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Rechtliche und formale Fragen

Vorfälle mit rechtsextremer Motivlage an öffentlichen Schulen

Die Landesrechtsschutzstelle der GEW beraten ihre Mitglieder zu Fragen des Arbeitsrechts. In diesem Beitrag geht es um Fragen mit Bezug auf „Rechtsextreme Vorkommnisse“.

Welche politischen Positionen können auf eine rechtsextreme Motivlage hinweisen?

Rechtsextreme Positionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie 1) – mit Gewalt oder ohne – die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen, beseitigen oder einschränken wollen. Kern von rechtsextremen Positionen ist 2) ein national-völkisches Gesellschaftsbild, das einher geht mit der rassistischen, antisemitischen, antiziganistischen, klassistischen, homophoben und/oder transfeindlichen Abwertung von Menschen, die als different zum „deutschen Volk“ gedacht werden. 3) Die Menschenwürde und Rechtsgleichheit unterschiedslos aller Menschen – und damit das Fundament der freiheitlich demokratischen Grundordnung – wird in Frage gestellt. 4) Rechtsextreme Positionen sind gekennzeichnet durch einen politischen Autoritarismus, basierend auf der Idee eines einheitlichen Volkswillens, der durch eine einzige Partei oder einen Führer am besten repräsentiert werden könne. 5) Typisches Merkmal rechtsextremer Positionen ist außerdem das Verschweigen, Verharmlosen oder Leugnen der Verbrechen des Nationalsozialismus. 6) Rechtsextreme Positionen setzen kein geschlossenes Weltbild voraus oder müssen in allen Punkten übereinstimmen mit der Ideologie des historischen Nationalsozialismus. (Cremer 2019, S. 6ff.)

 

Welche Tatbestände des Strafgesetzbuches (StGB) können bei rechtextremen Vorfällen eine Rolle spielen?

  • In der Schule können insbesondere folgende Delikte eine Rolle spielen (keine abschließende Aufzählung):
  • Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung (§§ 185, 186, 187 StGB)
  • Propagandadelikte und Volksverhetzung (§§ 86, 86a, 130, 192a StGB)
  • Sachbeschädigung und Brandstiftung (§§ 303, 306 StGB)
  • Nötigung und Körperverletzung (§§ 240, 223, 224, 226 StGB).

Auch bei Körperverletzungsdelikten ist bereits der Versuch strafbar. Rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Beweggründe werden strafschärfend berücksichtigt (§ 46 Absatz 2 StGB).
Kindern unter 14 Jahren (§ 19 StGB) sind zwar schuldun­fähig. Der Sachverhalt wird von den Behörden jedoch dahin­gehend geprüft, ob an der Tat strafmündige Personen beteiligt waren oder eine Verletzung von Fürsorge- und Erziehungspflichten vorliegt.

 

Habe ich als Lehrkraft einen Ermessenspielraum, ob ich Äußerungen, Schmierereien oder Gewalttaten mit möglicherweise rechtsextremer Motivlage an die Schulleitung melde?

Nein, denn gemäß § 42 Abs. 1 SächsSchulG sorgen die Schulleiter*innen für einen geregelten und ordnungsgemäßen Schulablauf und tragen die Verantwortung für die Einhaltung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie der Hausordnung und der Konferenzbeschlüsse. Sie müssen daher über mög­licherweise strafbare Handlungen an der Schule unmittelbar in Kenntnis gesetzt werden, damit sie diese prüfen und ggf. Maßnahmen ergreifen können. Die Meldepflicht wiegt hier stärker als die Schweigepflicht von Lehrkräften (vgl. Polizeidirektion Görlitz 2018).
Praxistipp: In der Schule kommt es immer wieder vor, dass auch wichtige Mitteilungen mündlich zwischen Tür-und-Angel erfolgen oder als kleiner Notizzettel auf dem Gang in die Hand gedrückt werden. Für wichtige administrative oder schulorganisatorische Informationen ist die Nutzung der Emailfunktion des Schulportals alternativlos.

 

Müssen auch rechtsextreme Schmierereien und Äußerungen im Unterricht von der Schulleitung als besonderes Vorkommnis an das SMK gemeldet werden?

Ja. In der Dienstanweisung zur „Regelung der Meldewege bei besonderen Vorkommnissen“ vom 21.07.2014 ist geregelt, dass neben Gewalttaten und Sachschäden auch die Aktivitäten rechtsextremer Gruppierungen gemeldet werden müssen; sowie jegliche Störungen, die den Schulbetrieb negativ beeinträchtigen. Zu diesen Störungen gehören sämtliche Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund.
In der Handreichung des LASUB von 2019 „Herausforderungen politischer Bildung und pädagogischen Handelns an sächsischen Schulen. Eine Fallbeispielsammlung“ weist ausdrücklich darauf hin, dass auch Schmierereien mit verfassungsfeindlichen Symbolen (z.B. SS-Runen), volksverhetzende Äußerungen im Unterricht (z.B. xy „müssten vergast werden“) oder rassistische Beleidigungen in sozialen Netzwerken als besonderes Vorkommnis von den Schulleiter*innen gemeldet werden müssten.

 

Müssen rechtsextreme Vorfälle mit strafrechtlicher Relevanz von der Schule grundsätzlich zur Anzeige gebracht werden?

Nein. Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung sind in der Regel sogenannte Antragsdelikte, die nur auf Antrag der Geschädigten verfolgt werden können. Bei weniger schweren Straftaten kann die Schule aus pädagogischen Gründen auch von einer Anzeige absehen, z.B. bei Sachbeschädigungen oder einfacher bzw. geringfügiger Körperverletzung. Das gilt auch für weniger schwere Propagandadelikte und Volksverhetzung (vgl. Polizeidirektion Görlitz 2018, S. 6). Eine Anzeige ist immer aber dann geboten, wenn die schulischen Maßnahmen nicht wirksam sind, um das Verhalten der betroffenen Schüler*innen zu ändern. Eine Anzeige ist ebenso geboten, bei schweren Straftaten wie gefährliche Körperverletzung, Verstöße gegen das Waffengesetz oder Brandstiftung und oder Kenntnis geplanter schwerer Straftaten (ebenda).

 

Sollten Schulen auf rechtsextreme Vorfälle mit strafrechtlicher Relevanz grundsätzlich mit einer Ordnungsmaßnahme nach § 39 Sächsisches Schulgesetz (SächsSchulG) reagieren?

Ja. Gemäß § 1 SächsSchulG unterrichten und erziehen Schulen Kinder und Jugendliche auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Sächsischen Verfassung. (Abs. 1) Sie haben den Auftrag eine freiheitlich demokratische Haltung zu vermitteln (Abs. 2). Dabei sollen die Schüler*innen insbesondere lernen: „allen Menschen vorurteilsfrei zu begegnen, unabhängig von ihrer ethnischen und kulturellen Herkunft, äußeren Erscheinung, ihren religiösen und weltanschaulichen Ansichten und ihrer sexuellen Orientierung sowie für ein diskriminierungsfreies Miteinander einzutreten (Abs. 5, Nr. 4) sowie „Ursachen und Gefahren der Ideologie des Nationalsozialismus sowie anderer totalitärer und autoritärer Regime zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken“ (Abs. 5, Nr. 4).
Äußerungen und Handlungen mit rechtsextremer Motivlage in der Schule oder durch Schüler*innen in Klassenchats gefährden die Einhaltung und Erfüllung des in § 1 SächsSchulG festgeschriebenen Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schulen erheblich. Auch mit Blick auf die Wiederherstellung des Schulfriedens ist davon auszugehen, dass eine Beschränkung auf Erziehungsmaßnahmen in der Regel nicht ausreichend ist (vgl. LASUB, Fallsammlung 2019, z.B. S. 4).
Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren schließt eine schulische Ordnungsmaßnahme nicht aus. Da schulische Ordnungsmaßnahmen einen anderen Zweck als strafrechtliche Maßnahmen verfolgen, handelt es sich nicht um eine Doppelbestrafung (ebenda).

 

Kann ich mich als Lehrkraft oder Schulleitung bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft unverbindlich darüber informieren lassen, ob ein konkretes Vorkommnis an meiner Schule strafrechtlich relevant ist?

Nein. Aufgrund des Legalitätsprinzips nach § 163 Strafprozessordnung (StPO) sind Polizei und Staatsanwaltschaft – anders als Lehrkräfte bzw. Schulen – verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, sobald sie konkrete Informationen erhalten, auch wenn es sich nur um eine erste unverbindliche Nachfrage zur strafrechtlichen Relevanz eines Vorfalles gehandelt hat.
Berichten von Kolleg*innen zufolge sind einige Polizist*innen und Staatsanwält*innen aber nicht selten bereit, eine Einschätzung zu geben, wenn ein Vorkommnis im Konjunktiv angefragt wird: „Wäre es strafbar, wenn Schüler*innen XY tun würden?“

 

Was ist bei der Anzeige eines rechtsextremen Vorfalls bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft durch die Schule zu beachten?

  1. Opferschutz: Bei allen pädagogischen und rechtlichen Maßnahmen der Schulen sollten die Rechte der Opfer und deren Unterstützung im Zentrum stehen. Fachliche Hilfe bietet zum Beispiel die Beratungsstelle „Support für Opfer rechter Gewalt“: https://www.raa-sachsen.de/support
  2. Zuständigkeit der Schulleitung: Die Anzeige bei der Polizei obliegt allein den Schulleiter*innen, denn diese vertreten die Schule nach außen und sie tragen die Verantwortung für die Einhaltung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften an der Schule (§ 42 Abs. 1 SächsSchulG). 
  3. Transparenz für die Eltern herstellen: Die Eltern und Sorgeberechtigten sind über die Anzeige und den Vorfall durch die Schulleitung unbedingt zeitnah zu informieren.

 

Ist auch eine anonyme Information der Polizei oder Staatsanwaltschaft über einen rechtsextremen Vorfall möglich?

Ja. Ermittlungsbehörden müssen auch anonymen Hinweisen nachgehen, wenn sie diese für plausibel halten und bei dem Delikt eine Anzeige möglich ist. Da ggf. die Möglichkeit besteht bei telefonischen und Online-Anzeigen die Initiator*innen nachzuvollziehen, ist eine schriftliche Anzeige vorzuziehen. Wenn die Angst vor Bedrohungen durch Tatverdächtige besteht, ist es auch möglich, die Polizei darauf hinzuweisen, dass der Name und die Adresse während der Ermittlungen geheim bleiben soll. In diesem Fall kann die Adresse der Schule, einer anwaltlichen Kanzlei oder eines Vereins angegeben werden. Kommt es zum Verfahren, wird der Name allerdings spätestens dann bekannt.

 

Welche Rechte haben die Geschädigten im Falle einer Tat mit rechtsextremem Hintergrund?

Unabhängig von einer möglichen Anzeige durch die Schule oder von der Schule eingeleiteten Ordnungsmaßnahmen haben die Geschädigten (im Falle deren Minderjährigkeit die Eltern oder Sorgeberechtigten) das Recht, bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft einen Strafantrag zu stellen. Anders als eine Strafanzeige kann ein Strafantrag seitens der Geschädigten wieder zurückgezogen werden. Auf zivilrechtlichem Wege oder im Rahmen eines sogenannten Adhäsionsverfahrens innerhalb des Strafverfahrens können Geschädigte zudem Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche geltend machen. 
Praxistipp: Wenn es einen strafrechtlich relevanten Vorfall gab, der sich gegen eine Lehrkraft richtete, kann dieser Vorfall von der Lehrkraft selbst gleichzeitig auch an den zuständigen Lehrer-Bezirkspersonalrat gemeldet werden. Dieser kann dabei helfen, dass seitens der Schulleitung und des LASUB alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um die Lehrkraft zu unterstützen.
 

Quellen:
Cremer, Hendrik: Das Neutralitätsgebot in der Bildung. Neutral gegenüber rassistischen und rechtsextremen Positionen von Parteien?, Berlin 2019.
Landesamt für Schule und Bildung (LASUB): Herausforderungen politischer Bildung und pädagogischen Handelns an sächsischen Schulen. Eine Fallbeispielsammlung, Chemnitz 2019.
Polizeidirektion Görlitz (in Kooperation mit dem Standort Bautzen des Landesamtes für Schule und Bildung): Häufig gestellte Fragen bei Straftaten von Kindern und Jugendlichen im schulischen Bereich, Görlitz 2018.
https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier­rechtsextremismus/206018/rechtsextremismus-und-hate-crime-gesetze/
https://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/extremismus/rechtsextremismus/rechts-verstoesse/#panel-16845-0
https://www.schule.sachsen.de/rechtliche-grundlagen-4796.html
https://www.wolterskluwer.com/de-de/expert-insights/umgang-mit-rechtsextremen-parolen-der-schule-1

Kontakt
Juri Haas
Leiter der Landesrechtsschutzstelle
Adresse Nonnenstr. 58
04229 Leipzig
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