und keine Sorge: dass wir uns nicht mit allen Vorschlägen durchgesetzt haben, finde ich immer noch falsch.

In den kommenden Wochen werden die nächsten Schritte aus dem Lockout folgen. Die ersten haben uns gelehrt, dass es keine richtigen Lösungen zu geben scheint, sondern nur weniger falsche. Jede Entscheidung, die gefällt wird, hat Vor- und Nachteile. Die wichtigste Richtschnur für unsere Entscheidungen kann nur der größtmögliche Schutz von Beschäftigten und zu Betreuenden bleiben. Dafür werden wir weiterkämpfen.

Bleibt gesund!                
Eure Uschi Kruse