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Interview

Blick zurück und nach vorn

E&W: Vor ziemlich genau vier Monaten schlossen sich die Türen von Kindertageseinrichtungen, Schulen und Hochschulen weitestgehend. Was hast du damals erwartet? U.K.: Ich war zugegebenermaßen genauso überfordert wie viele Menschen in unserer Gesellschaft. Mit so weitgehenden Einschränkungen hatte schlichtweg keine*r Erfahrung. Dass tausende Kinder für Wochen zu Hause bleiben würden, war außer meiner Vorstellung. Das Wichtigste war für mich zunächst, die GEW arbeitsfähig zu halten. ...

... Mir war sofort klar, dass große Verunsicherung und viel Beratungsbedarf bei unseren Mitgliedern entstehen würde und dass wir ihnen gerade in dieser Zeit verlässlich zur Verfügung stehen mussten. Außerdem war ich von Anfang an überzeugt, dass Zusammenarbeit gefordert war. Deshalb haben wir dem Kultusministerium von Beginn an sofort unsere Zusammenarbeit angeboten.

E&W: War der Beratungsbedarf tatsächlich so groß und welche Themen haben die GEW besonders beschäftigt?
U.K.: Die Aufzählung der Themen würde diese Seite sprengen. Ich war letztens gezwungen, eine Übersicht über die Schrei­ben allein an das SMK zu erstellen und war selbst verwundert, wie vielfältig die Probleme waren, die wir in ca. 40 Mails, Offenen Briefen u. a. thematisiert haben. Die Initiativen gegenüber dem Wissenschaftsministerien oder unsere Hinweise an den Städte- und Gemeindetag waren dabei nicht einmal aufgelistet.

Die Schnelligkeit mit der unerwartete Schwierigkeiten auf unsere Kolleg*innen und damit auf uns einprasselten, hat mich häufig an die 90er Jahre erinnert. Kurzarbeit, Absenkung von Beschäftigungsumfängen an Kitas, fehlender Gesundheitsschutz für Erzieher*innen und Lehrer*innen in der Notbetreuung, der Zusammenbruch der Jobs bei Studierenden und, und, und. Und natürlich all die vielen Fragen, die mit der Wiedereröffnung von Kitas und Schulen verbunden waren. Ohne ein gutes und sehr engagiertes Team wäre all das nicht möglich gewesen, und ich schulde meinen Kolleg*innen wirklich ein großes Dankeschön.
 
E&W: Was war leichter – die Schließung oder die Öffnung von Bildungseinrichtungen?
U.K. Es kommt ein wenig auf den Blickwinkel an. Die Schließung hat die Einkommen und die Sicherheit manches Arbeitsplatzes sofort gefährdet und ich ärgere mich bis heute darüber, zu welchen Maßnahmen genau die Arbeitgeber gegriffen haben, die zu anderen Zeiten über Fachkräftemangel lamentieren. Mit dem Begriff Wertschätzung muss uns auf absehbare Zeit keiner von denen kommen. Dennoch war die Zeit in mancher Hinsicht leichter. Wir konnten vieles verhindern, vieles anregen und durchsetzen.
Die Situation änderte sich mit der schrittweisen Wiedereröffnung. Da entstanden zwangsläufig Konflikte, die bis heute nachwirken.

E&W: Welche Konflikte meinst du konkret?
U.K.: Zum einen kann man natürlich diskutieren, ob das Ablegen der Prüfungen wirklich wichtiger war als besondere Angebote für Kinder zu unterbreiten, die es schwerer haben zu Hause zu lernen oder ob es nicht klüger gewesen wäre, statt der vierten Klassen die ersten wieder in die Schulen zu holen. Die KMK hat m. E. hier falsche Prioritäten gesetzt und ist den Weg des geringsten Widerstandes gegangen. Für deutlich problematischer halte ich allerdings, in welchem Maße der Gesundheitsschutz der Beschäftigten aufgegeben wurde. Wer sich z. B. ernsthaft mit der Altersstruktur und der Einstellungspolitik an Oberschulen befasst, weiß, dass landesweite Prüfungen gar nicht durchführbar wären, ohne dass sich Kolleg*innen, die zur Risikogruppe gehören, täglich auf den Weg in ihre Schule machen.

Dass Krippen, Kindergärten, Horte und Schulen für Kinder und Eltern wichtig sind, braucht uns niemand erzählen. Für ein flächendeckendes Kita-Angebot und wohnortnahe Schulen haben wir schon vor 30 Jahren gekämpft und natürlich hat die Rückkehr zum „eingeschränkten“ Regelbetrieb auch vielen Kolleg*innen ihre Arbeit erleichtert. Dennoch: Trotz der jetzt erfreulich niedrigen Infektionszahlen ist es auch mit Blick auf die Zeit nach den Ferien unerlässlich, beim Abwägen der Interessen von Kindern, Eltern und Beschäftigten eine bessere Balance zu finden.

E&W: Nach den Ferien soll zum Regelbetrieb zurückgekehrt werden. Was sagst du dazu?
U.K.: Ich würde mich freuen, wenn das möglich wäre. Wie andere Menschen habe auch ich keine Lust mehr darauf, immerzu nachzusehen, ob ich in die Handtasche des Tages eine Maske gesteckt habe. Ich möchte in einem vollbesetzten Konzert oder Straßencafe sitzen, Freunde aus anderen Gegenden umarmen und mehr Zeit für die gründliche Auseinandersetzung mit gewerkschaftlichen Themen haben, die jetzt aus dem Blick geraten sind oder auf uns zukommen. Nur zur Erinnerung: Der Personalmangel ist nicht weg und die Regierung wird schon beim Entwurf des nächsten Doppelhaushaltes die enormen Steuereinbrüche einpreisen. Das wird auch uns fordern.

Wie schön und schwierig Normalität auch immer wäre, ich bin der festen Überzeugung, dass man mit verschiedenen Szenarien planen muss. Vorsorge für den Fall einer zweiten oder gar dritten Corona-Welle zu treffen, schadet nicht. Wenn diese – wie auch ich sehr hoffe – nicht eintritt, wird kein Schaden angerichtet. Wer sich allerdings im Wesentlichen auf den Regelbetrieb vorbereitet, kann den Schaden kaum vermeiden, wenn plötzlich Schließungen unumgänglich werden.

E&W: Wir danken dir für deine Ausführungen und wünschen dir eine schöne Urlaubszeit.
U.K.: Das wünsche ich der Redaktion der E&W, den fleißigen Beschäftigten der GEW, den vielen Ehrenamtlichen und all unseren Mitgliedern auch. Erholt euch gut. Und: Bleibt gesund!