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Schule

Positive queere Repräsentation in der Schule am Beispiel „Bisexualität“

Wo werden queere Inhalte in der Schule thematisiert? Betrachtet man konkret Sachsen und Bisexualität lautet die Antwort: nirgends.

https://www.queerformat.de/
Unterschiedliche Beziehungen visuell repräsentiert – aus: „Liebe hat viele Gesichter« (Bildungsinitiative QUEERForMAT [Hrsg.] 2018: 1)

Von den 2017 im Landesaktionsplan zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen veranschlagten Maßnahmen zur Integration von LSBIT+1-Themen ist eine einzige umgesetzt worden: die Erwähnung von „Lebensstil[en] jenseits heterosexueller Normen“ (Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2016: 4) im Orientierungsrahmen für die Familien- und Sexualerziehung an sächsischen Schulen. Beide Veröffentlichungen enthalten vage Zielformulierungen, die in den Lehrplänen einzelner Fächer konkreter herausgearbeitet werden sollen. Ein beispielhafter Blick in die Lehrpläne der Fächer Biologie, Ethik und Englisch am Gymnasium, zeigt jedoch keinesfalls eine Konkretisierung: in Ethik und Englisch werden LSBIT+-Identitäten nicht aufgeführt und in Biologie entfällt eine sexuelle Orientierung gänzlich (vgl. Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2019 a, b, c).

Mit dieser Auslassung reiht sich der sächsische Biologie-Lehrplan in eine lange Tradition des Ignorierens oder bewussten Auslöschens [Negierens?] von Bisexualität ein. Durch die Gefahr welche ihre Sexualität für die Legitimation der monosexuellen Orientierungen darstellt, finden Bisexuelle sowohl in als auch außerhalb der LSBIT+ Community schwer Anschluss (vgl. Yoshino 2000: 363-370). Biphobie, gegen Bisexuelle gerichtete soziale Aversion und Aggressivität (vgl. GLAAD 2016: 4), zeigt sich in negativen Stereotypen. Bisexuelle konnten sich nicht entscheiden, seien Nymphoman*innen und dadurch prädestinierte Fremdgeher*innen (vgl. ebd.). Aktuelle Ergebnisse des Robert-Koch-Instituts bestätigen, dass Mobbing aufgrund sexueller Orientierung bei 11- bis 15-Jährigen primär verbal stattfindet (vgl. Fischer et al. 2020: 59). Dies kann zu einer mentalen Belastung fuhren, die sich in der hohen Anfälligkeit für psychische Krankheiten bei Bisexuellen niederschlägt (vgl. Stonewall 2020: 17).

Neben Mobbing und anderen Formen aktiver Diskriminierung kann negative Repräsentation in den Medien zu psychischen Problemen bei Bisexuellen führen (vgl.  Johnson 2016: 378).  Jugendliche sind durch eine gesteigerte Rezeptivität für emotionale Medieninhalte besonders empfänglich für mediale Repräsentationen (vgl. Medrano Samaniego/Cortés Pascual, 2007: 15ff.; Crone/Konjin, 2018: 7f.). Oft identifizieren sie sich mit ihnen ähnlichen Charakteren (vgl. Goetz 2016: 38ff.). Während andere Sexualitäten im Unterricht rein visuell repräsentiert werden können (vgl. bspw. Abb. links), ist dies für Bisexualität nicht möglich. Der Mangel einer Erwähnung Bisexueller im Kontext der schulischen Sexualerziehung kommt einer symbolischen Auslöschung („symbolic annihilation“ Gerbner und Gross 1976: 182) gleich. 
Durch diese fehlende Repräsentation wird die eigene sexuelle Orientierung infrage gestellt. Es ist also einerseits wichtig, als Lehrkraft Repräsentationen Bisexueller im Unterricht einzubinden, damit sich bisexuelle Schüler*innen identifizieren können, andererseits eine sorgfältige Auswahl jenseits der Stereotypen zu treffen, die potentiell zu Mobbing beitragen können. Dadurch dass Bisexualität wie oben beschrieben nicht rein visuell darstellbar ist, muss auf erzählende Medien zurückgegriffen werden. Auszuschließen sind hierbei u. a. Storylines, bei denen Bisexualität als eine Zwischenstation auf dem Weg zur Homosexualität beschrieben wird (z. B. Cheryl Blossom in Riverdale); welche also Bisexualität als Orientierung destabilisieren. Auch bisexuelle Charaktere, die regelmäßig fremdgehen, oder mittels ihrer Sexualität andere manipulieren sind zu meiden (z. B. Brittany in Glee), da sie den Stereotyp der nymphomanen Bisexuellen fördern (Madison, 2017; Hart 2019; GLAAD 2019: 26f.).

Allein an diesen Beispielen zeigt sich, dass es Mühe kostet, geeignete Inhalte zu suchen und anschließend selbstständig aufzuarbeiten. Der Bildungsserver Berlin-Brandenburg bietet eine Vorauswahl an Literatur- und Filmvorschlägen. Auch ein Gang in die MONAliesA Leipzig lohnt sich für fachgerechte Beratung. Fest steht: Solange sich das Land nicht kümmert, liegt es an jeder/m allein, relevante Inhalte kritisch zu sichten und in den eigenen Unterricht einzubinden.


Die Autorin: 
Magdalena Preißler hat im Juli 2021 ihr Staatsexamen in Musik und Englisch erfolgreich abgeschlossen. In ihrer Freizeit liest Magdalena be­vor­zugt soziologisch-philosophische Literatur, welche sie u. a. als Co-Autorin des internationalen Literaturrezensions­kanals @feministlitreviews aufarbeitet.

Hintergrund: 

Der Begriff „LSBIT+“ meint Lesben, Schwule, Bisexuelle, Intersexuelle, Transsexuelle und andere nicht heterosexuelle, cis-gender Identitäten.
Der sächsische Orientierungsrahmen führt neben dieser andere Sexualitäten implizit als abnormal bezeichnenden Formulierung weitere problematische Stellen, die u. a. Transsexualität in einer Kategorie mit Homosexualität und Bisexualität verordnen (vgl. Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2016: 7). Der/die geneigte Leser*in merkt: 2016 kam vor 2017, d. h. die einzige umgesetzte Maßnahme war bereits vor der Publikation des Landesaktionsplans etabliert.
Yoshino (2000) entwickelt dazu das Konzept des „Epistemic Contract of Bisexual Erasure“; eines unbewussten, sozialen Vertrags zwischen Hetero- und Homosexuellen, mit dem Ziel, Bisexualität infrage zu stellen und letztlich auszulöschen, um ihre eigenen sexuellen Orientierungen als binar konstruieren zu können.

Dieser Beitrag ist Teil des „Kritischen Lehramtsportfolios 2021“ von Junger GEW und dem Referat Lehramt des Lehramts des StuRa Uni Leipzig. Hier findet sich auch das vollständige Quellenverzeichnis zu diesem Artikel: www.gew-sachsen.de/klp

Zum Weiterlesen..

Bildungsinitiative QUEERForMAT (Hrsg.) (2018: Liebe hat viele Gesichter. Unterrichtseinheit für die Sekundarstufe 1 
(Deutsch, Ethik, Biologie), Berlin: https://www.queerformat.de/wp-content/uploads/UE_Liebe-hat_Auflage-4.pdf

Sächsisches Staatsministerium für Kultus (Hrsg.) (2016): Orientierungsrahmen für die Familien- und Sexualerziehung an sächsischen Schulen, Dresden: https://www.schule.sachsen.de/download/OR_FSE_Endfassung_August_2016.pdf