Zum Inhalt springen

Bildungsgerechtigkeit

Was ist aus dem Dresdner Runden Tisch „Bildungsgerechtigkeit“ geworden?

Auf Einladung von GEW Sachsen, DGB, Teach First und DKJS hatten sich am 2. September 2021 knapp 80 Teilnehmende aus der Dresdner Bildungslandschaft im Dresdner Gewerkschaftshaus zum 1. Dresdner Runden Tisch „Bildungsgerechtigkeit“ versammelt. Ziel war die Vernetzung der Akteur*innen in Dresden – von Praktiker*innen über Wissenschaftler*innen bis zu Politiker* innen und Entscheidungsträger*innen – sowie die Formulierung von Zielvorstellungen für nachhaltige Veränderungen in Richtung fairer Bildungschancen für alle.

Welche Aktivitäten hat es bisher gegeben?

In der Folge des 1. Runden Tisches Bildungsgerechtigkeit wurde von anwesenden Schulleitungen das Netzwerk Dresdner Schulen für Bildungsgerechtigkeit gegründet, um auf die besonderen Bedarfe für eine gelungenen Teilhabe unabhängig von der Herkunft aufmerksam zu machen. Das Netzwerk verbindet aktuell 16 Schulleiterinnen und Schulleiter Dresdner Grund- und Oberschulen. Ein Schwerpunkt der Vernetzung sind insbesondere die negativen Auswirkungen der anhaltend schwierigen Personalsituation an Schulen, an denen sich besondere sozialen Aufgaben immer weiter verdichten. Die Schulleitungen fordern eine „dialogische Einbindung und Partizipation schulischer Führungskräfte an Entscheidungsprozessen zu den Themen Integration und Inklusion“.

Welche Ergebnisse gibt es schon?

Als GEW haben wir in den Monaten nach dem Runden Tisch verschiedene positive Rückmeldungen von Kolleg*innen aus verschiedenen Grund- und Oberschulen erhalten. Vor allem das Schulverwaltungsamt der Stand Dresden hätte nach Aussage unserer Mitglieder auf einige der am 02.09.2021 formulierten Bedarfe der Schulen reagiert. 
Berichtet wurde von außerplanmäßigen Angeboten, das Außengelände von Schulen in Gorbitz durch neue Spielgerüste und Bänke aufzuwerten. Auch in Bezug auf die Ausstattung mit digitalen Endgeräten haben Schulen in besonderen Lagen die Information bekommen, dass die Ausrüstung früher erfolgen kann, als ursprünglich angekündigt. Für die 135. Grundschule wurden 25.000 Euro bereitgestellt, um eine seit Jahren geforderte Lärmsanierung vorzunehmen. Diese Beispiele ließen sich fortsetzen.

Dass die Stadt und das Schulverwaltungsamt dem Thema Bildungsgerechtigkeit offenbar künftig einen hohen Stellenwert zubilligen will, wird auch deutlich an der aktuellen „Fortschreibung der Kommunalen Bildungsstrategie“ der Landeshauptstadt Dresden. Es soll nicht nur das bereits seit 2018 eingeführte Familienklassenzimmer an weiteren Schulen angeboten werden. Es wurde auch die Forderung des 1. Runden Tisches Bildungsgerechtigkeit aufgenommen, dass die Landeshauptstadt künftig mehr Verantwortung übernehmen soll für die Infrastruktur von Schulen in Stadtteilen mit besonderen sozialen Belastungen.

Zur schulischen Infrastruktur gehört die bauliche Ausstattung inklusive Lärmschutz, die Gestaltung der Außengelände, die Ausrüstung mit digitalen Endgeräten für Lernende und Lehrkräfte, die Sachkosten für die Lehr- und Lernmittel, die Bereitstellung von Räumen für Hort und Schulsozialarbeit genauso wie das Personal für die Schulsekretariate. Bisher gab es keine Vorgaben dafür, nach welchen Prioritäten die städtischen Mittel für die Schulen ausgegeben werden.

In der Wahrnehmung vieler Kolleg*innen sind Gymnasien oder Altbauschulen in den wohlhabenden Stadtvierteln in den vergangenen Jahren oftmals mit mehr Aufwand saniert worden, als die Oberschulen oder Plattenbauten in sozial belasteten Stadtvierteln. Eine fehlende Prioritätensetzung in sozialer Hinsicht wurde auch beim 1. Runden Tisch Bildungsgerechtigkeit mehrfach kritisiert. Genannt wurden unter anderem fehlende große Räume für kulturelle Projekte selbst in gerade sanierten oder neugebauten Oberschulen oder fehlende spezielle Lehr- und Lernmittel für die individuelle Förderung von neu zugewanderten Kindern in DAZ-Schwerpunkschulen. 

Gefordert wurde daher eine verbindliche Prioritätensetzung bei der Ressourcenzuweisung aufgrund eines Sozialindexes. Im Handlungsfeld 3 der aktuellen „Fortschreibung der Kommunalen Bildungsstrategie“ ist nun eine stärkere Berücksichtigung eines noch zu erarbeitenden einheitlichen Sozialindexes bei der Ressourcenzuweisung festgeschrieben worden. Damit würde eine wesentliche Forderung des 1. Runden Tisches umgesetzt werden.

In die Verantwortung des LASUB Standtortes Dresden gehört die positive Nachricht, dass an Schulen mit besonderen sozialen Herausforderungen die Klassen nicht mit bis zu 28 Kindern und Jugendlichen aufgestockt wurden. Es gab dafür an einigen Schulen offenbar Sondergenehmigungen von Schulreferent*innen beispielsweise statt drei Klassen vier Klassen zu bilden, um so besser auf die Bedürfnisse der Schüler*innen eingehen zu können. 

Um eine offizielle neue Linie in Bezug auf die Zuweisung von Ressourcen für besonders herausgeforderte Schulen soll es sich dabei aber nicht handeln. Vielmehr besteht in den Kollegien die Befürchtung, dass diese zunächst kleineren Klassen im Laufe des Schuljahres durch geflüchtete Kinder aus der Ukraine wieder aufgestockt werden, so dass sich die Bedingungen für eine intensive Förderung wieder verschlechtern.

Sind wir mit dem bisherigen Stand zufrieden?

In Bezug darauf, wie die Landeshauptstadt Dresden sich dem Thema Bildungsgerechtigkeit in den letzten Monaten angenommen hat – sei es durch flexible materielle Unterstützungsangebote für ausgewählte Schulen, sei es durch die explizite Aufnahme eines Konzeptes für die indexbasierte Ressourcenzuweisung in die Fortschreibung der Bildungsstrategie – sind die Erwartungen übertroffen worden. In den letzten Jahren fanden bereits viele Veranstaltungen an einzelnen Schulen oder in den Stadtbezirken zum Thema statt, ohne dass die Betroffenen auch nur einen Willen gespürt haben, dass ihre Sichtweise anerkannt würde.
Es muss aber auch festgestellt werden, dass es sich bei der nun vorliegenden Fortschreibung der Bildungsstrategie zunächst nur um die Fachplanung handelt. Die Finanzierung der einzelnen Maßnahmen ist noch nicht finanziell im städtischen Haushalt unterlegt. Hier werden in Zukunft jeweils Mehrheiten im Stadtrat für eigenständige Finanz­anträge gefunden werden müssen, beispielsweise bei der Aufstockung von Ressourcen für die Sekretariate von Schulen, die ganzjährig Anmeldungen von migrierten und geflüchteten Schüler*innen oder besonders häufig Anträge für die sonderpädagogische Förderung bearbeiten.

Deutliche Reserven sehen wir bei den Bemühungen von LASUB und SMK in Bezug auf die Sicherstellung der verschiedenen Stunden für individuelle Förderung bzw. für die Förderung in Teilgruppen. Der Wegfall von Stunden für die Inklusion, für den Anfangsunterricht, für Deutsch als Zweitsprache und die Streichungen im Ergänzungsbereich treffen Schulen in schwierigen sozialen Lagen besonders hart. Nicht zuletzt nach der Pandemie sind Schüler*innen ohne starke familiäre Unterstützung auf eine individuelle Lernbegleitung zusätzlich zum Klassenunterricht angewiesen, um Abschlüsse erfolgreich zu meistern. Diese Ressourcen werden immer noch nach dem Gießkannenprinzip bei allen Schulen gekürzt, ohne die ungleichen Bedarfe anzuerkennen.
Im aktuellen Doppelhaushalt 2023/24 wurden zudem die Stellen für die Schulassistenz eingefroren, statt ausgeweitet. Bis zum Schuljahr 2024/25 sollte laut Koalitionsvertrag jede zweite Schule durch Schulassistenz unterstützt werden. Aktuell gibt es an 480 der 1.400 sächsischen Schulen das Programm Schulassistenz.
Angesichts der hohen Ausfallzahlen im Bereich DAZ und der Rückmeldungen der Schulen, dass das seit 2010 existierende Integrationskonzept unter den Bedingungen des Lehrkräftemangels kaum noch umzusetzen ist, war im Koalitionsvertrag zudem vereinbart worden, dass die Vorgaben für den DAZ-Unterricht in Sachsen evaluiert und überarbeitet werden. Das wurde noch nicht umgesetzt.
Schon im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung war vereinbart worden, dass das Kultusministerium ein Konzept vorlegt, wie Schulen mit besonderen Bedarfen ausgehend von definierten sozialräumlichen Kriterien auch in Sachsen unterstützt werden sollen. Hierzu sollte zum Ende des Jahres 2021 ein Modell für eine sozialindexbasierte Ressourcenzuweisung erarbeiten werden. Das wurde noch nicht umgesetzt. 
Die Strategie des Landesamtes für Schule und Bildung (LASUB) der letzten Jahre, nicht alle offenen Stellen in Dresden und Leipzig auszuschreiben, um dadurch ausgebildete Bewerber*innen zu zwingen, im ländlichen Raum eine Stelle anzunehmen, trägt dazu bei, den Mangel an den städtischen Schulen mit besonderen Herausforderungen weiter zu verschärfen. Ein Nachweis, dass der Versuch, den Mangel dadurch gleichmäßiger in Sachsen zu verteilen, tatsächlich gelungen ist, steht im Übrigen aus. Alles spricht dafür, dass die Absolvent*innen sächsischer Hochschulen sich stattdessen in Großstädten anderer Bundesländer bewerben.
Während also seitens der Landeshauptstadt bei den Kolleg*innen ankommt, dass es ernsthafte Bemühungen gibt, die immer wieder artikulierten besonderen Bedarfe anzuerkennen und auch entsprechende systematische Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln, fühlen sie sich seitens der Schulaufsicht allein gelassen. Es besteht an den Schulen der Eindruck, dass in SMK und LASUB unbeirrt von Protesten, vom Koalitionsvertrag und von Studien zu Bildungsbenachteiligung an der Einstellung festgehalten wird, dass das Gießkannenprinzip in Bezug auf die Ressourcenzuweisung alternativlos ist. 
Genannt wird von Vertreter*innen der Schulaufsicht immer wieder die Befürchtung, dass Eltern in nicht benachteiligten Stadtteilen Sturm laufen könnten, wenn durch eine index­basierte Ressourcenzuweisung an Gymnasien und bisher bessergestellten Standorten Einschnitte spürbar werden würden. 

Gab es Hürden für die Initiator*innen des Runden Tisches?

Bisher hat noch kein 2. Dresdner Runder Tisch Bildungsgerechtigkeit stattgefunden. Die Verschärfung der Auswirkungen der Pandemie an den Schulen in Herbst und Winter und der Aufnahme der geflüchteten Familien aus der Ukraine seit dem Frühjahr beschäftigte sehr intensiv alle, die mit Schule in Dresden zu tun haben inklusive der Initiator*innen des Dresdner Runden Tisches. Gleichzeitig gab es die Gründung des Netzwerkes Bildungsgerechtigkeit der Schulleitungen und die intensive Aufnahme des Themas im neukonstituierten Dresdner Bildungsbeirat. Daher wurde seitens der Initiator*innen im Schuljahr 2021/22 auf die Ausrichtung eines 2. Dresdner Runden Tisches Bildungsgerechtigkeit verzichtet. Eine Doppelung von Debatten und die Überforderung der Adressat*innen sollte vermieden werden und alle Beteiligten sollten Zeit bekommen, Schlüsse aus den zu Beginn des Schuljahres formulierten Perspektiven zu ziehen.

Wie soll es weitergehen?


Für uns besteht kein Zweifel, dass das Thema Bildungsgerechtigkeit auch in Zukunft kein Selbstläufer sein wird. Schulen in benachteiligten Lagen sind in Krisen äußerst gefordert: Die Familien an den Schulen sind von der Inflation am stärksten betroffen. Ihre Alltagssorgen wirken sich auf das Lernverhalten der Kinder unmittelbar aus. Die geflüchteten und viele migrierte Menschen finden ihre erste Wohnung in sozial benachteiligten Stadtvierteln und in Zeiten des Lehrkräftemangels bleiben die Stellen in den sogenannten Brennpunktschulen am längsten unbesetzt.
„Indexbasierte Ressourcenzuweisung“ bedeutet praktisch Umverteilung. Diese muss politisch erstritten werden. Studien, Zahlen und Argumente allein, werden keine Abkehr vom Gießkannenprinzip bewirken. Ein Runder Tisch ermöglicht die Artikulation von Kritik oder auch Protest derjenigen, die von behördlichen Entscheidungen in der Regel ausgeschlossen sind. Als REFAMI sehen wir die Notwendigkeit für einen 2. Runden Tisch Bildungsgerechtigkeit auch in diesem Schuljahr.

Juri Haas
Ehrenamtliches Leitungsteam
Referat Antidiskriminierung, Migration und Internationales (REFAMI)

Kontakt
Juri Haas
Leiter der Landesrechtsschutzstelle
Adresse (Lehrer an der 10. Grundschule Dresden)
GEW Dresden
Adresse Schützenplatz 14
01067 Dresden
Telefon:  0351 16092669