1. Allgemeine Bewertung
Die Arbeitszeit ist eine der wesentlichen Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmer*innen. Weil sie von so entscheidender Bedeutung für die Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten ist, ist sie (einschließlich jeweils wichtiger Einzelregelungen) in den meisten Branchen tarifvertraglich geregelt. Tarifvertragliche Regelungen zur Arbeitszeit ermöglichen den Interessenausgleich zwischen den Tarifvertragsparteien, schützen Beschäftigte vor Willkür und schaffen die Voraussetzung dafür, dass bei ihrer Weiterentwicklung auch Veränderungen im Arbeitsprozess entsprechend abgebildet werden können.
Deswegen war und ist die einseitige Bestimmung der Unterrichtsverpflichtung von Lehrkräften durch die Arbeitgeberseite aus Sicht der GEW Sachsen ein obrigkeitsstaatliches Relikt. Das gilt ganz besonders im Freistaat Sachsen, wo sich die Arbeitszeit der Lehrkräfte, die mit Ausnahme der Schulleiter*innen durchweg Tarifbeschäftigte sind, auch weiterhin nach der von fiktiven Beamten richten soll. Der Erlass einer Arbeitszeitverordnung für nicht vorhandene Beamt*innen und ihre Übertragung auf ca. 27.000 nichtverbeamtete Lehrer*innen mag nach § 44 Nr. 2 TV-L legal sein. Legitim oder angemessen ist ein solches Vorgehen mitnichten.
Selbst bei einer derartigen Übertragung wäre es dem SMK möglich gewesen, im Vorfeld einer Neuregelung eine Einigung mit den Tarifpartnern zu suchen. Immerhin ist man mit diesen in der Vergangenheit mehrfach übereingekommen, in Vereinbarungen bzw. einem Bezirkstarifvertrag Kündigungen durch Festlegung einer besonderen regelmäßigen Arbeitszeit zu vermeiden. Dass das SMK den gleichen Vertretungen der Beschäftigten bei der Festlegung der regelmäßigen Arbeitszeit keinerlei Mitspracherecht einräumt, ist völlig inakzeptabel.
Bereits seit Vorliegen des ersten Entwurfes für ein novelliertes Schulgesetz für den Freistaat Sachsen hat die GEW Sachsen die Ermächtigung in § 40 Abs. 5 SchulG kritisiert. Die Vorgaben des Bundes-verwaltungsgerichts vom 30. August 2012 wurden weder zeitnah noch in einer gesonderten Norm umgesetzt, sondern fast fünf Jahre später ohne größere parlamentarische Beachtung im Windschatten der Debatten um Inklusion, den Erhalt von Schulstandorten, die Erhöhung der Eigenständigkeit der Schulen, die Stärkung der Oberschulen, die Bildungsempfehlung nach Klasse 4, längeres gemeinsames Lernen u.v.a.m.. Wertschätzung für die Beschäftigten an den Schulen ist aus diesem Vorgehen nicht erkennbar.
Gerade weil sich das SMK entschieden hat, die Festlegungen zur Arbeitszeit der Lehrkräfte in Sachsen unter Ausschluss der Tarifpartner zu treffen, ist das Ministerium nach Auffassung der GEW gehalten, besondere Sorgfalt walten zu lassen und willkürliche Festlegungen in jedem Fall auszuschließen.
Dazu ist es notwendig, die tatsächlichen Aufgaben und Belastung der Lehrer*innen und ihren Wandel in einem transparenten Verfahren zu ermitteln. Nur auf dieser Basis kann die Bemessung des Regelstundenmaßes erfolgen.
Der Entwurf der SächsLKAZVO schreibt indes im Wesentlichen die seit 2003 geltenden Regelungen der VwV-SMK Unterrichtsverpflichtung fort. Damit wird vollständig ignoriert, in welchem Maße sich die Aufgaben von Lehrer*innen in den letzten Jahren geändert haben bzw. ändern.
Nur beispielhaft sei auf folgende Veränderungen hingewiesen:
- Erhöhung der durchschnittlichen Zahl Schüler*in je Klasse,
- Erhöhung der durchschnittlichen Zahl Schüler*in je Lehrer*in,
- Zunahme der Integration von Schüler*innen mit Förderbedarf, der Diagnostikverfahren und der Integrationsbegleitung,
- Zunahme der Integration von Schüler*innen mit Migrationshintergrund,
- Stärkere Verpflichtung zur Zusammenarbeit Grundschule/ Kita/ Hort,
- Erhöhung der Ganztagsangebote,
- Einführung von verpflichtenden Kompetenztests,
- Zunahme der Ausbildungsverpflichtungen,
- Profileinführung,
- Einführung des fächerverbindenden Unterrichts,
- Einführung von Bildungsempfehlung und verpflichtenden Beratungsgesprächen an weiterführenden
Schularten, - Einführung der besonderen Leistungsfeststellung,
- Stärkung der Berufsvorbereitung,
- Einarbeitung von Seiteneinsteiger*innen und Berufsanfänger*innen,
- Leistungsfeststellung und Beratung beim Übergang nach Klasse 4,
- Bewältigung gesellschaftlicher Umbauprozesse (u.a. Digitalisierung).
Darüber hinaus reflektiert der Entwurf der SächsLKAZVO kaum oder nur unzureichend die Unterschiedlichkeit der Aufgaben, die sich z.B. aus den sozioökonomischen Bedingungen der Einzelschule ergeben. Diese haben erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitszeit von Lehrer*innen und Schulleiter*innen.
2. Zu den Regelungen im Einzelnen
§ 2 Regelstundenmaß
Die Bestimmung der Unterrichtsverpflichtung hat in Abhängigkeit von der Gesamtarbeitszeit zu erfolgen. Dabei müssen sowohl die unterrichtlichen als auch die außerunterrichtlichen Aufgaben in die Betrachtung einbezogen werden. Nur so kann geprüft werden, in welchem Verhältnis die Arbeitszeit von Lehrkräften im Jahresvergleich zu der steht, die von Tarifbeschäftigten und Beamten im öffentlichen Dienst erbracht werden muss.
Dass der Entwurf der SächsLKAZVO diesen Anspruch nicht einlöst, wird vor allem an der noch immer fehlenden Festlegung für Klassenleiter*innen und Tutor*innen und am bereits oben beschriebenen Festhalten an den Regelungen von 2003 deutlich. Eine Ausnahme bildet lediglich die Senkung des Regelstundenmaßes für Lehrkräfte an Grundschulen von 28 auf 27 Unterrichtsstunden, die als erster Schritt in die richtige Richtung begrüßt wird. Weitere Schritte für diese und die anderen Schularten müssen dringend folgen.
Das SMK hebt in seinem Anschreiben hervor, dass „Verschlechterungen gegenüber der bisherigen Regelung … mit der geplanten Neuregelung nicht verbunden [sind].“ Angesichts der tatsächlich an den Schulen zu leistenden Aufgaben, stellt das aus Sicht der GEW Sachsen eine Selbstverständlichkeit dar.
Grundsätzlich wird empfohlen, § 2 der SächsLKAZVO zu überarbeiten. Das gilt insbesondere für die Unterrichtsverpflichtung von Fachlehrern an Förderschulen, Lehrer*innen, die nur im Fach Sport unterrichten sowie für Lehrkräfte an Berufsbildenden Schulen, wenn sie fachpraktischen Unterricht erteilen. Änderungsbedarf besteht auch bei der Sonderregelung für Berufsbildende Schulen in § 2 Absatz 5 SächsLKAZVO. Das Alleinentscheidungsrecht des Schulleiters (ohne Beteiligung des Örtlichen Personalrates bzw. der Gesamtlehrerkonferenz) ist unangemessen und Festlegungen zu Höchststundenzahl und Störfallregelungen sind dringend erforderlich.
§ 4 Anrechnungen
a) schulbezogene Anrechnungsstunden
Die Zuweisung von Anrechnungsstunden hat wesentliche Auswirkungen auf die Arbeitszeit der Lehrkräfte. Das betrifft die Zuweisung schulbezogener und die Zuweisung personenbezogener Anrechnungsstunden.
Die Zuweisung schulbezogener Anrechnungsstunden ist in den Schularten seit Jahren unterschiedlich hoch, ohne dass es dafür eine sachgerechte Begründung gibt. Bei zwanzig Klassen werden beispielsweise Grundschulen 35 Unterrichtsstunden, Förder- und Oberschulen 37 Unterrichtsstunden, Berufsbildenden Schulen 40 Unterrichtsstunden und Gymnasien 42 Unterrichtsstunden ausgereicht.
Keinerlei Beachtung finden außerdem die personelle Ausstattung der Schulen durch den Schulträger, die Bedingungen, die sich durch das Schulgebäude ergeben, die unterschiedlichen Notwendigkeiten der Zusammenarbeit mit Sozial- oder Jugendämtern, der Umfang der notwendigen Kommunikation mit Eltern oder die Altersstruktur des Lehrerkollegiums.
Allein die Zahl der Klassen bei der Zuweisung von schulbezogenen Anrechnungsstunden zu Grunde zu legen, ist auch deswegen unangemessen, weil die Zahl der Lehrkräfte bei gleicher Klassenzahl sehr unterschiedlich sein kann. Diese spielt allerdings bei der Erstellung von Vertretungsplänen oder bei der Erstellung eines Personalentwicklungs- und Fortbildungskonzeptes für die Lehrer*innen, die Schulleiter*innen gemäß § 42 SchulG auferlegt sind, u.a. eine entscheidende Rolle.
Um den Beschäftigten Anrechnungsstunden zu garantieren, die tatsächlich Zusatzaufgaben leisten, ist die Zuordnung von bestimmten Aufgaben/ Tätigkeiten zu schulbezogenen bzw. personenbezogenen Anrechnungsstunden dringend zu überprüfen. Zumindest ist in § 4 Abs. 2 Ziffer 1 Satz 2 SächsLKAZVO das Wort „nicht“ zu streichen. Dringend geprüft werden muss die Höhe der Anrechnungsstunden. In Anbetracht der durch das SMK festgeschriebenen umfangreichen Aufgaben, ist die Zuweisung z. B. für Mentor*innen oder für Betreuungslehrer*innen zu niedrig.
Dass Anrechnungsstunden für besondere Aufgaben nicht oder in zu geringem Umfang gewährt werden, während gleichzeitig Anrechnungsstunden „zur Anerkennung besonderer Leistungen… zur Verfügung gestellt werden [können]“, ist aus Sicht der GEW Sachsen inakzeptabel. Hier wird eine klarstellende Formulierung empfohlen (z. B. zur Realisierung besonderer Aufgaben).
b) personenbezogene Anrechnungsstunden
Fachberater*innen:
Die gerade beschlossene z.T. deutlich höhere Vergütung von Fachberater*innen, wurde mit ihrer gestiegenen Bedeutung für die Qualitätsentwicklung und mit der Zunahme ihrer Aufgaben begründet. Im entsprechenden Gesetzentwurf wurde ihre Verantwortung mit der von Schulleiter*innen verglichen. Dass dieser Gruppe gleichzeitig keine Zeit eingeräumt wird, diese vergleichbare Tätigkeit auszuüben, ist wenigstens widersprüchlich.
Lehrkräfte, die an einer berufsbegleitenden … Ausbildung … teilnehmen:
Für diese Gruppe empfiehlt die GEW Sachsen die Streichung der Worte „bis zu“ in § 4 Abs. 3 Ziffer 1 SächsLKAZVO.
Lehrkräften, die als Mitglied einer Lehrplankommission …
In § 4 Abs. 3 Ziffer 6 SächsLKAZVO sind aus Sicht der GEW Sachsen zwingend Lehrkräfte aufzunehmen, die sog. Schulfremdenprüfungen abnehmen oder beauftragt werden, Aufgaben für landesweite Prüfungen zu erarbeiten. Die damit verbundene zusätzliche Arbeit ist angemessen abzugelten.
Lehrkräfte, die teilweise an eine andere Schule abgeordnet sind:
Bei der Bemessung der Anrechnungsstunden für diese Lehrkräfte ist zusätzlich zum durch die Wegstrecke entstehenden Aufwand die Arbeitszeit abzugelten, die ggf. durch Mehrfachbelastung entsteht (z. B. Erhöhung der Teilnahme an Konferenzen, Dienstberatungen, Elternsprechtage).
3. Abschließender Hinweis
Da die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichtes bisher keine zwingende Wirkung entfaltet hat, regt die GEW Sachsen an, die sich aus dem Maßnahmenpaket ergebenden Änderungen für Grundschullehrkräfte in der VwV Unterrichtsverpflichtung zu verankern. Gleichzeitig sollten Gespräche mit den Tarifpartnern aufgenommen werden. Ziel dieser Verhandlungen sollte zunächst eine von allen Beteiligten getragene zeitgemäße (untertarifliche) Regelung zur Arbeitszeit der Lehrkräfte in Sachsen sein.
Leipzig, den 2. Juni 2017