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Kommentar

Gedanken eines Erziehers

Ich frage mich immer wieder, warum im Lockdown davon geredet wird, dass Schulen und Kitas "zu" bzw. "geschlossen" sind. Das ist schlichtweg nicht der Fall. War es nie.

Foto: pixabay.com, CC0
Foto: pixabay.com, CC0

Wir waren immer offen, hatten das Glück und die Pflicht weiter zu arbeiten. Wir Erzieher*innen (sowie auch die Lehrer*innen) waren immer da und jederzeit ansprechbar (selbst über die eigentliche Dienstzeit hinaus - Homeoffice macht's möglich).

In die Notbetreuung, die sowohl in der ersten Welle wie auch in der zweiten lief und läuft, haben wir uns in der ersten Phase noch reingeteilt. Mittlerweile sind die Auflagen (verständlicherweise) so streng, dass ein Reinteilen quasi unmöglich ist und bestimmte Kolleg*innen jeden Tag ganztägige Einzelbetreuung anbieten während andere zuhause ans Home Office gebunden sind, da wir nur noch unsere eigenen Gruppen betreuen dürfen.

Wenn kein Kind unserer Gruppe anwesend ist (das kann sich ja von Tag zu Tag ändern), nutzen wir die Zeit zur persönlichen Weiterbildung (Angebote gibt's ja derzeit keine), bereiten unsere Gruppenangebote vor, drucken (endlich schaffen wir das mal) aufgenommene Bilder für die Portfolios aus, arbeiten an diesen weiter und räumen die Zimmer sowie unseren persönlichen Arbeitsplatz auf (wozu wir im Normalbetrieb quasi nie kommen). Was noch?

Ach ja; Wir gehen Nebenaufgaben, wie dem Aktualisieren der Webseite (die es dringend nötig hat), dem Qualitätsmanagement (wofür sonst nie Zeit ist), der Vorbereitung des neuen Schuljahres (was hoffentlich wieder normal starten kann), der Ausstattung mit Erste Hilfe-Material (was ja stetig verbraucht wird, aber durch Zeitmangel selten sofort wieder aufgefüllt werden kann) u.v.m. nach.

Nicht zu vergessen unsere Leistungsorientierte Bezahlung, bei der wir uns mit komplexen Fachthemen auseinandersetzen und für die wir zu normalen Zeiten 2 Stunden im Monat Zeit haben.

Nebenbei dürfen wir uns von einem Teil der Öffentlichkeit anhören, dass wir im Home Office ja keine Aufgaben hätten (Entwicklungsberichte schreiben sich ja bekanntlich von allein und Fachliteratur saugen wir auch mit den Fingern auf) und die Kinderbetreuung im Notbetrieb ja total easy sei (obwohl auch wir im ständigen Austausch mit allen Kindern unserer Gruppen sind und uns Angebote für Zuhause überlegen).

Nicht zu vergessen: Hygieneregeln und Arbeitsschutz. Es war, gerade in der ersten Phase des Notbetriebes, für uns Erzieher*innen (wie für eigentlich alle in der Bevölkerung) fast unmöglich an einen adäquaten Infektionsschutz (vor allem FFP2-Masken) zu kommen. Das Infektionsrisiko in unserem Berufsfeld ist, besonders im Notbetrieb mit den Kindern vom teilweise risikobehafteten (sogenanntem systemrelevanten) Personal, besonders hoch. Als Erzieher*innen sind wir immerhin die coronabedingt meist-krankgeschriebenste Berufsgruppe (noch vor medizinischem Personal) von 2020!

Und bei aller Herausforderung, allen Schwierigkeiten und einer besonders angespannten Lage gilt unsere Besorgnis nicht uns selbst. Wir sorgen uns, wie viele viele andere, um die Kinder. Genauer: um ihre Entwicklung. Und um deren Eltern/-teile, die mit dieser krassen Lage klarkommen müssen und dabei teilweise um ihre Existenz kämpfen.

Wir haben auch keine Lösung. Und wir haben den tiefsten Respekt vor allen Entscheidungsträger*innen in dieser Lage.

Wir finden bestimmte Vorschläge und Vorgaben gut und praktikabel, andere zu sehr vom Schreibtisch aus gedacht und nicht umsetzbar.

Doch kommt es leider viel zu selten vor, dass wir bei einer Entscheidungsfindung tatsächlich auch gefragt werden. (Das geht vor allem an die Kultusminister*innen in den Bundesländern.)

Immerhin sind wir diejenigen, die im direkten Kontakt mit anderen Menschen stehen. Was die Belange und Bedürfnisse der Kinder (und den gemeinsamen Alltag mit ihnen) angeht, sind wir, neben allen Eltern/-teilen, eigentlich die besten Ansprechpartner*innen.

Es bleibt zu hoffen, dass wir alle aus der Pandemie lernen und die richtigen Konsequenzen gezogen werden.

Nur als Beispiele:

  • Reduzierung der Kinderanzahl in den Klassen/Gruppen (28 Kinder pro Klasse sind zu viel!)
  • bessere räumliche Ausstattung von KiTas und Schulen (das fängt bei der Größe der Räume an und hört mit der digitalen Ausstattung auf -> gilt übrigens auch für die Personalräume)
  • bessere personelle Ausstattung von KiTas und Schulen (Betreuungs-/Personalschlüssel, Förderung von multiprofessionellen Teams mit Dolmetscherdiensten oder/und Inklusionsverantwortlichen)
  • Bereitstellen von digitalen Plattformen zum Ideen- und Konzeptaustausch (es schwirren so viele schöne Angebote, Konzepte und Ideen herum ...)
  • Förderung des betrieblichen Gesundheitsmanagements (von Angeboten zur Gesundheitsförderung über eine bessere Ausstattung mit Materialien des Gesundheitsschutzes, bis hin zu attraktiven Angeboten der Wiedereingliederung)
  • Schaffen von Anreizen zur beruflichen Fort- und Weiterbildung (in zwei Berufsjahren habe ich nicht eine Fortbildung wahrgenommen, weil die Angebotsquantität mager und die Unterstützung durch den Träger mangelhaft ist)
  • Schaffen von Anreizen einer beruflichen Zukunft (es gibt ja Menschen, die sich weiterentwickeln wollen und nicht vorhaben, 40 Jahre die gleiche Tätigkeit auszuüben ...)
  • u.s.v.m.

Billy Berge-Kolb, Erzieher

Autor: Billy Berge-Kolb, Erzieher