Schule
Mehr Zufriedenheit im Beruf ist das beste Mittel gegen Lehrkräftemangel
Am Lehrkräftemangel sind die Vorgängerregierungen schuld und wir müssen das jetzt ausbaden. Das stimmt. Doch der Mangel hat auch eine weitere Ursache: Viele verlassen den Beruf oder kommen erst gar nicht an.
Auf seiner Pressekonferenz am 31. Juli verkündete Kultusminister Christian Piwarz, dass 773 grundständig ausgebildete Lehrkräfte zum neuen Schuljahr eingestellt wurden. Hinzu kommen 140 Seiteneinsteiger*innen, die bereits zum 1. Mai eingestellt wurden und nun erstmalig vor der Klasse stehen sowie 120 neu eingestellte pädagogische Fachkräfte im Unterricht an Förderschulen. Die verkündeten 1.033 neuen Lehrkräfte sind demnach bei näherer Betrachtung eine Beschönigung. Viel interessanter ist jedoch, dass der Kultusminister auf mehrfache Nachfrage von Journalist*innen meinte, der tatsächliche Bedarf von Lehrkräften sei nicht bezifferbar.
3.500 Vollzeitstellen hätten besetzt werden müssen
Zu ehrlicher Politik gehört, die tatsächliche Lücke auch öffentlich zu benennen: Schaut man sich die Zahlen vom letzten Schuljahr an, fehlten 1.800 Vollzeitstellen für Grund- und Ergänzungsbereich mit gekürzter Stundentafel. Ohne planmäßigen Unterrichtsausfall wären 500 zusätzliche Stellen nötig. Zum Bedarf aus dem letzten Jahr kommen mit der steigenden Schüler*innenzahl rund 1.200 fehlende Stellen obendrauf, wenn die Klassen nicht noch größer werden sollen. Insgesamt fehlen demnach 3.500 Vollzeitstellen, die im neuen Schuljahr hätten besetzt werden müssen, zzgl. dem Ersatz für Lehrkräfte, die während des laufenden Schuljahrs ausscheiden. Auch dazu liegen Zahlen vor. Der Lehrkräftemangel ist also durchaus bezifferbar, auch nach Schularten und Regionen. Doch vor der Landtagswahl wollte das Kultusministerium wohl lieber nicht diese miserable Bilanz verkünden.
Christian Piwarz sagte auf der Pressekonferenz ebenfalls, man hätte gern mehr Lehrkräfte eingestellt. Doch was in der Betrachtung vollkommen fehlt: Wie viele Lehrkräfte hat man verloren, bei denen nicht einmal versucht wurde, sie zum Bleiben zu bewegen? Welche Gründe führen dazu, dass Lehrkräfte vorzeitig die Schuleverlassen?
Viele verlassen den Beruf oder kommen erst gar nicht an
Im letzten Schuljahr beendeten 1.477 Lehrkräfte den Schuldienst: 680 per Auflösungsvertrag und 466 durch Kündigung.
In den Jahren zuvor zeigen sich nahezu identische Zahlen. Auch der Kultusminister betont regelmäßig, dass neun von zehn Lehrkräften vor Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Beruf gehen. Die Gründe für das Ausscheiden kann man sich denken, doch sie werden nicht erhoben und es gibt keine Strategie, um diese Menschen im System zu halten. Etwa indem gezielt analysiert wird, was sie zum Verlassen des Berufs bewegt und durch welche Maßnahmen sie gehalten werden könnten.
Und was wird aus den über 2.000 Studierenden, die in Sachsen jedes Jahr ein Lehramtsstudium aufnehmen? Im Jahr 2015 hatten 2.200 Studierende ihr Lehramtsstudium aufgenommen. Einen Abschluss erhielten 2020 lediglich 1.419 Lehramtsabsolvent*innen. Mehr als ein Drittel ging demnach während des Studiums verloren. Die Daten sind über viele Jahre konsistent. Immerhin ist die zeitliche Lücke zwischen Studium und Referendariat auf Dringen der GEW weitgehend geschlossen, sodass 2020 auch rund 1.400 angehende Lehrkräfte ihr Referendariat aufgenommen haben. Bundesweit ist die Lage ähnlich, wie eine Erhebung des Stifterverbands für die deutsche Wirtschaft zeigt: Von 52.500 Studienanfänger*innen im Lehramt kommen gerade einmal 34.600 im Beruf an.
Die Zufriedenheit ist die beste Werbung für den Beruf
Der Lehrkräftemangel wird also längst nicht auf allen Linien angegangen. Klar ist: Der Stress, die Überlastung, volle Klassen, wenig Unterstützung bei zunehmenden Aufgaben führen dazu, dass die Attraktivität Lehrer*in zu werden immer weiter absinkt. Das ist auch die Hauptursache für den Praxisschock, den Lehramtsstudierende, Referendar*innen und Seiteneinsteiger*innen erleben.
Die Verbeamtung hilft da leider wenig. Insbesondere denjenigen, die vorzeitig aus dem Beruf aussteigen wollen, bringt sie nichts. Um den Lehrkräftemangel nachhaltig zu bekämpfen, gibt es nur ein Mittel: Der Beruf muss attraktiver werden. Die Zufriedenheit von Lehrkräften ist die beste Werbung für den Beruf. Statt Teilzeit einzuschränken, die Arbeit immer weiter zu verdichten und dabei mit der Verbeamtung zu locken, muss die Belastung runter und endlich mehr Zeit für gute Bildung geschaffen werden. Die Schulforschung hat schon lange erkannt, dass die beste Bildung dort stattfindet, wo die Zufriedenheit auf Seiten der Lehrkräfte und Schüler*innen hoch ist. In der Schulpolitik haben wir da noch großen Nachholbedarf.
Quellen: Sächsischer Landtag Drs.-Nr. 7/16808, 7/9251 und 7/4260, www.stifterverband.org/lehrkraeftetrichter
04229 Leipzig