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Berufliche Bildung

Zur Reform des Berufsbildungsgesetzes

„Im Rahmen der Novelle des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) werden wir eine Mindestausbildungs­vergütung im Berufsbildungsgesetz verankern. Das Gesetz soll bis zum 1. August 2019 beschlossen werden und zum 1. Januar 2020 in Kraft treten. In diesem Rahmen wollen wir die Modernisierung der Ausbildungs- und Aufstiegsordnungen u. a. im Hinblick auf eine digitale Ausbildungsstrategie sowie eine Verbesserung der Rahmenbedingungen erreichen“, so der im Februar 2018 zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarte Koalitionsvertrag auf Bundesebene „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“.

Das BBiG wurde zuletzt 2005 reformiert und selbst vor 50 Jahren – 1969 gegen damals erbitterte Widerstände von Kammern und Arbeitgeberverbänden – ebenfalls in einer Großen Koalition in der alten Bundesrepublik eingeführt. Seine Leistungen bestehen vor allem in der Gliederung der Ausbildung, der Anerkennung außerbetrieblicher Lernzeiten, der Bestimmungen über die Eignung der Ausbildungsstätten, der Einrichtung des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung (heute Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)) und damit in der Umsetzung einer öffentlichen Verantwortung für die Berufsbildung, verbunden mit der Sozialpartnerschaft. Diese, gegen große Widerstände von den Gewerkschaften erkämpften Eigenschaften, sind heute die entscheidenden Voraussetzungen für die vergleichsweise erfolgreiche Entwicklung der Berufsbildung in Deutschland und ihr verhältnismäßig hohes internationales Ansehen. Dass jedoch dringender Verbesserungsbedarf in der Berufsbildung besteht, zeigen alleine der jährlich erscheinende Ausbildungsreport der DGB-Jugend auf.

Daher fordert der DGB folgende Verbesserungen im Rahmen der Reform:

  • Mindestausbildungsvergütung (80 % der durchschnittlichen tariflichen Vergütung)
  • Finanzierung der Ausbildungsmittel klarstellen
  • Freistellung auch am Tag des Berufsschulunterrichts
  • Ankündigung der Nichtübernahme: dreimonatige Ankündigungsfrist
  • BBiG auf betriebliche Praxisphase dual Studierender ausweiten
    • Auszubildende und dual Studierende im Betrieb gleichstellen
  • Berichterstattung zur Berufsbildung auf nicht-duale Ausbildung und duale Studiengänge ausweiten
  • Neugestaltung von Berufsbildern (Ordnungsarbeit) durch Sozialpartner verbindlich festschreiben
  • Rahmenpläne für die Fortbildung verankern
  • Reform des Prüfungswesens:
    • Transparente Verfahren bei Berufung, Zusammen­setzung und Einsatz der Prüfungsausschüsse
  • Wahrung der Parität der Prüfungsausschüsse
  • Bezahlte Freistellung und Weiterbildungsanspruch der Prüfer*innen
  • Qualität
    • Belastbare Systeme der Qualitätssicherung entwickeln
    • Verbindliche Regelung der Eignung der Ausbildungsbetriebe

Für die GEW sind ferner folgende Punkte von besonderer Bedeutung:

Ausbildungsgarantie und Ausbildungszeit
Jede(r) Jugendliche(r) soll einen Rechtsanspruch auf eine adäquate Berufsausbildung mit einer Mindestausbildungszeit von 3 Jahren haben. Die Ausbildungsgarantie braucht einen bundesweiten Förderrahmen, der sicherstellt, dass neben der betrieblichen Ausbildung auch andere Ausbildungsorte zu einem qualifizierten Berufsausbildungsabschluss führen können; die Ausbildungsgarantie bezieht sich auf duale wie nicht-duale Berufe. Eine Modularisierung der beruflichen Ausbildung lehnt die GEW grundsätzlich ab.

Inklusion in der beruflichen Bildung
Inklusion zielt auf gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen, unabhängig von ihren individuellen Dispositionen (vgl. Deutsche UNESCO-Kommission e.V. 2009) und betont den im Grundgesetz (insbesondere Art. 3 GG) festgelegten Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Bundesrepublik Deutschland hat die UN-Menschenrechtskonvention unterzeichnet und sich damit auch verpflichtet, die gesellschaftliche Teilhabe in allen Bildungsbereichen sicherzustellen. In Artikel 24 der UN-Konvention ist das Recht auf Bildung und die Sicherstellung eines gleichberechtigten Zugangs zur Berufsausbildung enthalten. „Inklusion im Bildungsbereich bedeutet, dass allen Menschen die gleichen Möglichkeiten offen stehen, an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potenziale entwickeln zu können, unabhängig von besonderen Lernbedürfnissen, Geschlecht, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen.“  (ebd.)

Die GEW hält diesen Weg für richtungsweisend und fordert von der Bundesregierung, dass sie ihrer aus der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention resultierenden Verpflichtung folgt und rechtliche und strukturelle Voraussetzungen für ein inklusives Berufsbildungssystem auch über die Novellierung des BBIG schafft.
Hierzu gehört u. a. eine differenzierte organisatorische Gestaltung der Berufsausbildung auf der Basis bereits bestehender Ansätze, um allen Auszubildenden sowie jungen Menschen mit Vermittlungshemmnissen und Behinderungen eine individualisierte Ausbildungsgestaltung und Prüfung zu ermöglichen. Zusätzlich ist eine Zertifizierung von nicht-formaler und informell erworbener Kompetenzen im Falle einer vorzeitigen Auflösung eines Ausbildungsvertrages mit der gesetzlich gewährleisteten Anrechenbarkeit bei Aufnahme einer neuen Berufsausbildung gerade auf dem Hintergrund der aktuellen Inklusionsdiskussion sinnvoll. Ausbildungsbetriebe müssen im Rahmen der Inklusion z. B. durch Beratung, externes Ausbildungsmanagement, Ausbildungsverbünde oder kooperative Ausbildungsformen unterstützt werden.

Validierung und Zertifizierung von Kompetenzen
Die Validierung von non-formalen und informell erworbenen Kompetenzen soll zukünftig als Instrument zur Anerkennung berufsrelevanter Kompetenzen im Rahmen der Externenprüfung mit eingebunden werden. Dies ist besonders wichtig bei Menschen mit individuellen, sozialen, sprachlichen und strukturellen Benachteiligungen, mit Migrationshintergrund sowie mit langjährigen Berufserfahrungen, aber ohne Berufsabschluss. Für die Abnahme der Externenprüfung müssen die erforderlichen personalen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Mindestausbildungsvergütung
Die GEW unterstützt die Forderungen aller DGB-Gewerkschaften zu einer Mindestausbildungsvergütung in Höhe von 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütungen. Des Weiteren setzt sich die GEW dafür ein, dass die Ausbildungsvergütungen für betrieblich-schulische sowie vollschulische Ausbildungen, welche derzeit überhaupt nicht vergütet werden, unter diesen Regelungsbereich fallen. Hierfür sind geplante bundeseinheitliche Regelungen in den Ländern zu übernehmen.

Zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens
Das zuständige Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat Mitte Mai 2019 den Entwurf eines „Gesetzes zur Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung“ (BBiMoG) eingebracht. Viele der von DGB und GEW erhobenen Forderungen wurden dort bisher nicht aufgegriffen. Nun stehen die parlamentarischen Beratungen an, die Bundesregierung strebt nach wie vor eine Einführung des modernisierten Berufsbildungsgesetzes zum Januar 2020 an.
Hinsichtlich der zunächst umstrittenen Mindestausbildungsvergütung hat das BMBF eine Art Stufenplan vorgelegt, der von den Spitzen der Sozialpartner im Vorfeld konsensual erarbeitet worden war. Dieser Stufenplan vermittelt den Unternehmen Planungssicherheit und ist ab 2024 dynamisiert – eine im Vergleich zum statischen BAföG wichtige Eigenschaft:

  1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr
2020 515 608 695 721
2021 550 649 743 770
2022 585 690 790 819
2023 620 732 837 868

Für die Aufstiegsfortbildungen sollen die Bezeichnungen „Geprüfte/r Berufsspezialist/in“, „Bachelor Professional“ und „Master Professional“ verwendet werden, die den Niveaustufen 5, 6 und 7 des Deutschen Qualifikationsrahmens zugeordnet werden können. Auch heute stellen berufliche Fortbildungen, beispielsweise zum/zur Meister*in, Techniker*in, Fachwirt*in Wege des beruflichen Aufstiegs dar. Die Anlehnung an die Hochschultitel berücksichtigt jedoch die Besonderheiten des Praxisbezugs nicht und kann letztlich diese „Marken“ der beruflichen Fortbildung sogar schwächen. Eine echte Gleichwertigkeit würde übrigens bedeuten, dass ein Abschluss „Bachelor Professional“ Zugangsvoraussetzung für ein Masterstudium wäre – davon aber sind wir weit entfernt.
Zum Prüfungswesen legt das BMBF neue Regelungen vor, die den zuständigen Stellen beim Einsatz von Prüfern*innen der Abschlussprüfung mehr Flexibilität durch die Delegation von Prüfern*innen zur Abnahme und abschließenden Bewertung einzelner Prüfungsleistungen gewährt. Das entscheidende Problem ist jedoch bislang nicht gelöst: Wir benötigen eine bezahlte Freistellung der Prüferinnen und Prüfer. In diesem Zusammenhang sollte auch gewürdigt werden, welchen enormen Aufwand unsere Berufsbildenden Schulen zur Abwicklung der Kammerprüfungen leisten.
Ferner beabsichtigt das BMBF, die Teilzeitausbildung auszubauen, wobei vor allem Lernbeeinträchtigte, Menschen mit Behinderungen und Geflüchtete als neue Zielgruppen genannt werden. Weitere Zielgruppen müssten aber auch Eltern, Alleinerziehende oder Pflegende sein. Als ganz entscheidend wird sich hier erweisen, inwiefern die Berufsbildenden Schulen, die hier wieder einmal vor enorme Herausforderungen gestellt werden, in die Lage versetzt werden, die Teilzeitausbildung zu ermöglichen.

Quellen:

DGB: Einblick. Gewerkschaftlicher Info-Service Nr.  10/2018, S 5.
DGB, Abteilung Bildungspolitik und -arbeit: KurzInfo 05/19: BBiG umfassend reformieren.
GEW (Hg): Berufsbildende Schulen auf dem Weg zur Inklusion. GEW Positionen zu einer inklusiven beruflichen Bildung. Frankfurt/M., Sep. 2015
GEW (Hg): Für eine moderne und attraktive Berufliche Bildung. Positionspapier zur Novellierung des BBiG. Frankfurt/M., Nov. 2018
Herkner, Volkmar: Öffentliche Aufgabe „Berufsbildung“ –  Zur Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes vor 40 Jahren.

www.bibb.de/de/16619.php (Abruf 10.06.18)


Klinger, Ansgar: Interview zum Berufsbildungsgesetz. In: Berufsbildung 178 (2019), S. 33-35.


Ansgar Klinger
Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der GEW Bund
OB Berufliche Bildung und Weiterbildung

 

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Ralf Becker
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Ralf Becker, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes der GE
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