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Sonderauswertung der Digitalisierungsstudie 2021

Stand der Digitalisierung und Arbeitsbedingungen an sächsischen Schulen

Die Digitalisierung an deutschen Schulen hat von 2020 auf 2021 einen Digitalisierungsschub erfahren, auch in Sachsen. Allerdings deuten viele Indikatoren auf eine geringere Dynamik hin. Auch wenden Lehrkräfte in Sachsen deutlich mehr Arbeitszeit als im Bundesdurchschnitt auf, insbesondere bei den außerunterrichtlichen Tätigkeiten. Die vorliegenden Daten werfen aber auch noch Fragen auf.

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Foto: Shutterstock/GEW

Digitalisierung im deutschen Schulsystem

Die Kultusministerkonferenz stellte schon 2012 die zentrale Bedeutung einer umfassenden Medienbildung heraus. „Medienkompetenz ergänzt zeitgemäß die traditionellen Kulturtechniken und gilt in nahezu allen Bereichen allgemeiner und beruflicher Bildung inzwischen als unverzichtbare Schlüsselqualifikation”. (KMK 03/2012: 4) Da eine mangelnde Medienkompetenz die Möglichkeiten des Einzelnen zur politischen Mitwirkung und kulturellen Partizipation beschränke, sei „eine grundlegende, umfassende und systematische Medienbildung im Rahmen der schulischen Bildung erforderlich.“ (KMK 03/2012: 4) Da im internationalen Vergleich bereits deutliche Defizite des deutschen Schulwesens zu erkennen waren (ICLS 2013), formulierte die KMK 2016 eine Strategie zur Bildung in der digitalen Welt. Darin wird das durchaus ambitionierte Ziel aufgestellt, „dass möglichst bis 2021 jede Schülerin und jeder Schüler, wenn es aus pädagogischer Sicht im Unterrichtsverlauf sinnvoll ist, eine digitale Lernumgebung und einen Zugang zum Internet nutzen können sollte.“ (KMK 12/2016: 59)

Sonderauswertung für Sachsen

An der bundesweiten Studie hatten – repräsentativ für die Grundgesamtheit – 2.750 Lehrkräfte an 233 Gymnasien und Gesamtschulen teilgenommen, darunter auch 436 Lehrkräfte aus 32 sächsischen Gymnasien. Für Sachsen ist dieses Teilsample nicht repräsentativ, aber eine Sonderauswertung der im Januar/Februar 2021 für die Digitalisierungsstudie erhobenen Daten liefert nun wichtige Hinweise zum Stand der Digitalisierung und der Arbeitsbedingungen in Sachsen. Demnach gab es auch in Sachsen einen spürbaren Digitalisierungsschub – allen sächsischen Schulen im Sample gelang es, ihre digitale Reife zu steigern! Gleichzeitig scheint aber die Digitalisierungsdynamik von 2020 auf 2021 geringer zu sein als in anderen Bundesländern.

Wie die repräsentative Studie „Digitalisierung im Schulsystem 2021“ (Mußmann et al. 2021) zeigt, ist diese Strategie zumindest bis zum Zieljahr 2021 krachend gescheitert, was auch aus Sicht der KMU nicht befriedigend sein kann. Eine ausreichend unterstützende digitale Infrastruktur gab es allenfalls in 50 % der Schulen und insbesondere die Schulräume waren selbst nach einem Jahr Pandemie nur in einem Drittel der Fälle (29 %) so eingerichtet, dass digitales Lehren und Lernen wirklich unterstützt wurde. 
Dieser Befund ist umso bemerkenswerter, da der zwischenzeitlich zu verzeichnende Digitalisierungsschub an deutschen Schulen seine Dynamik durchaus der Corona-Pandemie verdankte und nicht etwa einer systematischen und proaktiven digitalen Bildungspolitik der Länder. Entsprechend pandemiegeprägt ist die digitale Schulstruktur. Es dominieren technische Ad-hoc-Lösungen, die für Fernlernen und Wechselunterricht, also zur akuten Krisenbewältigung taugten. Digitale Basis-Lösungen zur Aufrechterhaltung des Bildungsauftrags in der Pandemie sind weit verbreitet (Kommunikation, Administration, Schulverwaltung, Visualisierung und Projektion von Lerninhalten, Verteilung und Dokumentation von Unterrichtsmaterialien etc.), deutlich weniger aber hybride, interaktive und kollaborative Lehr- und Lernformen, E-Learning sowie fächerübergreifende Lösungen. Gleichwohl sind deutliche Fortschritte zu verzeichnen, wenn nach nur 9 % (2013), dann 23 % (2018) und 39 % (2020) in 2021 nun immerhin 68 % der Lehrkräfte angeben, digitale Medien täglich im Unterricht einzusetzen.

Sachsen lag bei der Digitalisierung im Schulsystem – zumindest Anfang 2021 – erkennbar zurück. Nur 24 % der Lehrkräfte arbeiteten an Schulen mit WLAN für alle Lehrkräfte (Bund 70 %), nur in 13 % der Fälle war WLAN in Sachsen auch für Schülerinnen und Schüler verfügbar (Bund 49 %). Einen solchen Rückstand deuten auch andere Infrastrukturmerkmale an (vgl. Abb. 1).

Ausreichend digitale Geräte zur Verwendung im Unterricht gab es Anfang 2021 in 47 % der sächsischen Gymnasien (Bund 57 %), eine unterstützende digitale Infrastruktur in 29 % der Schulen (Bund 50 %) und die Schulräume waren nur zu 13 % so eingerichtet (Bund 29 %), dass man von einer wirksamen Unterstützung des digitalen Lehrens und Lernens sprechen konnte. Nicht zuletzt gab es auch bei technischen Problemen weniger Unterstützung (Sachsen 32 %, Bund 49 %).

Die geringere Dynamik bei der Entwicklung digitaler Schulstrategien als in anderen Bundesländern könnte sich nachteilig auswirken. Während bundesweit unter der Pandemie der Anteil der Lehrkräfte an Schulen mit digitaler Schulstrategie von 27 % auf 61 % anstieg (von 2020 auf 2021, also 34 % Digitalisierungszuwachs), waren dies – von einem geringeren Niveau von 21 % aus startend – in Sachsen am Ende nur 49 %, also eine Steigerung von 28 Prozentpunkten. Dies steht in gewissem Widerspruch zur Zufriedenheit des Sächsischen Kultusministeriums mit Mittelabfluss und -bindung des Digitalpakts. „Probleme bei der Umsetzung des Digitalpakts können wir in Sachsen nicht erkennen.“ heißt es in einer Meldung des MDR vom 13.03.2022. Die Befunde der Sonderauswertung deuten nun aber an, dass die schuleigenen Medienbildungskonzepte in der Breite der Lehrerschaft wenig bekannt sind. 

Möglicherweise sind die im Rahmen der Beantragung von Digitalpaktmitteln erarbeiteten Medienbildungskonzepte in den Schulen nicht unter breiter Beteiligung partizipativ erarbeitet und diskutiert worden, sondern eher im kleineren Expertenkreis entwickelt und den Schulträgern zur Verfügung gestellt worden. Selbst wenn sie durch Entscheidung von Schulkonferenzen (§ 43 SächsSchulG) wirksam Teil des jeweiligen Schulprogramms wurden, bedeutet dies offenbar noch nicht, dass Lehrkräften die Existenz von Medienbildungskonzepten tatsächlich geläufig ist, geschweige denn, dass solche Konzepte im schulischen Alltag gelebt würden und unmittelbaren Einfluss auf die Praxis des digitalen Lehrens und Lernens hätten. – Und nicht zuletzt dürften auch die im Bundesvergleich schwächeren Beteiligungsquoten bei Online-Fortbildungen zum pädagogischen Nutzen digitaler Technologien (Bund 60 %, Sachsen 44 %) einen Einfluss haben.
Alles zusammen – fehlende Fortbildung, die sich Anfang 2021 andeutenden Strukturdefizite und eine schwächere Verbreitung partizipativ entwickelter Medienbildungskonzepte – könnte auch die im bundesvergleich höheren Werte digitalen Stresses erklären: 76 % der sächsischen Lehrkräfte (Bund 69 %) fühlen sich z. B. dadurch digital gestresst, weil sie meinen, sich zusätzlich für den Fall absichern zu müssen, dass digitale Medien und Techniken während des Unterrichts ausfallen könnten (Vermeidung von Vorführeffekten). 

Arbeitszeit sächsischer Lehrkräfte

Im Rahmen der Digitalisierungsstudie wurde 2021 erstmalig seit langem eine für Deutschland repräsentative Arbeitszeitschätzung durchgeführt. Der Arbeitszeitbefund für sächsische Lehrkräfte liegt noch einmal deutlich über den bundesweiten Vergleichsdaten: Deutsche Lehrkräfte arbeiteten 2021 in einer Durchschnittswoche geschätzte 03:08 Std. mehr als der sich aus der Jahresarbeitszeit ergebende Normwert von 46:48 Std. (vgl. Abb. 2, 49:56 Std./Wo. Gesamtarbeitszeit-IST bezogen auf Schulwochen und für Vollzeitlehreräquivalente). Darin enthalten sind ca. 30 bis 60 Minuten pandemie- und digitalisierungsbedingte Sondereffekte. In Sachsen ergab sich bei einer SOLL-Basis von 46:38 Std./Wo. eine geschätzte Durchschnittswoche von sogar 50:48 Std./Wo., also eine Mehrarbeit von 04:16 Std./Wo. (vgl. Abb. 2).

Neue sächsische Studie zu Arbeitszeit und Arbeitsbelastung im Sommer 2022

Woran könnte diese noch einmal mehr als eine Stunde höhere Arbeitszeit liegen? Verfolgt werden drei Hypothesen. Erstens dürften Pandemie und Digitalisierung in allen Bundesländern Mehrarbeit bewirkt haben (Basiseffekt von 30 bis 60 Minuten). Zweitens könnte die längere Arbeitszeit in Sachsen zu einem Teil durch einen höheren Digitalisierungsaufwand (s.o.) zu erklären sein. Drittens könnte in Sachsen ein besonders hoher Anteil an außerunterrichtlichen Aufgaben von den Lehrkräften verlangt werden, denn für sie wird in Sachsen noch einmal deutlich mehr Arbeitszeit aufgewendet (30:22 Std./Wo.), als im Bundesvergleich (29:09 Std./Wo.). Was genau sind die Quellen der Arbeits(zeit)belastung in Sachsen? Bislang gibt es keine hinreichend belastbaren statistischen Werte. Deshalb soll dem nun (empirisch) nachgegangen werden in einer für Sachsen repräsentativen Studie in der Zeit vom 27.06. bis zum 17.07.2022. Sicherlich ist für Sommer 2022 von deutlichen Fortschritten im Digitalisierungsbereich gegenüber Anfang 2021 auszugehen. Aber wie stellt sich das in Sachsen genau dar? Wie groß sind die Fortschritte? Wo muss nachgesteuert werden? Wo besteht Regulierungsbedarf? 
Rückstände beim digitalen Lehren und Lernen in Sachsen werden wahrscheinlich nicht auf eine fehlende Begeisterung der Lehrkräfte oder auf Defizite bei ihren digitalen Kompetenzen zurückzuführen sein. Denn die Sonderauswertung zeigt, auch in Sachsen will eine deutliche Mehrheit von 79 % der Lehrkräfte (Bund 77 %) gern mehr digitale Elemente in ihren Unterricht einbauen. Die wichtigsten Prädiktoren für die individuelle Kompetenzentwicklung sind neben der persönlichen IT-Affinität eine positive Nutzenerwartung beim Einsatz digitaler Lösungen und förderliche Rahmenbedingungen an den jeweiligen Schulen (die Qualität der digitalen Schulstrategie sowie der Infrastruktur). Lehrkräfte setzen digitales Lehren und Lernen also vor allem dann um, wenn es für ihren Unterricht auch Sinn macht, genauer: Wenn auch praxistaugliche Medien und Techniken sowie digitale Schulstrategien in guter Qualität zur Verfügung stehen. Es kommt bei der Schulentwicklung also besonders auf Fortschritte in diesen Bereichen an. 

Informationen zur bundesweiten Studie Digitalisierung im Schulsystem 2021 stehen zum Download zur Verfügung unter:
www.digitalisierung-studie.de und
Informationen zur laufenden sächsischen Studie unter: 
www.arbeitszeitstudie.de

Frank Mußmann und Thomas Hardwig 
Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften
der Georg-August-Universität Göttingen

Vom 27. Juni bis zum 17. Juli 2022 führt die Universität Göttingen (Dr. Frank Mußmann und sein Team) – gefördert durch die GEW Sachsen – eine Studie zu Arbeitsbelastung und Arbeitszeit von Lehrkräften an öffentlichen Schulen im Freistaat durch. Um wirklich aussagekräftig zu sein, werden möglichst viele Teilnehmer*innen benötigt!
Teilnahmemöglichkeiten und Infos unter: www.gew-sachsen.de/arbeitszeit