Schule
„Perspektive Regelklasse" oder „Perspektive Kürzung“? Aktueller Stand zu Theorie und Praxis des DaZ-Unterrichts in Sachsen
In immer schnellerer Folge werden seit einigen Monaten Änderungen zum DaZ-Unterricht und zur Integration neu zugewanderter Schüler bekannt gegeben. In den Schulen fragen sich jetzt viele Kolleg:innen, ob es sich nur um die üblichen Kürzungen handelt oder es sich bereits um das seit langem vom SMK angekündigte neue DaZ-Konzept handelt. Der Artikel geht der Frage nach, welche Regelungen aktuell gelten, was diese Neuregelungen für die Organisation des DaZ-Unterrichts an den Schulen bedeuten und welche Auswirkungen sie für Lehrkräfte, Familien und Schüler haben können.
1) Welche Regelungen sollen beibehalten werden?
In der "Sächsischen Konzeption zur Integration von Migranten" vom 1. August 2000 sind drei schulorganisatorische Etappen der Integration für neu zugewanderte Schüler:innen nichtdeutscher Herkunftssprache an allgemeinbildenden Schulen vorgesehen, die auch künftig beibehalten werden sollen.
Etappe 1
Der Etappe 1 werden alle Schüler:innen zugeordnet, die keine oder nur äußerst geringe Deutschkenntnisse haben. Sie erhalten in den "ersten Wochen" ausschließlich DaZ-Unterricht (Lehrplan DaZ). Die Schüler:innen der Etappe 1 werden zunächst noch keiner Regelklasse zugeordnet, sondern im Sächsischen Schulverwaltungssystem (SaxSVS) in einer separaten Klasse (DAZ-1) geführt (https://saxsvs.de/index.php/Planung_Deutsch_als_Zweitsprache).
Etappe 2
Der Etappe 2 sollen alle Schüler:innen zugeordnet werden, die bereits über alltagssprachliche Grundlagen verfügen und teilweise in den Regelunterricht integriert werden können. Anders als die Schüler:innen der Etappe 1 werden sie im SaxSVS aber nicht in einer separaten Klasse geführt, sondern den Regelklassen zugeordnet und mit dem Merkmal DAZ-2 gekennzeichnet. Bei der Zuteilung der Lehrerwochenstunden für den DaZ-Unterricht an den Schulen werden die Schüler:innen der Etappen 1 und 2 rechnerisch jedoch immer wieder zu einer "VKA" (VKA = "Vorbereitungsklasse Ausländer") zusammengefasst. zusammengefasst. Grundschulen erhalten für den DaZ-Unterricht der Etappe 1 und 2 im Rahmen des Grundbereichs jeweils 15 Lehrerwochenstunden für 28 Lernende und Oberschulen 25 Lehrerwochenstunden für 28 Lernende zugewiesen.
Zeugnisse und Niveaubeschreibungen in der Etappe 1 und 2
In der Etappe 1 und 2 erhalten die Schüler:innen weiterhin keine Zensuren. In der aktuellen VwV Zeugnis ist zudem festgelegt, dass in allen Fächern, in denen eine Teilintegration stattfindet, anstelle von Zensuren eine verbale Beurteilung unter "Bemerkungen" aufgenommen wird (vgl. IX. Formvorschriften 2) Noteneintrag VwV Zeugnis). Zusammen mit den Halbjahresinformationen und Zeugnissen erhalten die Schüler:innen eine Niveaubeschreibung Deutsch als Zweitsprache (vgl. III. 3. c) Förderung und Integration VwV Bedarf und Schuljahresablauf 2024/25).
Etappe 3
In der Etappe 3 sind die Schüler:innen voll integriert und erhalten Zensuren. Für den Fall, dass Schulen nach der Abdeckung des Grundbereichs noch über Lehrerarbeitskapazitäten verfügen, die sie nicht für die Abdeckung anderer Aufgaben benötigen, können die Schüler:innen außerhalb des Regelunterrichts zusätzlichen Förderunterricht in Kleingruppen zur Verbesserung der fach- und bildungssprachlichen Kompetenzen erhalten. Der Ausfall dieses "DaZ 3" genannten Unterrichts zugunsten von Unterrichtsvertretungen ist von den Schulen statistisch nicht zu erfassen.
Betreuungslehrkräfte
Weiter bleiben die Betreuungslehrkräfte zentral für den gesamten schulischen Integrationsprozess. Sie übernehmen in der Regel nicht nur den DaZ-Unterricht, sondern sollen auch weiterhin zusätzliche Anrechungsstunden erhalten, um die Schüler:innen und Eltern individuell zu beraten, die Förderung und Unterstützung auch mit außerschulischen Partner:innen zu koordinieren, das Kollegium für die Bedarfe der migrierten Schüler:innen zu sensibilisieren und die Niveaubeschreibungen zu erstellen. Die zur Verfügung stehende Betreuungszeit wurde allerdings vor zwei Jahren indirekt gekürzt, indem die Bezugsgröße für zwei Anrechnungsstunden von 23 auf 28 Schüler:innen heraufgesetzt wurde.
2) Welche wichtigen organisatorischen Veränderungen gab es?
Bisher gab es spezielle Grund- und Oberschulen, sogenannte DaZ-Stützpunktschulen, die alleine die Aufgabe hatten, alle neu zugewanderten Schüler:innen nichtdeutscher Herkunftssprache zu integrieren. Nur an diesen Schulen wurden Schüler:innen der Etappe 1 und 2 angenommen. Alle Gymnasien sowie Grund- und Oberschulen, die keine DaZ-Stützpunktschulen waren, konnten aufgrund dieser Regelung neu zugewanderte Schüler:innen abweisen, auch wenn sie für diese die wohnortnächsten Schulen waren.
Diese Praxis ist von Bildungsexpert:innen und auch der GEW immer wieder heftig kritisiert worden. Viele Schüler:innen hatten sehr lange Wege und an den DaZ-Stützpunktschulen konnten (und kann) weder die soziale noch die sprachliche Integration durch die hohe Konzentration von Schüler:innen mit besonderen pädagogischen Bedarfen gewährleistet werden. Die Lehrkräfte an diesen Schulen waren (und sind) in höchsten Maß überlastet, was regelmäßige Überlastungsanzeigen diese Schulen bezeugen.
Das LASUB hatte in den Jahren seit 2015/16 immer wieder versucht, weitere Schulen als DaZ-Stützpunktschulen zu gewinnen, traf aber nicht selten auf den aktiven oder passiven Widerstand von Schulgemeinschaften. Es entstand der Eindruck, dass fehlende Raumkapazitäten und volle Klassen vorgeschoben wurden, um sich nicht an der Integration beteiligen zu müssen.
Neu: Einzelintegration an Schulen ohne "DaZ-Stützpunkt“
Vor diesem Hintergrund haben SMK und LASUB einen Vorschlag aufgegriffen, den die GEW im Hauptpersonalrat immer wieder vorgebracht hatte: Die Ermöglichung einer wohnortnahen Einzelintegration neu zugewanderter Schüler:innen an allen Schulen ohne die Hürde der Bildung einer extra Vorbereitungsklasse. Die Schüler:innen werden sofort (teil-)integriert, steigen also unmittelbar in Etappe 2 ein und erhalten den DaZ-Unterricht einzeln oder gruppenweise nur zusätzlich, ggf. sogar schulübergreifend. Im SaxSVS-Online-Handbuch heißt es daher folgerichtig: "Die Zuordnung zu den DaZ-Etappen in SaxSVS dient immer der organisatorischen Abbildung der Schüler:innen in den DaZ-Etappen und muss nicht zwangsläufig der sprachlichen Entwicklung entsprechen". Die Vorteile der Einzelintegration liegen auch für Nicht-Expert:innen auf der Hand: Der Spracherwerb gelingt durch das komplette Sprachbad in einer mehrheitlich deutschsprachigen Klasse schneller, Sprachtandems und Patenschaften sind einfacher umzusetzen, ebenso die individuelle Förderung und Unterstützung.
Neu: Vollintegration in Klasse 1
Auch bei der Neuregelung der Integration der Schulanfänger:innen sind SMK/LASUB dem Rat von Expert:innen gefolgt. Diese mussten bisher ebenfalls verpflichtend an einer DaZ-Stützpunktschule eingeschult werden und kamen dort zu Beginn oft in eine separate Vorbereitungsklasse, um gemeinsam mit anderen nicht deutschsprachigen Kindern Deutsch zu lernen. Die Erfolge waren sehr überschaubar, da Kinder in diesem Alter eine Sprache nur schwer durch Unterricht lernen, sondern am besten durch die Interaktion mit deutschsprachigen Gleichaltrigen. Die Neuregelung, dass Schulanfänger:innen auch ohne Deutschkenntnisse sofort in Regelklassen integriert werden, entspricht dieser Erkenntnis und ermöglicht eine Verteilung der Schüler:innen unabhängig von den DaZ-Stützpunktschulen.
Neu: Besondere Bildungsberatung an Schulen
Bisher sollte die "Besondere Bildungsberatung" für Schüler:innen nichtdeutscher Herkunftssprache ausschließlich an den LASUB-Standorten durchgeführt werden. Diese war notwendig, da eine freie Schulwahl für Familien nichtdeutscher Herkunftssprache nicht vorgesehen war und sichergestellt werden sollte, dass die Schüler:innen zentral den DaZ-Stützpunktschulen zugewiesen werden konnten. Sowohl Kolleg:innen als auch Eltern haben in den vergangenen Jahren immer wieder den pädagogischen Wert der am LASUB durchgeführten besonderen Bildungsberatung in Frage gestellt: Ein zertifizierter Sprachstandstest wurde nicht durchgeführt, so dass die Schulen die Einstufung des Sprachstandes selbst vornehmen mussten. Die bisherigen Zeugnisse wurden zwar von den Eltern vorgelegt, aber Schüler:innen, die im Herkunftsland das Gymnasium besucht hatten, mussten trotzdem auf die Oberschule, wenn sie nicht fließend Deutsch sprachen. Das Gleiche galt für Schüler:innen mit besonderem Förderbedarf, die ebenfalls zunächst an die DaZ-Stützpunktschulen verwiesen wurden, da es an den Förderschulen eigentlich keine Vorbereitungsklassen gab und gibt.
Mit der Möglichkeit der Einzelintegration (auch an Förderschulen) und der Integration in Klasse 1 sind die Voraussetzungen geschaffen, dass sich neu zugewanderte Familien direkt an der Schule ihrer Wahl anmelden können. Die Schulen sollen daher nun auch die besondere Bildungsberatung selbst durchführen. Es stellt sich die Frage, ob die Bezeichnung "Besondere Bildungsberatung" noch notwendig ist. Im Grunde handelt es sich um eine Schulaufnahme, bei der - wie bei deutschsprachigen zugezogenen Schüler:innen auch - die bisherigen Zeugnisse vorgelegt werden. Zusätzlich wird (werden) die bisher erlernte(n) Sprache(n) angegeben und der Sprachstand in Deutsch als Zweitsprache getestet, um die zusätzliche DaZ-Förderung zu organisieren.
Neu: Vorbereitungsklassen und Teilintegration an Gymnasien
Eine Besonderheit war bzw. ist die temporäre Einrichtung von Vorbereitungsklassen und in der Folge auch die Teilintegration an Gymnasien für ukrainische Schüler:innen. Aufgrund der anhaltenden Kritik, dass in Sachsen die Aufgabe der Integration von Schüler:innen ab Klasse 5 fast ausschließlich den Oberschulen vorbehalten war, wurden ukrainische Schüler:innen nach 2022 in größerer Zahl auch an Gymnasien teilintegriert. SMK/ LASUB betonen, dass - anders als bei der Teilintegration an Oberschulen - die Zuweisung in eine Vorbereitungsklasse am Gymnasium nicht gleichbedeutend mit der Aufnahme in einen Bildungsgang der entsprechenden Schulart ist.
3) Was hat sich bei der Ressourcenzuteilung für schulische Integration geändert?
Im aktuellen Maßnahmenpapier "zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung" spricht Minister Conrad Clemens von einer "Straffung" des Integrationsverfahrens und einer "Anpassung" der Klassen- und Gruppenbildung im Bereich der schulischen Integration. Beides sind Euphemismen für eine geplante Kürzung der Unterrichtsversorgung für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche. Durch die 21 vorgeschlagenen Maßnahmen sollen bis zum Schuljahr 2025/26 insgesamt 790 Lehrerstellen (sogenannte Vollzeitäquivalente = VZÄ) eingespart werden. Immerhin 200 VZÄ oder 20% der Einsparungen sollen durch Unterrichtskürzungen bei den Schüler:innen nichtdeutscher Herkunftssprache erreicht werden. Tatsächlich findet eine Kürzung der Stundentafel ausschließlich bei den Schüler:innen nichtdeutscher Herkunft in Sachsen statt. Die restlichen 590 VZÄ sollen durch Kürzungen von Anrechnungen und Abordnungen im außerunterrichtlichen Bereich erreicht werden.
Kürzung des Unterrichts in der Etappe 1-2 auf zwei Jahre
Durch die pauschale Beschränkung des Unterrichts in der Etappe 1 und 2 auf insgesamt zwei Jahre sollen nach Angaben von SMK und LASUB 100 VZÄ pro Schuljahr eingespart werden. Offizielle Zahlen über die durchschnittliche Verweildauer in den Vorbereitungsklassen wurden von SMK und LASUB bisher nicht veröffentlicht, auch eine in den letzten Jahren immer wieder angekündigte Evaluation des Sächsischen Migrationskonzeptes aus dem Jahr 2000 steht noch aus. Die sehr runde Zahl Einhundert deutet darauf hin, dass SMK und LASUB keine Erhebungen über die durchschnittliche Verweildauer in den Vorbereitungsklassen vorliegen haben. Erfahrene DaZ-Lehrkräfte geben als Durchschnittswert für den Verbleib in der Vorbereitungsklasse ca. 2,5 Jahre an, wobei die Dauer an Oberschulen in der Regel länger ist als an Grundschulen, da viele ältere Schüler:innen etwas langsamer Deutsch lernen und bereits mehr vom sächsischen Lehrplan nachholen müssen. Daher ist mit Kürzungen in Etappe 1 und 2 in der Größenordnung von 20% zu rechnen.
Hierbei muss erwähnt werden, dass die Ressourcen für den DaZ-Unterricht der Etappe 1 und 2 bereits im Schuljahr 2022/23 um fast 20 % gekürzt wurden, als die Maximalanzahl der Schüler:innen in einer Vorbereitungsklasse von 23 auf 28 angehoben wurde. Im Vergleich zum Schuljahr 2020/21 würde sich die Zuweisung von Lehrerwochenstunden für den DaZ-Unterricht somit um knapp 35 % reduzieren. Die Kürzungen der Etappe 1 und 2 treffen nicht alle Schulen gleichermaßen. Besonders betroffen sind die - meist in sozialen Brennpunkten gelegenen - DaZ-Stützpunktschulen, die die Aufgabe übernehmen, einen besonders hohen Anteil an zugewanderten Schüler:innen zu integrieren.
Das SMK schrieb Ende 2023 im SMK-Blog, dass in Sachsen nur in 600 der rund 1.400 öffentlichen allgemeinbildenden Schulen Vorbereitungsklassen eingerichtet seien (https://www.bildung.sachsen.de/blog/index.php/2016/02/24/vorbereitungsklassen-fuer-fluechtlingskinder-jetzt-auch-an-gymnasien/). 184 Schulen davon hätten einen Migrationsanteil von über 30 Prozent und 48 Schulen einen Anteil von über 50 Prozent. Diese Schulen - darunter kein Gymnasium - sind von den Kürzungen besonders betroffen. Denn aber als die Gymnasien haben diese Grund- und vor allem auch Oberschulen nicht nur keinen Ergänzungsbereich mehr um Förderangeboten oder Vertretungsunterricht zu organisieren, sondern leiden bereits unter planmäßigen Kürzungen ihres Grundbereiches aufgrund des Lehrkräftemangels.
Die einzige zusätzliche Ressource dieser DaZ-Stützpunktschulen, die auch darunter leiden, dass sich kaum noch Lehrkräfte finden, die bereit sind an ihnen zu unterrichten, sind aktuell die DaZ-Stunden für die Vorbereitungsklassen. Mit diesen Stunden versuchen viele der Schulen, den außerplanmäßigen Ausfall in den Regelklassen aufzufangen, da das LASUB diesen Schulen keinen oder nur geringen Ergänzungsbereich zuweisen kann und Nebenfächer vielfach bereits planmäßig gekürzt sind. Der Ausfall des DaZ-Unterrichts in den DaZ-Klassen, die dann nicht selten nach Hause geschickt werden, ist unter anderem ein Grund dafür, dass die Verweildauer in Etappe 1 und 2 mehr als zwei Jahre beträgt.
Kürzung des Ergänzungsunterrichtes in der Etappe 3 auf fünf Jahre
Die Kürzungen des sprachlichen Ergänzungsunterrichts für Schüler:innen nichtdeutscher Herkunftssprache in der Etappe 3 sollen in den nächsten fünf Jahren ebenfalls zu jährlichen Einsparungen von 100 VZÄ führen. Auch hier deutet die sehr runde Zahl Einhundert darauf hin, dass es sich eher um eine politische Zielvorgabe als um eine Berechnung handelt, zumal es sich wie bei den Vorbereitungsklassen ebenfalls um 100 VZÄ handelt. Zum Stichtag 25.03.2025 sollen laut SaxSVS 5.225 Schüler:innen länger als 5 Jahre DaZ-3 Förderunterricht erhalten. Bei 0,3 Lehrerwochenstunden wären dies derzeit nur ca. 60 VZÄ bzw. 60 volle Lehrerstellen. Angesichts der in den letzten Jahren stark angestiegenen Zahlen von Schüler:innen mit nichtdeutscher Herkunftssprache wird sich der Bedarf an DaZ-3-Unterricht mindestens verdreifachen.
Daraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass sich auch die Einsparungen verdreifachen. Die sogenannten DaZ-3 Stunden können nur dann ausgegeben werden, wenn die Schulen einen Personalüberhang haben und diesen nicht für andere Aufgaben im Rahmen des Ergänzungsbereichs, also Vertretungsunterricht, sonstige Fördermaßnahmen und Schulentwicklung, benötigen. In der Realität dürfte DaZ-3-Unterricht daher vor allem an den personell gut ausgestatteten städtischen Gymnasien erteilt werden. Hier ist dieser Unterricht ein wichtiger Baustein für eine chancengerechte Bildung, da es für Schüler:innen nichtdeutscher Herkunftssprache hohe sprachliche Hürden gibt, an Gymnasien zu bestehen. Ein Großteil der Schüler:innen nicht deutscher Herkunftssprache wird mittlerweile in Sachsen eingeschult. Nach zwei Jahren in der Etappe 1/2 und 5 Jahren in der Etappe 3 fällt für die Schüler:innen spätestens ab Klasse 8 jegliche spezifische Sprachförderung vollständig weg. Mit anderen Worten: den Gymnasien und Schüler:innen bleiben von 8 Jahren Förderung nur 3 Jahre übrig. Das ist immerhin eine Reduktion von über 60 Prozent.
4) Wie reagieren Schulen und Lehrkräfte auf die angekündigten Kürzungen?
Francesca Gregori, aktiv in der GEW und seit vielen Jahren in unterschiedlichen Funktionen im DaZ-Bereich tätig, versteht eines nicht: "Wenn seitens des SMK und der LASUB die gelingende Integration von Schüler:innen nichtdeutscher Herkunftssprache wiederholt als die aktuell größte und wichtigste Herausforderung für das sächsische Schulsystem bezeichnet wird, warum werden dann ausgerechnet bei der sprachlichen Bildung so große Kürzungen vorgenommen, um die Unterrichtsversorgung zu sichern? Ist das nicht ein Widerspruch?"
In der Tat sind die Reaktionen auf Kürzungen selten so einhellig wie im Fall der Anfang des Jahres angekündigten Streichungen beim DaZ-Unterricht. Die Bemühungen von SMK und LASUB, die erheblichen Einschnitte in der sprachlichen Bildung als moderate Anpassung der seit 2000 geltenden Integrationskonzeption bzw. als konzeptionelle Straffung darzustellen, wurden von Schulen, Lehrkräften und Expert:innen entschieden zurückgewiesen.
In einem offenen Brief an das LASUB kritisierten die in der GEW vernetzten DaZ-Lehrkräfte zudem, dass diese weitreichenden Maßnahmen ohne Konsultation von Fachberater*innen, Lehrkräften und Personalräten getroffen wurden. Wissenschaftliche Erkenntnisse über den Erwerb von Sprachkompetenz als Grundlage jeder schulischen Bildung seien schlichtweg ignoriert worden. Es drohe eine weitere Verschlechterung der Bildungschancen von Schüler:innen nichtdeutscher Herkunftssprache. Schon jetzt würden viele von ihnen die sächsischen Schulen ohne Abschluss verlassen.
Das 2021 gegründete Netzwerk Bildungsgerechtigkeit Dresden (NeBi) dem aktuell acht Dresdner Schulen angehören, die als DaZ-Stützpunktschulen besonders von dem Kürzungen betroffen sind, kritisieren dass die Einschnitte den erst zu Beginn des Jahres ausgesprochenen Empfehlungen der Kultusministerkonferenz in Bezug auf die sprachliche Bildung widersprechen. Sie fordern im Gegensatz zu den Maßnahmen eine deutliche Erhöhung der DAZ-Stunden pro Schüler:in an den Schulen und weisen darauf hin, dass die Dauer bis zur Vollintegration in engem Zusammenhang mit dem zur Verfügung stehenden und tatsächlich erteilten DaZ-Unterricht stehen sollen.
Auch der Sächsische Lehrerverband stellt sich in seiner Stellungnahme gegen die Änderungen: "Die geplante „Straffung“ des Integrationsverfahrens geht weit an der Realität der Schulen vorbei und droht, sie vor unlösbare Herausforderungen zu stellen. [...] Die neue Regelung setzt Lehrkräfte, Schulleitungen und Schülerinnen und Schüler massiv unter Druck. Gute Integration gelingt nicht auf Knopfdruck. Es wird völlig ignoriert, dass sich der Erwerb der deutschen Sprache nicht an starren Fristen orientiert." Der SLV verweist auf die Belastungen für die Lehrkräfte in den Regelklassen, die mit Förderung von Schüler:innen ohne ausreichenden Sprachkenntnisse angesichts der anderen, bereits bestehenden Probleme sächsischer Schulen überfordert seien.
Christin Melcher von Bündnis 90/Die Grünen verweist in ihrer Kritik an den Maßnahmen auf die Bedeutung von Bildung für Integration und gesellschaftliche Teilhabe: „Bildung ist ein Grundrecht und gilt ausnahmslos für alle." Die Konsequenz der Zwangseinstufungen wären "zahlreiche Klassenwiederholungen und eine Erhöhung der Schulabbrecherquote". Die Grünen fordern weiterhin die Einhaltung des sächsischen DaZ-Lehrplans. Dieser sehe einen zeitlich und inhaltlich flexiblen Integrationsprozess vor, der sich an den individuellen Vorkenntnissen, dem bisherigen Bildungsweg sowie den Persönlichkeitsmerkmalen der Schülerinnen und Schülern orientiere.
Auch die stellvertretende Vorsitzende der GEW Sachsen, Claudia Maaß, lehnt die Maßnahmen ab und verweist auf die zu erwartenden negativen Folgen für den Bildungserfolg vieler Kinder und Jugendlicher. Die Entscheidung über eine Integration in Regelklassen müsse auf der Expertise der DaZ- und Betreuungslehrkräfte basieren und dürfe nicht durch administrative Vorgaben erzwungen werden, so die stellvertretende GEW-Vorsitzende, die selbst an einer Oberschule unterrichtet. Sie stellt aber auch klar, dass eine Kritik an der geplanten schematischen Vollintegration nach zwei Jahren nicht bedeute, dass die Schüler:innen dauerhaft in den Vorbereitungsklassen verbleiben sollten. Vor dem vollständigen Wechsel in die Regelklassen müsse jedoch sichergestellt sein, dass sie durch einen angemessenen und verlässlichen DaZ-Unterricht gut auf die Vollintegration vorbereitet sind.
DaZ-Lehrkräfte verschiedener Schulen, die hier nicht namentlich genannt werden wollen, haben angekündigt, eine Beteiligung an der zwangsweisen Vollintegration von Schüler:innen zu verweigern. Bisher sei immer noch eine entsprechende Empfehlung der zuständigen DaZ-Lehrkräfte für den Übergang in die Etappe 3 gefordert. Bei Schüler:innen, denen es aufgrund von Traumata und familiären Katastrophen nicht gelingt, in zwei Jahren ausreichend Deutsch zu lernen und die ggf. auch noch alphabetisiert werden müssen, würde eine solche Empfehlung ihrer pädagogischen Ethik widersprechen.