Interview
Wie umgehen mit der AfD an unseren Schulen?
Anja Besand, Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden und Direktorin der John Dewey Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie (JoDDiD), hat im Januar dieses Jahres ein Positionspapier zu den Herausforderungen der politischen Bildung im Wahljahr 2024 veröffentlicht. Darin geht sie insbesondere auf die Frage zum Umgang mit der AfD an Schulen ein.
Frau Prof. Besand, Sie beginnen Ihr Positionspapier mit der Frage, ob die AfD zu Wahlforen eingeladen werden sollte. Wie lautet Ihre Antwort darauf: Können wir es in Sachsen wirklich verantworten, AfD-Vertreter*innen zu Wahlforen in Schulen einzuladen?
Ich würde dringend davon abraten in Bildungskontexten so zu tun, als wäre die AfD eine ganz normale Partei. Das ist sie nicht. Spätestens seit der Einstufung des sächsischen Landesverbandes als eindeutig rechtsextrem und seit den Enthüllungen des Correctiv Recherchenetzwerkes wissen wir, um was es hier geht: die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Strategie, die die AfD über Jahre – recht erfolgreich – verfolgt hat, sich als „normaler“ Teil des Pateienspektrums zu präsentieren und die letztlich auf die ausgefeilten Empfehlungen von Götz Kubitschek zurück geht, darf nicht länger aufgehen. Wir dürfen uns im Rahmen politischer Bildung nicht an der Normalisierung, Enttabuisierung und Verharmlosung menschenfeindlicher Positionen beteiligen. Dabei ist mir vollkommen bewusst, dass die Verwaltungsgerichtsurteile im Hinblick auf Podiumsdiskussionen mit Parteivertreter*innen im Vorfeld von Wahlen hier recht eindeutig sind.
Für uns in der Politischen Bildung kann das aber – aus meiner Sicht – nur heißen, dass wir keine solchen Veranstaltungen durchführen. Die Politische Bildung ist nicht der Steigbügelhalter der Politik. Politische Bildung ist ein Ort, an dem überparteilich und durchaus kritisch über Politik nachgedacht werden kann, und das können wir auch ohne Podiumsdiskussionen. Denn politische Bildung findet in einem wertgebundenen Rahmen statt. Dieser wertgebundene Rahmen ist in den Schulgesetzen, den Landesverfassungen und dem Grundgesetzt deutlich beschrieben. Darauf können und sollten wir uns berufen. Keine Podiumsdiskussionen mit Parteivertreter*innen durchzuführen heißt, übrigens auch, nicht Auseinandersetzungen und Debatten aus dem Weg zu gehen. Die Debatten müssen geführt werden und das werden sie auch – jeden Tag in der Schule mit Schülerinnen und Schülern, Kolleginnen und Kollegen sowie mit Eltern. Schulen sind gesellschaftlich betrachtet Orte, an denen unterschiedliche Konfliktlinien zusammentreffen. Wir haben es im Kontext von Pegida gesehen, im Kontext der Pandemie und des mörderischen Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine. Schulen sind Brennpunkte, in denen gesellschaftliche Debatten sichtbar werden und ausgetragen werden müssen. Aber dazu muss man sich nicht Kandidat*innen der AfD einladen.
Ein weiteres Thema, das im Text angesprochen wird, ist die Frage nach der Teilnahme von Schüler*innen an Demonstrationen gegen Rechts im Rahmen des Schulunterrichts. Unter welchen Bedingungen ist dies aus politikdidaktischer Sicht realisierbar?
In unserer Demokratie ist es naheliegend und plausibel, die Teilnahme an einer Demonstration als Interessenbekundung und politische Unterstützung der Anliegen eines Demonstrationsgeschehens zu interpretieren. Wir müssen deshalb darauf achten, dass junge Menschen im Rahmen aus staatlichen Institutionen heraus nicht den Eindruck erhalten, sie seien zu ganz bestimmten Interessensbekundungen mehr oder weniger verpflichtet. Was aber tun wir, wenn die Initiative zum Demonstrationsbesuch von den Schüler*innen selbst ausgeht? Selbst dann ist es in der von Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnissen durchzogenen Institution Schule nicht einfach für eine Lehrkraft sicherzustellen, dass der gesamte Klassenverband diesen Wunsch wirklich teilt.
Nichtsdestotrotz wäre es verfehlt, aus den Aussagen, die bis zu dieser Stelle formuliert wurden, abzuleiten, dass Lehrkräfte in keinem Fall und niemals mit ihren Schüler*innen während der Unterrichtszeit Demonstrationen besuchen dürfen. Aus einer politikdidaktischen Perspektive dürfen sie das durchaus, wenn sichergestellt ist, dass die Teilnahme an dieser schulischen Veranstaltung NICHT als Interessenbekundung verstanden werden kann. Schülerinnen und Schüler können, angeleitet durch ihre Lehrerinnen und Lehrer, an Demonstrationen im Rahmen von Erkundungen und sozialempirischen Projekten teilnehmen. Das klingt nach einer Spitzfindigkeit. Ist es aber nicht.
Vielleicht lässt sich das am besten an einem Beispiel erläutern. Im Herbst 2017 besuchte eine 10. Klasse des Pestalozzi Gymnasiums Dresden in Begleitung ihrer Gemeinschaftskundelehrerin an mehreren Montagen sowohl die Pegida und die No-Pegida Kundgebungen. Die Schüler*innen haben sich auf diese Besuche umfassend vorbereitet. Sie hatten Fragebögen entwickelt, die sie auf Klemmbrettern mit dabeihatten und mit deren Hilfe sie Teilnehmer*innen aus beiden Demonstrationsgruppen systematisch befragten. Sie positionierten sich, mit weißen Kitteln (aus dem Chemieunterricht) als Forscher*innen gekennzeichnet, zwischen den beiden politischen Lagern und richteten ihre Aufmerksamkeit mal auf die eine und dann wieder auf die andere Seite. Im Anschluss an die Erkundungen wurden auch Demonstrationsteilnehmer*innen in den Klassenraum eingeladen. Ich halte das für ein absolutes Musterbeispiel von gelungenem Gemeinschaftskundeunterricht in der Stadt Dresden. Während nicht wenige Lehrkräfte um das Thema Pegida einen großen Bogen gemacht haben, fand hier eine detaillierte und kritische Auseinandersetzung statt. Wichtig sind in diesem Zusammenhang aber tatsächlich a) eine gründliche Vor- und Nachbearbeitung, b) eine sichtbare Platzierung und Markierung der Erkundungsgruppe als Beobachter*innen und c) ein Rückhalt durch Schulleitung und Schulverwaltung. Wenn mit einer überschießenden Formulierung der Besuch von Demonstrationen im Klassenverband unter allen Umständen ausgeschlossen wird, werden solche Projekte nicht zustande kommen.
Sie thematisieren auch den Umgang mit Lehrkräften, die sich offen zur AfD bekennen oder sogar aktiv für sie engagieren. Welche Möglichkeiten sehen Sie, um sicherzustellen, dass der Unterricht politisch neutral bleibt und gleichzeitig demokratische Werte vermittelt werden?
Da haben wir es mal wieder das Missverständnis: Unterricht muss politisch nicht neutral bleiben. Die Schule organisiert Bildungsangebote, die überparteilich sind, aber wertgebunden. Die Werte sind die Werte des Grundgesetzes. Parteien oder Politik, die diesen Werten nicht entsprechen, kann und muss kritisch thematisiert werden. Auch in der Schule reagieren wir nicht neutral auf Rassismus oder Menschenfeindlichkeit. Jetzt zu Ihrer Frage: Denn die Auseinandersetzung mit dieser Frage ist besonders schmerzlich. Als Gesellschaft gehen wir davon aus, dass unsere Kinder in der Schule wertvolle Lernerfahrungen machen. In der Schule, das ist in der Landesverfassung und im sächsischen Schulgesetz geregelt, sollen junge Menschen auf ihre zukünftige Rolle als engagierte, tolerante, weltoffene und vor allem demokratische Bürgerinnen und Bürger vorbereitet werden. In Artikel 101 [Erziehungsziele] der sächsischen Verfassung ist in diesem Sinne zu lesen: „Die Jugend ist zur Ehrfurcht vor allem Lebendigen, zur Nächstenliebe, zum Frieden und zur Erhaltung der Umwelt, zur Heimatliebe, zu sittlichem und politischem Verantwortungsbewusstsein, zu Gerechtigkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zu beruflichem Können, zu sozialem Handeln und zu freiheitlicher demokratischer Haltung zu erziehen.“
Lehrkräfte können und sollen als orientierende Erwachsene Vorbilder sein. Das heißt: Selbstverständlich dürfen Lehrkräfte sich in Parteien engagieren, sich als Kandidat*innen nominieren lassen und damit auch in Wahlkämpfen sichtbar werden. Das passiert nicht oft, aber doch auch immer wieder. Für die in dieser Weise exponierten Lehrerinnen und Lehrer ist es nicht trivial – insbesondere, wenn sie das Fach Gemeinschaftskunde unterrichten – ihren Schüler*innen zu vermitteln, dass die politische Position, die sie sichtbar präferieren, in ihrem Unterricht keine Präferenz oder Priorität hat. Gleichzeitig wäre es aber auch naiv anzunehmen, dass sich diese Herausforderung nur dann stellt, wenn Lehrkräfte ihre politische Haltung durch Parteimitgliedschaft, Kandidatur oder Amt sichtbar gemacht haben. Die meisten Lehrerinnen und Lehrer haben politische Präferenzen, sie sichtbar zu machen, kann im Sinn der Herstellung von Transparenz für ausgewogene Bildungsprozesse sogar hilfreich sein. Lehrkräfte (zumal solche, die das Fach Gemeinschaftskunde unterrichten) wurden auf diese Herausforderung auch vorbereitet.
Es gehört zu ihrer beruflichen Professionalität nach Mitteln und Wegen zu suchen, die sicherstellen, dass eine offene politische Debatte auch in schulischen Umgebungen geführt werden kann. Instrumente dazu liegen mit dem Beutelsbacher Konsens in überaus etablierter und bewährter Form vor.
Wie ist das nun aber mit Lehrkräften, die Mitglieder in einer vom Verfassungsschutz als nachweislich rechtsextrem eingestuften politischen Gruppierung sind? Eine Gruppierung, die noch dazu in Geheimtreffen darüber nachdenkt, weite Teile der Bevölkerung (insbesondere der jüngeren) zu vertreiben?
Diese Frage bedarf einer gründlichen dienstrechtlichen und nicht allein einer politikdidaktischen Einschätzung. Es ist anzunehmen, dass die dienstrechtliche Beurteilung dieser Fälle herausfordernd ist – zumindest solange die AfD als Partei nicht verboten wurde. Als Gedankenspiel schlage ich trotz allem vor, sich einmal vorzustellen, wie wir in Sachsen damit umgehen würden, wenn eine Lehrkraft sich engagiert und sichtbar für eine Gruppe engagiert, die vom Verfassungsschutz als eindeutig dem religiös motivierten Extremismus zugeordnet wird? Was denken Sie – was würde dann passieren?
Lehrkräfte sind, sofern sie verbeamtet sind, in besonderer Weise der Verfassung verpflichtet. Aus diesem Grund muss aus meiner Sicht im Fall der für die AfD im Bundesland Sachsen sichtbar Kandidierenden schon die Frage gestellt werden, ob sich daraus dienstrechtlich Konsequenzen ergeben. Aber selbst wenn wir das Dienstrecht hier beiseite lassen und zugestehen, dass es sich bei Überlegungen, die sich auf die Möglichkeiten zur Ausübung beruflicher Tätigkeiten beziehen, um weit schwerwiegendere Entscheidungen handelt, als die Entscheidung, einen Personenkreis im Rahmen von Bildungsveranstaltungen NICHT einzuladen, stellt sich aus einer pädagogischen Perspektive durchaus die Frage, wie die Schülerinnen und Schüler in einem solchen Fall geschützt werden können (vgl. Behrens et al. 2021). In diesem Zusammenhang ist der Blick insbesondere auf die Schulleitungen zu richten – diese haben hier durchaus Möglichkeiten.
Welche Empfehlungen würden Sie Schulbehörden und Schulleitungen geben, um angemessen auf extrem rechte Lehrkräfte zu reagieren und die Sicherheit und das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten?
Vielleicht können wir das an einem Fall besprechen, der erst vor kurzem öffentlich diskutiert wurde. Es geht um eine Schule aus Ravensburg, in der Schüler*innen durch ein Graffiti deutlich gemacht haben, dass sie sich durch eine Lehrkraft, die sich für die AfD engagiert und öffentlich die rechtsextreme These von einem geplanten Bevölkerungsaustausch verbreitet, pädagogisch belästigt fühlen.
Der Fall macht zwei Dinge sichtbar. Zum einen reagieren die Schüler*innen in Ravensburg bereits auf die durch das Recherchenetzwerk Correctiv veröffentlichten Information, dass Mitglieder der AfD Pläne zur Vertreibung weitreichender Teile der Bevölkerung schmieden. Die AfD verliert spätestens mit dieser Veröffentlichung ihre bürgerlich/konservative Anmutung und wird als rechtsradikale Organisation sichtbar.
Das beunruhigt Schüler*innen – insbesondere, wenn sie von einer Lehrkraft unterrichtet werden, die sichtbar mit dieser Partei und den entsprechenden Ideen sympathisiert. Das heißt: Wir werden in naher Zukunft mehr und mehr solcher Auseinandersetzungen an Schulen führen müssen. Schulleitungen und Bildungsverwaltung müssen sich darauf vorbereiten! Sie müssen die Beschwerden der Schüler*innen ernst nehmen und nicht nur als Dienstherren und damit Arbeitgeber*innen handeln, sondern auch ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Schüler*innen nachkommen. Das ist überhaupt nicht einfach aber der Ravensburger Fall zeigt deutlich wie solche Fälle bislang gehandhabt werden:
Phase 1: Die Schüler*innen machen oft in verhältnismäßig verzweifelter Weise ein Problem sichtbar, dass bis zu diesem Zeitpunkt nur im geschlossenen Klassenraum verhandelt werden konnte. Im konkreten Fall geschieht das durch ein Graffiti, welches neben dem Schuleingang auf die Gebäudemauer gesprayt wird. „AfD Unterricht Nein Danke“ ist dort jetzt zu lesen. Nicht selten wenden sich die betroffenen Schüler*innen vor solchen Akten von Öffentlichmachung an andere Lehrkräfte, zuweilen sogar an die Schulleitung. Im Regelfall erfolgen im Vorfeld aber zunächst Beschwichtigungen. Lehrkräfte sehen oft wenige Möglichkeiten, in den Unterricht von anderen Lehrkräften einzugreifen.
Phase 2: Nach der Veröffentlichung von Beschwerden ist die Schulleitung gefragt. Aber auch sie sieht für sich oft keinerlei Handlungsspielräume. Die Argumentation, die von der Ravensburger Schulleitung genutzt wird, ist in diesem Zusammenhang typisch. Das politische Engagement der Lehrkraft ist deren Privatsache, solange sie sich in einer demokratisch wählbaren Partei engagiert. Jede Lehrkraft hat das Recht, sich als Privatperson politisch zu engagieren, solange sich dieses Engagement nicht gegen die Verfassung richtet.
Demokratisch wählbar oder im Rahmen der freiheitlichen demokratischen Verfassung, das sind, wie bereits ausgeführt, allerdings zwei unterschiedliche Dinge. Sichtbar wird hier allerdings die Entscheidung darüber, wie mit der Lehrkraft zu verfahren ist, liegt nicht im Ermessen der Schulleitung.
Sie demonstriert für die Schüler*innen damit weiterhin Hilflosigkeit. Falls es nachweislich zur politischen Beeinflussung im Unterricht gekommen sein sollte, kann die Schulbehörde ein Gespräch mit der entsprechenden Lehrkraft führen. Damit sind wir in Phase 3, alles geht weiter wie gehabt.
Die Schule, die wir so gerne als Polis begreifen und im Hinblick darauf hoffen, dass unsere Kinder Schritt für Schritt demokratische Erfahrung sammeln können, erweist sich hier als ziemlich zahnloser Tiger. Ich sage das in voller Anerkennung der Arbeit der Lehrkräfte, die keine Angst haben sollten, sich in der Schule zu äußern, lebendige politische Debatten zu führen, in denen durchaus auch eigene Werturteile und Haltungen sichtbar werden dürfen. Ich sage das voller Respekt für die Schulleitungen, die tatsächlich häufig nicht zu entscheiden haben, ob eine Lehrkraft weiter beschäftigt werden sollte oder nicht. Selbst aus einer schulverwaltungs- und ministeriellen Perspektive sind solche Fälle nicht leicht.
Ich möchte aber einen Punkt sehr klar hervorheben: Wenn solche Konflikte im schulischen Umfeld sichtbar werden, dürfen sie nicht einfach so versanden. Die Bedenken der Schüler*innen sind ernst zu nehmen und müssen Gehör finden und mindestens pädagogisch bearbeitet werden. Die Schulen werden das ohne Unterstützung nicht schaffen.
Unterstützend wäre ein Parteiverbotsverfahren. Aber auch ohne ein solches Verfahren muss in den Ministerien eine klare Haltung sichtbar werden, die den betroffenen Schüler*innen und Lehrer*innen sowie ihren Schulleiter*innen hilft, die herausfordernden Debatten, die in diesem Kontext zu führen sind, vor Ort auch wirklich zu führen. Denn so viel können wir aus unseren Forschungen an der TU Dresden ganz sicher sagen: Es gibt sehr viele Schulen, an denen Schüler*innen in Sachsen solche Erfahrungen machen (vgl. Behrens et al. 2021) und bislang sind sie damit weitgehend allein.
Literaturempfehlung:
Rico Behrens, Anja Besand, Stefan Breuer (Herausg.)
„Politische Bildung in reaktionären Zeiten“
Wochenschau-Verlag
Frankfurt/Main 2021
ISBN: 978-3-7344-1135-9
GEW Sachsen und AfD sind unvereinbar!
Beschluss des Landesvorstandes der GEW Sachsen vom 20. Januar 2024 |