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Erklärung des Gewerkschaftstages der GEW Sachsen

Im Kalenderjahr 2019 haben die sächsischen Wähler*innen die Möglichkeit, ihre Vertreter*innen im Europäischen Parlament, in Kreis- und Städtetagen bzw. in Gemeinderäten sowie im Landtag zu bestimmen.
Nach Auffassung der GEW Sachsen hätten spätestens die Wahlen im Jahr 2014 nicht nur in Hinblick auf die historisch niedrige Wahlbeteiligung Anlass zur Sorge sein müssen. Dass die AfD nach ihrem Erfolg bei den Europawahlen aus dem Stand mit 9,7 Prozent in das erste Landesparlament einzog und die NPD mit 4,9 Prozent den Wiedereinzug in den Sächsischen Landtag nur knapp verfehlte, hätte zu kritischer Auseinandersetzung mit bisherigem politischen Handeln verpflichtet. Grundlegende Änderungen auf vielen Politikfeldern und ein neues Verhältnis von politisch Vertretenden und politisch Vertretenen wären auf europäischer Ebene, in ganz Deutschland und insbesondere auch in Sachsen zwingend erforderlich gewesen.
Eine andere politische Kultur blieb indes genauso aus wie eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. So ist es aus unserer Sicht nicht verwunderlich, dass die größte Sorge der Sachsen lt. Sachsen-Monitor 2018 die Sorge vor einem Anstieg der Gegensätze zwischen Arm und Reich ist.
Dennoch setzen wichtige politische Akteure in unserem Bundesland nach wie vor stärker auf die Regularien des Marktes als auf Absicherung und Schutz durch tarifvertragliche Regelungen. Gewerkschaften oder Personalvertretungen werden weiterhin umfassende Beteiligung und Mitgestaltung verweigert. Selbst über wesentliche Arbeitsbedingungen wird obrigkeitsstaatlich entschieden und Regierende halten an kurzfristigen  Lösungen fest. Die jüngst ergriffene Gesprächsoffensive der CDU mag zur besseren Erklärung politischer Entscheidungen geeignet sein. Einen wirklichen Austausch mit der Bevölkerung und eine bessere, zukunftsfähigere und glaubwürdigere Politik ersetzt sie nicht.
Wir halten die parlamentarische Demokratie in unserem Bundesland für akut bedroht, wenn die sächsische Bevölkerung den politischen Parteien zu 51 Prozent wenig und zu 30 Prozent gar nicht vertraut und wenn eine Mehrheit die Auffassung vertritt, dass man in „diesen Zeiten“ unbedingt eine „starke Hand“ brauche.*
Erschreckend ist für uns auch, dass im o.g. Monitor 56 Prozent der befragten sächsischen Bürger*innen angaben, die Bundesrepublik sei durch „zu viele Ausländer“ überfremdet und dass mehr als jeder Fünfte angibt, dass das auch auf das persönliche Wohnumfeld zutreffen würde.*
Die durch Kriege, Terror, Hass und Vertreibung ausgelöste Flüchtlingskatastrophe hat augenscheinlich bei vielen Menschen in unserem Bundesland zu weiteren Verunsicherungen und Zukunftsängsten geführt. Diese werden von reaktionären Kräften in vielen Teilen Europas, in Deutschland und vor allem in Sachsen genutzt, um Rassismus, Sexismus und Antisemitismus zu schüren und Geschichtsrevisionismus zu betreiben.
Trotz der Schuld, die Deutschland auf sich geladen hat und obwohl sich auch in unserem Bundesland die demokratische Zivilgesellschaft selbstbewusst entgegenstellt, werden gesellschaftliche Tabus zunehmend gebrochen und offensiv völkisch-nationale Positionen vertreten. Nicht nur die im Landtag vertretenen Parteien, sondern auch die Gewerkschaften und andere wichtige gesellschaftliche Organisationen bleiben bisher Lösungen schuldig, die die Bedenken großer Teile der Bevölkerung ernst nehmen, ohne die bestehenden Ressentiments zu verharmlosen.
Da Bildung stets im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen stattfindet, machen die Probleme vor den Bildungseinrichtungen nicht Halt und stellen sie vor zusätzliche Herausforderungen. Es empört uns, dass auch Bildungseinrichtungen, Bildungsinhalte und die Beschäftigten in jüngster Zeit von der rechtspopulistischen AfD immer stärker in den Focus genommen werden und immer häufiger unter Rechtfertigungsdruck geraten.
Auch wenn Kindertageseinrichtungen, Schulen, Hochschulen oder Weiterbildungseinrichtungen allein nicht in der Lage sind, komplexe gesellschaftliche Probleme zu lösen, sind und bleiben sie aus unserer Sicht wesentliche Orte vielfältigster Unterstützung, Orte des Zusammenhalts, Orte der Wertevermittlung und Orte der Demokratie. Bildungseinrichtungen müssen sich gerade jetzt verstärkt dem Auftrag stellen, für das friedliche Zusammenleben aller Menschen einzutreten - unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung, Behinderung oder Einkommen.
Welche Chancen in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Hochschulen oder Einrichtungen der Weiterbildung tatsächlich eröffnet werden, ist nicht nur für jedes Kind, jede*n Jugendliche*n und jede*n Erwachsene*n von herausragender Bedeutung, sondern auch für die Zukunft der Gesellschaft. Je höher der Bildungsabschluss, desto größer ist in der Regel das Einkommen, die Arbeitsplatzsicherheit, die Zufriedenheit im Beruf, die persönliche Gesundheitsvorsorge oder das gesellschaftliche Engagement.
Weil gute Bildung gesellschaftlich und ökonomisch kurz- und langfristig entscheidend für Sachsens Zukunft ist, muss ihr die entsprechende Bedeutung beigemessen werden. Der Fachkräftemangel an den Schulen zeigt, dass Sparen um des Sparens willen am Ende zu erhöhten Kosten, zu steigenden Belastungen und Vertrauensverlust führt. Auch in  anderen Bildungseinrichtungen behindert Personalknappheit pädagogische Innovationen. Trotz vieler von der GEW erkämpfter Fortschritte sind die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und die Lernbedingungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unzureichend.
Die GEW Sachsen fordert die im September 2019 zur Wahl antretenden Parteien auf, nicht nur in ihren Wahlprogrammen, sondern auch in realer Politik, Bildung den ihr gebührenden Stellenwert als wesentlicher und innovativer Faktor für die Zukunft unseres Landes einzuräumen und sich gleichzeitig für die deutliche Stärkung der  Demokratie durch Bürgerbeteiligung und politische Bildung einzusetzen.
Die GEW Sachsen wird ihre Aufgaben als Vertreterin der beruflichen, wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Interessen ihrer Mitglieder weiterhin konsequent wahrnehmen. An Entscheidungen zu Bildungsfragen werden wir uns im kritisch-konstruktiven Dialog mit allen demokratischen Kräften beteiligen. Wir werden nicht nachlassen, für eine vielfältige, tolerante, gerechte Gesellschaft sowie für Zusammenhalt, Solidarität und Partizipation einzutreten. In diesem Sinne werden wir zu den verschiedenen Wahlen 2019 und in den kommenden Jahren Position beziehen und im Bündnis mit anderen für ein demokratisches, lebenswertes, bildungsbewusstes Sachsen eintreten.


Schöneck, im März 2019


*Daten aus: dimap – Institut für Markt- und Politikforschung GmbH: Sachsen-Monitor 2018,
Ergebnisbericht

Beschluss GT/2019/02 - 1. Allg. Gewerkschafts- und Gesellschaftspolitik