Schulrecht
Trans*, inter* und nichtbinäre Schüler*innen in der Schule
Trans*, inter* und nichtbinäre (im Folgenden: TIN*) Schüler*innen können heute viel offener ihre geschlechtlichen Identitäten benennen und ausleben als in früheren Generationen. Trotzdem erleben sie im Schulalltag oft Diskriminierung, sowohl von Mitschüler*innen als auch von Lehrkräften und Schulleitung.
Hinzukommen können Belastungen durch nichtunterstützende Elternhäuser. TIN* Schüler*innen sind damit eine besonders vulnerable Gruppe innerhalb der Schulgemein-schaft und darauf angewiesen, von ihren Lehrer*innen Unterstützung zu erfahren. Gleichzeitig befinden sich unterstützende Lehrkräfte oft in der schwierigen Position, zwischen Schulleitung, Eltern, Kollegium und den betroffenen Schüler*innen vermitteln und in diesem Zusammenhang auftauchende komplexe Rechtsfragen lösen zu müssen. Das folgende FAQ soll einige häufig auftauchende rechtliche Fragen beantworten.
Exkurs: Was bedeutet trans*, inter* und nichtbinär?
Trans* und nichtbinäre Menschen haben geschlechtliche Identitäten, die nicht oder nicht vollständig mit dem Geschlecht übereinstimmen, das bei ihrer Geburt beurkundet wurde. Die geschlechtliche Identität beschreibt die individuelle Wahrnehmung des eigenen Geschlechts. Nichtbinarität bezeichnet geschlechtliche Identitäten, die außerhalb der binären Geschlechterkategorien „Mann“ und „Frau“ liegen. Nichtbinäre Menschen können trans* sein, aber nicht alle trans* Menschen sind nichtbinär.
Menschen, deren geschlechtliche Identität mit ihrem bei der Geburt beurkundeten Geschlecht übereinstimmt, werden demgegenüber als cis bzw. cisgeschlechtlich bezeichnet. Inter* Personen haben Körper, die sich hinsichtlich ihrer chromosomalen, hormonalen oder anatomischen Merkmale nicht eindeutig in eine der Geschlechtskategorien „männlich“ oder „weiblich“ einordnen lassen. Inter* Personen können hinsichtlich ihrer geschlechtlichen Identität trans*, cis oder nichtbinär sein.
1. Dürfen sich Schüler*innen ihre Namen und Pronomen einfach aussuchen?
Ja. Der Art. 2 Abs. I in Verbindung mit dem Art. 1 Abs. I des Grundgesetzes schützt die geschlechtliche Identität als Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (BVerfG NJW 2017, 3643). Dazu gehört, dass TIN* Personen Namen und Pronomen für sich auswählen können, die mit ihrer geschlechtlichen Identität korrespondieren. Das Allgemeine Persönlich-keitsrecht hat keine Altersgrenze; auch Kinder sind also Grundrechtsträger*innen und haben das Recht, ihre geschlechtliche Identität zu finden und auszudrücken.
2. Muss ich den Eltern mitteilen, wenn sich ihr Kind bei mir als TIN* geoutet hat?
Nein. Zwar sind Schulen nach § 1 Abs. 1 S. 2 Sächsisches Schulgesetz zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Eltern zur Verwirklichung des Erziehungs- und Bildungsauftrags verpflichtet und dürfen daher nicht ohne Beteiligung der Eltern Entscheidungen treffen oder relevante Informationen über die Entwicklung des Kindes zurückhalten. Dies muss aber seine Grenze finden, soweit das Kindeswohl durch die Mitwirkung der Eltern gefährdet wird, da die Förderung des Kinder- und Jugendschutzes in § 50a Abs. 1 SächsSchulG unter Verweis auf das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) auch explizit zur Aufgabe von Lehrkräften gemacht wird. Outet sich ein*e TIN* Schüler*in bei einer Lehrkraft, ohne zuvor mit den eigenen Eltern gesprochen zu haben, sollte zunächst mit dem*der Schüler*in genau besprochen werden, was die Gründe dafür sind.
Ein Outing im familiären Kontext ist auch heute noch mit erheblichen Gefahren für die körperliche und psychische Gesundheit von TIN* Kindern und Jugendlichen verbunden. TIN* Personen sind statistisch gesehen häufiger von Obdachlosigkeit bzw. Wohnungslosigkeit betroffen als die Durchschnittsbevölkerung, wie zuletzt wieder durch eine Befragung von ILGA Europe [1] bestätigt wurde. Ein erzwungenes Outing kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass ein*e Schüler* in von den eigenen Eltern verstoßen und auf die Straße gesetzt wird. Statt einer voreiligen und potenziell nachteilhaften Mitteilung an die Eltern eines*einer TIN* Schüler*in sollte daher zunächst gründlich geprüft werden, was die genauen familiären Gegebenheiten sind und wie von schulischer Seite der Schutz des*der Schülerin gewährleistet werden kann, falls die Eltern ablehnend oder sogar gewalttätig auf ein Outing ihres Kindes reagieren. Dabei haben Lehrkräfte nach § 4 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 7 KKG zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung auch einen Anspruch auf Beratung durch erfahrene Fachkräfte der Jugendämter. Auch die Beteiligung von Beratungsstellen für Menschen der LSBTIAQ* Community [2], z.B. beim RosaLinde e.V. in Leipzig oder dem Gerede e.V. in Dresden, ist in solchen Fällen dringend zu empfehlen.
3. Dürfen selbstgewählte Namen und Pronomen benutzt werden, auch wenn noch keine amtliche Personenstands- und Vornamensänderung erfolgt ist?
Ja. Eine amtliche Personenstands- und Vornamensänderung ist vor allem für die Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrages in offiziellen Dokumenten erforderlich. Da die geschlecht-liche Identität von TIN* Schüler*innen durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ist, haben sie auch vor der Personenstandsänderung ein Recht darauf, im Schulalltag mit Namen und Pronomen angesprochen zu werden, die nach ihrer Ansicht mit ihrer geschlechtlichen Identität korrespondieren. Im Sächsischen Schulgesetz ist hierzu nichts geregelt, das SächsSchulG muss aber verfassungskonform unter Berücksichtigung des Schutzes der geschlechtlichen Identität angewendet werden.
4. Dürfen Namen in Klassenbuch, Notenbuch, Kursbuch und Schülerkartei geändert werden?
Ja. Wie das Klassenbuch zu führen ist, ergibt sich aus der Verwaltungsvorschrift Schulformulare vom 05.08.2021, welche online einsehbar ist. Dort steht unter Ziffer II Nr. 3 d) ff), dass im Klassenbuch ein „Schülerverzeichnis mit laufender Nummerierung“ zu führen ist. Es ist nicht vorgeschrieben, dass die im Rahmen dieses Verzeichnisses aufgelisteten Namen der Schüler* innen zwingend die Namen sein müssen, die aus den Geburtsurkunden der Schüler* innen hervorgehen. Demzufolge dürfen im Klassenbuch die selbstgewählten Namen von Schüler*innen eingetragen werden. Das gleiche gilt für das Notenbuch, da in der VwV Schulformulare unter Ziffer II Nr. 4 d) cc) ebenfalls nur allgemein von einem „Schülerverzeichnis“ die Rede ist. Selbst für das Kursbuch für Kurse in den Jahrgangsstufen 11 und 12 ergeben sich keine rechtlichen Bedenken. Zwar verweist Ziffer II Nr. 5 d) ee) für die Art, wie die Kursliste zu führen ist, auf die Anlage 4a. In dieser Anlage ist aber nur vorgegeben, dass Namen und Vornamen der Schüler*innen anzugeben sind und nicht, dass es sich dabei um die in der Geburtsurkunde vermerkten Namen und Vornamen handeln muss.
Anders verhält es sich allenfalls bei der Schülerkartei: Hier sieht Ziffer II Nr. 2 a) explizit vor, dass die Schülerkartei die „personenbezogenen Daten“ der Schüler*innen enthalten soll; das Muster für die Schülerkartei in Anlage 2 der VwV Schulformulare enthält u.a. Felder für die Eintragung von Vornamen und Nachnamen. Man könnte nun zu dem Schluss kommen, dass dies die zwingende Auflistung der in der Geburtsurkunde vermerkten Vornamen erfordert. Tatsächlich besteht aber auch hier keine zwingende Rechtspflicht. Der Rechtsbegriff „personenbezogene Daten“ wird in Art. 4 Nr. 1 der europäischen Datenschutzgrundverordnung legaldefiniert und bezeichnet „alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person [...] beziehen.“. Personenbezogene Daten sollen also letztlich die Identifizierbarkeit einer Person sicherstellen. Diese Identifizierbarkeit ist schon gar nicht gefährdet, wenn alle unmittelbaren Nutzer*innen der Kartei – also in erster Linie Schulleitung und Lehrkräfte – genau wissen, wer gemeint ist. Folglich würde auch nichts dagegen sprechen, einen selbstgewählten Vornamen in die Schülerkartei aufzunehmen. Man könnte sogar argumentieren, dass der selbstgewählte Name einer TIN* Person Teil ihrer personenbezogenen Daten ist – und somit im Sinne der VwV Schulformulare zwingend in die Schülerkartei aufzunehmen wäre.
Werden Vornamen in Klassen-, Kurs- und Notenbüchern geändert, wirkt sich das auch auf die Frage aus, welche Bewertungsmaßstäbe im Sportunterricht gelten und welche Toiletten und Umkleiden die TIN* Schüler*innen benutzen sollen.
Eine schematische Lösung verbietet sich hier, vielmehr muss mit den TIN* Schüler*innen eine individuelle Lösung gesucht werden. Dazu bietet es sich an, Beratungsangebote von Vereinen für Menschen der LSBTIAQ* Community, z.B. beim RosaLinde e.V. in Leipzig oder dem Gerede e.V., in Dresden zu nutzen.
5. Dürfen auch Zeugnisse geändert werden, wenn noch keine amtliche Personenstands - und Vornamensänderung erfolgt ist?
Nein. Zeugnisse sind Urkunden und müssen als solche für den Beweis im Rechtsverkehr geeignet sein, um (schulfremden) Dritten gegenüber den Nachweis über erworbene Qualifikationen zu führen. Solange eine amtliche Personenstands- und Vornamensänderung noch nicht erfolgt ist, kann nicht rechtssicher bewiesen werden, dass der*die Schüler*in tatsächlich die Person ist, deren Name auf dem Zeugnis vermerkt wurde. Im Interesse der Schüler* innen ist daher eher davon abzuraten, einen neuen Namen ins Zeugnis zu schreiben, solange die amtliche Personenstands- und Vornamensänderung noch nicht unmittelbar geplant ist bzw. bevorsteht.
Durch das zum 01.11.2024 in Kraft tretende Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) werden Personenstands- und Vornamensänderungen jedoch stark vereinfacht. Aufgrund des SBGG können Kinder und Jugendliche mit Einverständnis ihrer Eltern beim zuständigen Standesamt eine Personenstands- und Vornamensänderung vollziehen. Lehrkräfte können Eltern, die ihre TIN* Kinder unterstützen möchten, und volljährige TIN* Schüler*innen auf diese rechtliche Möglichkeit hinweisen.
Die Antworten in diesem Artikel basieren auf fachspezifischen und vertrauenswürdigen Quellen und sind sorgfältig recherchiert. Die Antworten ersetzen nicht die einzelfallbezogene, rechtsverbindliche Information beim Landesamt für Schule und Bildung (LaSuB). Mitglieder der GEW können sich für eine Beratung an die Landesrechtsschutzstelle wenden: rechtsschutz(at)gew-sachsen(dot)de
Literatur und weitere Informationen
[1] ILGA Europe Homelessness Analysis:
https://www.ilga-europe.org/report/intersections-the-lgbti-iisurvey-homelessness-analysis/ (abgerufen am 01.09.2024).
[2] LSBTIAQ* steht für lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter*, asexuell, queer
Infobroschüre „Trans* und Schule“ von SCHLAU NRW:
https://www.schlau.nrw/wp-content/uploads/2020/01/TransUndSchule_Brosch_2020_web.pdf
Infobroschüre „Checkliste und Handlungsempfehlung für Schulen zum Thema LSBTIQ*“:
http://www.schule-der-vielfalt.de/checkliste.pdf
Projekt „Schule der Vielfalt“:
https://schule-der-vielfalt.de/
RosaLinde e.V. Leipzig:
https://www.rosalinde-leipzig.de/de/
Gerede e.V. Dresden:
https://gerede-dresden.de
Chemnitzer Bereich:
https:// www.trans-inter-aktiv.org (TIAM)
Trans* Kinder Netz: