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Schule

Runder Tisch „Bildungsgerechtigkeit“ in Dresden gegründet

Auf Einladung von GEW Sachsen, DGB, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und von Teach First versammelten sich am 2. September knapp 80 Teilnehmende aus der Dresdner Bildungslandschaft im Dresdner Gewerkschaftshaus mit einem klaren Ziel: Gemeinsam Bildungsgerechtigkeit voranzubringen und nachhaltige Veränderungen anzustoßen.

Die Einrichtung eines Runden Tisches war von vielen Pädagog*innen, Akteur*innen und Familien in der Dresdner Bildungslandschaft in den letzten Monaten immer wieder gefordert worden. Denn die monatelangen Schulschließungen während der Pandemie haben die seit vielen Jahren schwierigen Bedingungen in Schulen und Horten mit besonderen sozialen Herausforderungen weiter zugespitzt (vgl. E&W 12/2018). In mehreren Thementischen sollen im Schuljahr 2021/22 daher Strategien für die Entwicklung von Einrichtungen in sozioökonomisch schwachen Stadträumen diskutiert werden.

Ziel der Auftaktveranstaltung in der Vorbereitungswoche war es zu klären, welche Themen ein Runder Tisch “Bildungsgerechtigkeit in Dresden“ beraten soll. Hierfür war breit eingeladen worden. Die Resonanz übertraf die Erwartungen der Veranstalter*innen, die mit der Hälfte der Teilnehmer*innen geplant hatten:

Es waren Hortleitungen und Schulleitungen aus mehreren Dresdner Grund- und Oberschulen anwesend, Schulsozialarbeiter*innen, Lehrkräfte und Erzieher*innen, Stadträt*innen verschiedener Parteien, Mitarbeiter*innen aus der Stadtentwicklung und der kommunalen Verwaltung, Bildungsverantwortliche der Dresdner Museen, Bibliotheken und des Konservatoriums, Wissenschaftler*innen der Technischen Universität und der Evangelischen Hochschule Dresden, Vertreter*innen der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer sowie viele Vereine und Stiftungen, die in sozial benachteiligten Stadtteilen aktiv sind. Zur aktuellen Bildungssituation in Dresden nahmen in Impulsvorträgen der Bildungsbürgermeister Jan Donhauser (CDU) sowie Clemens Arndt vom Landesamt für Schule und Bildung (LASUB) Stellung. Frau Professor Margund Rohr-Hilmes von der Evangelischen Hochschule Dresden verschaffte den Anwesenden einen prägnanten Einblick in die wissenschaftliche Diskussion zum Thema Bildungsgerechtigkeit, bevor die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Sachsen, Uschi Kruse, die Diskussion eröffnete, indem sie hervorhob: „Es ist hier die richtige Zeit und der richtige Ort für einen Runden Tisch, denn Dresden ist mit dem Mehrbedarfsindex für KITAs und Horte Vorreiter in Sachen Bildungsgerechtigkeit. Diese Erfahrungen können ein guter Ausgangspunkt für die Unterstützung von Schulen in prekärer Lage sein.“

Nach einer kritischen Bestandsaufnahme wurde in einer Fish-Bowl-Diskussion die Frage geschärft, welche Themen der Runde Tisch künftig beraten soll, welche Akteure unbedingt gehört werden müssen. Hier wurde herausgestellt, dass neben den bereits anwesenden Institutionen auch die Schüler*innen und betroffenen Familien nicht vergessen werden dürften und mit an einen runden Tisch gehören würden.

Schüler*innen und betroffenen Familien dürfen nicht vergessen werden

Als Themen wurde genannt: Der Aufbau einer pädagogische Netzwerkarbeit über die Schulgrenzen hinweg, Personalmangel und eine bedarfsgerechte Ressourcenausstattung, neue Konzepte für Inklusion, Deutsch als Zweitsprache, individuelle Lernförderung sowie eine positive Öffentlichkeit für die Herausforderungen von Bildungseinrichtungen in sozialen Brennpunkten. Angesprochen wurde auch der gestiegene Fortbildungsbedarf in Bezug auf Schüler*innen mit herausforderndem Verhalten – nicht nur bei hauptberuflichen Pädagog*innen, sondern auch bei Ehrenamtlichen, die kulturelle oder sportliche Ganztagsangebote organisieren. Denn zu oft seien nebenberufliche Kursleiter*innen mit dem Verhalten der Kinder und Jugendlichen überfordert und würden ihr Bildungsangebot zurückziehen. Immer wieder betont wurde zudem, dass Schule von einem oftmals noch reinen Lernort zu einem ganztägigen Lebensort weiterentwickelt werden müsse – unter Einbeziehung möglichst vieler sozialer und kultureller Institutionen im Viertel und in der Stadt. Einig waren sich die Anwesen darin, dass eine vertrauensvolle Kommunikation auf Augenhöhe zwischen den unterschiedlichen Akteuren notwendig sei, um die komplexen Bildungsherausforderungen in segregierten und benachteiligen Stadtteilen bewältigen zu können.

In diesem Sinne sieht Clemens Arndt vom Landesamt für Schule und Bildung in Dresden in dem Runden Tisch eine echte Chance: „Es ist wichtig, dass sich alle Akteure zusammenfinden, um gemeinsam die Situation für Schulen in sozial-herausfordernden Lagen zu verbessern. Ich sehe es zudem auch als Möglichkeit, die Belastungen von Schulleitungen und Lehrkräften offen darzustellen, denn viele Aufgaben entsprechen nicht mehr dem eigentlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag.“ Dresdens Bildungsbürgermeister Jan Donhauser bedankte sich bei den Organisatoren des Tages und kündigte ebenfalls die Teilnahme der Stand am Runden Tisch an: „Gemeinsam können wir ein ganzes Stück vorankommen. Deshalb beteiligen wir uns am Runden Tisch.“

Als Gewerkschaft ist es unsere primäre Aufgabe, für Bildungsgerechtigkeit verlässliche materielle und personelle Strukturen einzufordern. Strukturen, die sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche entsprechend ihren vielfältigen Bedürfnissen und Begabungen von den Fachkräften vor Ort tagtäglich gefördert werden können, ohne dass die Pädagog*innen an ihre psychischen und physischen Grenzen gehen müssen. Bildungsgerechtigkeit bedeutet für uns als Gewerkschaft gute Arbeitsbedingungen auch an Einrichtungen mit großen sozialen Herausforderungen, so dass Pädagog*innen hier genauso gern zur Arbeit kommen, sich engagiert für Kinder und Jugendliche einsetzen und lange gesundbleiben. Als GEW sind wir uns aber bewusst, dass auch die beste Ausstattung allein nicht sicherstellt, dass der Zugang zu Bildung in Dresden gerechter wird. Es sind auch kluge Konzepte, Aufgeschlossenheit für neue Wege und starke Netzwerke notwendig, damit Schulen sich weiterentwickeln und damit Bildung nicht nach dem Verlassen der Schule aufhört.

Bildungsgerechtigkeit bedeutet gute Arbeitsbedingungen auch an Einrichtungen mit großen sozialen Herausforderungen

In Dresden arbeiten wir in enger Kooperation mit André Schnabel vom DGB bereits seit drei Jahren zum Thema der ungleich verteilten Bildungschancen. Vor der Landtagswahl 2019 haben wir in der Vorbereitungswoche erstmals im Gewerkschaftshaus zum Thema eingeladen unter der Überschrift: Zukunftsdialog Bildung – Ungleiches ungleich behandeln! Brauchen wir für Schulen einen Sozialindex, um Bildungschancen gerechter zu verteilen? Im März 2019 fand mit Unterstützung der GEW das 1. Werkstattgespräch zur Schulentwicklung an der 135. Grundschule statt (vgl. E&W 4/2020) und im Mai dieses Jahres nahmen auf Einladung von GEW und DGB über 40 Bildungsakteure an einer Präsentation und Diskussion des 3. Dresdner Bildungsberichtes für Gorbitz teil. Der Dresdner Bildungsbericht von 2019 belegt eindrücklich mit Zahlen, was viele Kolleg*innen tagtäglich in ihrer Arbeit an Schulen, KITAs, Horten und Jugendeinrichtungen erfahren: Bestimmte Stadtteile sind in Dresden sozial und in Bezug auf den Bildungserfolg immer stärker abgehängt.

Hier gibt es einen bis 13-mal (!) höheren Bedarf an sonderpädagogischer Förderung, über 20 Prozent der Schüler*innen verlassen die Oberschulen ohne einen Abschluss und weniger als 30 Prozent erreichen eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium. In einem Runden Tisch sehen wir eine große Chance, dass verschiedene Perspektiven in einen vertrauensvollen Austausch treten, um die Bildungsgerechtigkeit in Dresden gerade nach der Pandemie-Erfahrung weiter zu stärken. In diesem Sinne freuen wir uns besonders, dass sowohl die Stadt als auch das Landesamt für Schule und Bildung ihre Bereitschaft erklärt haben, in den folgenden Monaten an einem Runden Tisch mitzuarbeiten.

Juri Haas
Ehrenamtliches Leitungsteam
Referat Antidiskriminierung Migration und Internationales