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Frühkindlichen Bildung

Der Anfang vom Ende?

Unter dem Titel „Plätze. Personal. Finanzen“ veröffentlichte im Dezember des vergangenen Jahres eine Autorengruppe des Forschungsverbundes Deutsches Jugendinstitut (DJI)/Technische Universität Dortmund die ersten Ergebnisse einer zweiteiligen Studie zum Betreuungsangebot und Fachkräftebedarf in der (früh)kindlichen Bildung.

Unter dem Titel „Plätze. Personal. Finanzen“ veröffentlichte im Dezember des vergangenen Jahres eine Autorengruppe des Forschungsverbundes Deutsches Jugendinstitut (DJI)/Technische Universität Dortmund die ersten Ergebnisse einer zweiteiligen Studie zum Betreuungsangebot und Fachkräftebedarf in der (früh)kindlichen Bildung. Auf dem Höhepunkt der zweiten Pandemie-Welle nahmen jedoch weder die Medien noch der Großteil der Fachleute die Bedeutung dieser Untersuchung wahr. Dabei sind gerade die Ergebnisse für die ostdeutschen Bundesländer einer genaueren Betrachtung wert. Es ging nämlich um die „Bedarfsorientierte Vorausberechnung für die Kindertages- und Grundschulbetreuung bis 2030“, wie der Untertitel präzisiert. Drei Fragen standen dabei im Vordergrund: „Wie viele Plätze müssen geschaffen werden, um ein bedarfsdeckendes Angebot zu gewährleisten? Wie viel Personal wird hierfür benötigt? Welche Kosten sind damit verbunden?“

Geteiltes Land

Aufbauend auf ihren Prognosen zum Platz- und Personalbedarf, heben die Autorinnen und Autoren drei Befunde besonders hervor:

  1. Für beide Landesteile wird es vorerst „keine in ihrer Richtung gleichlaufende Ausbaugeschichte mehr geben“.
  2. In Westdeutschland werden „mindestens bis zum Jahr 2025 (…) erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen, um sowohl den Platz- als auch den Personalbedarf decken zu können“. Erst danach wird die demographische Entwicklung dort eine Trendwende bewirken.
  3. Dagegen hat im Osten Deutschlands „bereits eine neue Phase begonnen, bei der sich rechnerisch – im Durchschnitt, nicht aber überall vor Ort – kein nennenswerter ungedeckter Platzbedarf mehr zeigt“. Gleichzeitig sei davon auszugehen, dass der Personalbedarf geringer ist als die Ausbildungskapazitäten.

Als ein wesentlicher Grund für diese unterschiedliche Entwicklung in beiden Landesteilen wird vor allem der Nachholbedarf beim Ausbau an Betreuungsplätzen für U3-Jährige in Westdeutschland genannt, der einen entsprechenden Personalbedarf mit sich bringt. Zudem sind die Geburtenzahlen nach 2011 im Gegensatz zu den ursprünglichen Annahmen teils deutlich gestiegen. Das hat den Bedarf an Betreuungsplätzen gerade in diesem Landesteil noch einmal vergrößert – ebenso wie die Zuwanderung von Schutz- und Asylsuchenden in den Jahren 2015/2016.
Demgegenüber ist die Lücke zwischen dem Angebot und der Nachfrage an Betreuungsplätzen in Ostdeutschland schon aufgrund des viel umfangreicheren Ausbaus an Kindertageseinrichtungen erheblich geringer. Gleichzeitig ist hier die Betreuungsquote traditionell höher und nicht so sprunghaft angestiegen wie in Westdeutschland seit 2013 mit der Einführung des uneingeschränkten Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr.

Unterschiedlicher Personalbedarf in Ost und West

Legt man die aktuell gültigen (und für die meisten Bundesländer verschiedenen) Personalschlüssel zugrunde, ergibt sich somit deutschlandweit ein zweigeteiltes Bild: Während in den sogenannten alten Bundesländern in den kommenden fünf Jahren „mindestens 20.400, gegebenenfalls sogar bis zu 72.500 Kita-Fachkräfte fehlen“, werden im östlichen Teil der Bundesrepublik „bald schon mehr Fachkräfte ausgebildet als benötigt werden“.

Die Autorinnen und Autoren bilanzieren für Ostdeutschland, „dass zwar auch in den nächsten Jahren vor allem aufgrund des altersbedingten Ausscheidens vieler Fachkräfte immer wieder neu ausgebildetes Personal benötigt wird, allerdings weitaus weniger als dies in den letzten Jahren der Fall war und weitaus weniger als an Neuzugängen aus den einschlägigen Ausbildungen zu erwarten ist.“
Bis zum Jahr 2030 würden „etwa 30.000 bis gut 50.000 neu ausgebildete Fachkräfte nicht mehr ohne Weiteres von einer erfolgversprechenden Einmündung in den ostdeutschen Arbeitsmarkt Kita ausgehen können.“

Die Situation in Sachsen

Das ist aus sächsischer Perspektive nicht sehr verwunderlich. Hier werden die Ausbildungskapazitäten für angehende Erzieherinnen und Erzieher seit einer ganzen Weile stetig erweitert, während die Bevölkerungsentwicklung im Freistaat schon seit Anfang der 1990er Jahre vom Geburtendefizit bestimmt wird.
In einer Pressemitteilung verwies das sächsische Kultusministerium im vergangenen Sommer darauf, dass „seit 2013 den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, darunter den Krippen, Kindergärten und Horten jährlich rund 2.000 Absolventen zur Verfügung“ stehen und auch für 2021 und 2022 ähnlich hohe Absolventenzahlen erwartet werden. Zum Vergleich: 2003 waren es noch rund 200 Erzieherinnen und Erzieher, die die Fachschulen verließen, deren Anzahl im Freistaat sich seitdem mehr als verdreifacht hat.

Gleichzeitig wird die Bevölkerung in Sachsen auch in den kommenden Jahren weiter schrumpfen. Das Statistische Landesamt veröffentlichte im Mai 2020 die mittlerweile siebente Bevölkerungsvorausberechnung und zeigte darin die wahrscheinliche Entwicklung bis zum Jahr 2035 auf. Bei einem jährlichen Geburtendefizit von über 20.000 Personen wird es laut den Prognosen im Vergleich zu 2018 im Jahr 2030 in Sachsen zwischen 10,6 und 16,7 Prozent weniger Kinder im Alter von bis zu 6 Jahren geben!
Das wird nicht auf alle Regionen gleichermaßen stark zutreffen und vor allem in den ländlichen Gegenden ungleich stärker als in den großen Städten ausgeprägt sein. Doch auch Dresden und Leipzig als regionale Bevölkerungsmagnete werden diese Entwicklung zu spüren bekommen. Und wie man sieht, werden erste Auswirkungen schon jetzt sichtbar.
So vermeldete die Sächsische Zeitung in diesem Frühjahr, die Stadt Löbau habe ihren beiden Tagesmüttern zum Jahresende den Vertrag gekündigt. Als Begründung wurden die rückgängigen Geburtenzahlen sowie die sinkende Auslastung der Krippenplätze angeführt. Auch in der Landeshauptstadt Dresden rechnet man mit einem sinkenden Bedarf an Betreuungsplätzen aufgrund rückläufiger Geburtenzahlen, die größer seien als man zunächst angenommen habe. Erst vor kurzem wurden daher die Eltern von zwei Kindertageseinrichtungen darüber informiert, dass diese aufgrund der zu erwartenden geringeren Auslastung aller Voraussicht nach in den kommenden drei Jahren schließen würden. Neuanmeldungen sind dort ab sofort nicht mehr möglich. Entsprechend gibt es im Gegensatz zu den letzten Jahren beim mit rund 3.700 Beschäftigten größten sächsischen Arbeitgeber für pädagogische Fachkräfte, dem Eigenbetrieb Kindertageseinrichtungen Dresden, momentan nur sehr wenige und überwiegend befristete Stellenangebote für Erzieherinnen und Erzieher.

Quo vadis, Fachkraft?

Leider liefert die Studie des DJI/TU Dortmund mit ihrer groben Betrachtung von Ost- und Westdeutschland keine regionalen Prognosen zum künftigen Fachkräftebedarf. Wünschenswert wäre eine detaillierte Untersuchung der einzelnen Bundesländer und Regionen gewesen. Daraus ließen sich dann auch die Antworten auf die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit einer den Bedarf übersteigenden Anzahl von pädagogischen Fachkräften präzisieren.
Pauschal benennen die Forscherinnen und Forscher in ihrer Studie drei Möglichkeiten, wie man dem zu erwartenden Fachkräfteüberschuss in Ostdeutschland begegnen kann: Als erstes könnte „eine Qualitätsoffensive gestartet werden, mit der die immer wieder kritisierten Personalschlüssel verbessert werden“. Auch bliebe den neu ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern noch die Option, „in den westdeutschen Regionen eine berufliche Perspektive (zu) finden, in denen händeringend Personal gesucht wird“. Und schließlich wäre eine schrittweise Reduzierung der Ausbildungskapazitäten eine weitere Maßnahme.

Was folgt daraus für Sachsen?

Im Freistaat wurde – übrigens ebenfalls im Dezember des vergangenen Jahres – das sogenannte „Bildungsstärkungsgesetz“ vom Landtag verabschiedet, durch das „die Attraktivität des Erzieherberufes erhöht und der Bedarf an gut ausgebildeten pädagogischen Fachkräften in der frühkindlichen Bildung besser gedeckt werden“ soll. Mit den neuen Regelungen erhofft man sich, mehr Menschen für den Erzieherberuf zu gewinnen, indem man unter anderem das bei privaten Trägern übliche Schulgeld für angehende Erzieherinnen und Erzieher erstattet. Gleichzeitig können nun Assistenzkräfte in einem Umfang von bis zu 20 Prozent auch in Kindergärten und Horten eingesetzt werden.

Wenn jedoch, wie alle Vorausberechnungen ankündigen, die Kinderzahlen kontinuierlich zurückgehen und gleichzeitig die Ausbildungskapazitäten steigen, dann erhalten wir hierzulande endlich die Chance für eine signifikante und nachhaltige Verbesserung der Qualität von Krippen, Kindergärten und Horten. Denn „zu viel“ Kita-Personal gibt es nur, wenn die Bedingungen nicht geändert werden. Nach wie vor ist aber der Personalschlüssel bei uns in Sachsen einer der schlechtesten aller Bundesländer und entspricht nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen.
Auch die Gruppengrößen sind vielerorts nicht kindgerecht. Bislang wurde insbesondere von Seiten der Politik zur Begründung angeführt, es seien nicht genügend Fachkräfte vorhanden, um die Rahmenbedingungen zu verbessern.
Dass dies schon jetzt nicht mehr zutrifft, zeigen aber nicht nur die genannten Beispiele und statistischen Modelle, sondern wissen auch alle, die gegenwärtig auf Arbeitssuche sind. Der Zeitpunkt für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen in Kindertageseinrichtungen ist daher momentan ideal. Trotzdem hat man eine Gelegenheit erst kürzlich verstreichen lassen. Im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien noch eine Verbesserung des Personalschlüssels versprochen.
Angekündigt wurde: „Fehlzeiten, die durch Urlaub, Weiterbildung und Krankheit im Umfang von bis zu 20 Prozent der Bruttoarbeitszeit entstehen, sollen ab 2022 schrittweise bei der Berechnung des Personalschlüssels berücksichtigt werden.“
Der im Mai dieses Jahres verabschiedete Doppelhaushalt 2020/21 sieht diese Verbesserung nun nicht mehr vor. Angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die frühkindliche Entwicklung und der noch nicht absehbaren Langzeitfolgen, ist eine Qualitätsverbesserung in Kindertageseinrichtungen jedoch dringend geboten. Die Weichen müssen dafür jetzt gestellt werden.

Matthes Blank
Gewerkschaftssekretär
BV Dresden

 

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Matthes Blank
Pressesprecher / Referent für Öffentlichkeitsarbeit
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