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Mehr als Mehrsprachigkeit

Saeed Asadi und Susanne Hantschmann aus der Dresdner Kita „Prohliser Spatzennest“ im Gespräch mit Irene Sperfeld aus dem IQ-Projekt am ehs Zentrum.

Irene Sperfeld: Wir haben uns zu einem Zoom-Gespräch verabredet, weil wir über Ihre Arbeit in der Kita „Prohliser Spatzennest“ sprechen wollen. Der Ausgangspunkt ist, dass ich Sie, Herr Asadi, aus dem IQ-Brückenkurs am ehs Zentrum kenne, den Sie im letzten Jahr absolviert haben. Unser ganzes Projektteam ist sehr froh darüber, dass Sie gleich nach dem Kurs mit der Arbeit in der Kita anfangen konnten. Und wir sind jetzt ganz neugierig, wie es Ihnen geht. Frau Hantschmann, Sie sind Mitarbeiterin im Leitungsteam der Kita. Ich freue mich sehr, dass Sie heute mit uns im Gespräch sind. Mehr möchte ich als Einleitung gar nicht sagen. Ich schlage vor, dass Sie einfach erstmal erzählen, was Ihnen in den Sinn kommt.

Saeed Asadi hat im Iran an der Universität in Maschhad einen Bachelorabschluss in Pädagogik erworben sowie an der Universität in Ghutschan einen Masterabschluss in Psychologie. Er hat zehn Jahre unter anderem als Lehrer, Schulleiter, Therapeut für Lernstörungen und Familienberater gearbeitet. Er lebt seit November 2018 in Deutschland und arbeitet seit August 2021 in der Kita „Prohliser Spatzennest“ auf einer unbefristeten Stelle als pädagogische Fachkraft.
Susanne Hantschmann hat an der Universität Leipzig Lehramt an Förderschulen studiert und das erste Staatsexamen abgelegt, danach erwarb sie den Abschluss als Diplom-Heilpä­dagogin. In der Kita „Prohliser Spatzennest“ arbeitet sie seit 2005. Dort war sie zunächst als pädagogische Fachkraft tätig, später als zusätzliche Sprachfachkraft im Bundesprogramm „Sprachkitas“. Seit 2015 gehört sie dem Leitungsteam der Kita an. 
Die Integrationskindertagesstätte „Prohliser Spatzennest“ beteiligt sich am Dresdner Handlungsprogramm „Aufwachsen in sozialer Verantwortung“ und am Bundesprogramm „Sprachkitas“. Sie hat 144 Plätze, davon 36 Krippenplätze und 30 Integrationsplätze. In der Kita sind Mitarbeitende verschiedener Professionen beschäftigt, die in Kleinteams mit jeweils sechs bis zehn Personen zusammenarbeiten. Die Kita arbeitet selbstverwaltet innerhalb des Verbundes Sozialpädagogischer Projekte e. V. und ist basisdemokratisch organisiert.


Saeed Asadi: Ich war auch sehr begeistert, dass ich durch den Brückenkurs die Stelle gefunden habe. Natürlich war es am Anfang schwierig, aber ich glaube, das ist normal. Ich habe angefangen mit einigen Unklarheiten und Schwierigkeiten, aber Schritt für Schritt wurde alles besser.
Den ersten Vorteil in der Kita „Prohliser Spatzennest“ habe ich im Vorstellungsgespräch bemerkt. Da habe ich gefragt: Wer ist hier Chef oder Chefin? Und ich erinnere mich, dass Susanne zu mir gesagt hat: Hier gibt es keinen Chef. Wir sind alle Kollegen und wir sind alle Chef. Das war für mich ein bisschen unglaublich, denn in meiner Erfahrung gibt es immer einen Chef. Aber hier ist es ganz anders: Es gibt eine sozialdemokratische Arbeitsatmosphäre. Das finde ich perfekt. 
Der nächste Vorteil, den ich erwähnen kann, ist die Teamarbeit. Ich habe schon im Team gearbeitet, aber nicht so komplett. In unserer Kita tauschen wir uns immer im Team aus. Das finde ich sehr praktisch und hilfreich, besonders für mich. 
Natürlich hatte ich am Anfang ein bisschen Stress und Schwierigkeiten. Bei der Arbeit in der Kita ist eine so breite Kommunikation nötig – mit Kindern, mit Eltern, mit Kollegen. Am Anfang habe ich mich und meine Kolleginnen und Kollegen manchmal gefragt: Was ist los? Was ist das Problem? Sie hatten wirklich viel Verständnis. Ich habe immer gefühlt, dass sie mir helfen und mich begleiten möchten. Das war sehr freundlich.
Mit den Kindern habe ich es am Anfang leicht gefunden, aber dann habe ich auch die Herausforderungen gesehen. Weil wir in der Kita auch Integrationskinder haben. Langsam, langsam habe ich mit diesen Kindern mehr Kontakt aufgenommen und ja, manchmal habe ich die Situationen schwer gefunden und habe überlegt, was ich machen muss. Ich habe gedacht, dass ich in jeder Situation perfekt reagieren muss. Die Situation auflösen muss, ja, unbedingt. Und ich habe Angst bekommen, kann ich das auf Deutsch bewältigen? Aber als ich mich mehr mit dem Team ausgetauscht habe, habe ich verstanden, nein, niemand von uns kann perfekt sein. Bei solchen Situationen muss man sich Hilfe holen.
Und auch mit Eltern habe ich am Anfang manchmal die Situation schwer gefunden. Ich gebe den Eltern recht, sie haben mich nicht gekannt und ich habe sie auch nicht gekannt. Aber Schritt für Schritt wurde es besser. Ich habe jetzt eine gute Kommunikation mit Kindern und mit Eltern.

Susanne Hantschmann: Saeed, ich habe dir gerade voller Freude zugehört. Ich erinnere mich an dein Bewerbungsgespräch. Wir waren von Anfang an total begeistert von dem, was du an Kenntnissen und an Erfahrungen mitbringst. Wir haben gedacht: Genau dich brauchen wir bei uns in der Kita!
Wir wussten schon, wie wichtig es ist, dass wir Mitarbeitende mit anderen Muttersprachen haben. Dass Saeed Persisch spricht und noch dazu diesen pädagogischen Hintergrund hat, das war für uns natürlich eine ganz tolle Kombination.
Vielleicht bedarf es noch einer kurzen Erklärung dazu, dass es bei uns keine Chefin gibt. Wir sind ein Verein, der basisdemokratisch arbeitet. Bei uns gibt es ein Leitungsteam und ich bin ein Teil davon. Wir sehen uns als ein Team in der Mitte der Einrichtung, das die Abläufe steuert, aber eben nicht hierarchisch über den anderen Mitarbeitenden steht. Ich finde es schön, dass Saeed das nach einem halben Jahr schon so verinnerlicht hat und unsere Strukturen mitträgt.
Was mir auch gerade aufgefallen ist und was für neue Mitarbeitende immer ein großes Lernfeld ist: Wir arbeiten nach dem Prinzip „Team als Methode“. Das bedeutet, dass Themen gemeinsam besprochen und Entscheidungen nicht von einzelnen Personen getroffen werden. Das bezieht sich sowohl auf Prozesse in unserer Kita als auch auf die pädagogische Arbeit mit den Kindern. Zum Beispiel sind kollegiale Beratungen und gemeinsame Kinderbesprechungen ein wichtiger Teil unserer Zusammenarbeit. Und es war für mich jetzt gerade ziemlich ergreifend zu hören, wie Saeed die Prinzipien unseres Vereins für sich entdeckt hat und diese lebt.
Für uns war es, verglichen mit anderen Einrichtungen, relativ einfach, Saeed einzustellen. Ich nehme an, dass in vielen Kitas der Wunsch existiert, Mitarbeitende zu beschäftigen, die so toll mit Familien aus anderen Herkunftsländern arbeiten können. Wir haben durch „Kita²“ [1] die Möglichkeit, Personal einzustellen, das nicht unter die Qualifikationsverordnung fällt. Das ist unser großer Vorteil und dadurch war das recht unproblematisch.

Ich erinnere mich, Saeed, dass du einen Probearbeitstag bei uns gemacht hast und dass die Kinder schon an dem Tag an dir dranhingen und dich nicht mehr gehen lassen wollten. Die Kontaktaufnahme zu den Kindern ist dir sofort gelungen. Und auch mit den Kolleginnen und Kollegen ist sehr schnell ein guter Austausch zustande gekommen. Ich erlebe, dass Saeed seine Themen im Kleinteam einbringt, seine Ideen, Wünsche und Fragen. Dort spüre ich, dass er wirklich seinen Platz gefunden hat.
Ich schätze es sehr, dass Saeed bei uns immer Reflexion einfordert, das habe ich bei neuen Mitarbeitenden bisher selten erlebt. Also wir haben zwar unsere Abläufe, wo und wann in der Einarbeitungszeit Reflexion stattfindet, aber dass jemand das von sich aus so konsequent einfordert, kommt sehr selten vor.

Saeed Asadi: Ich möchte mich bedanken. Ich fühle immer, dass meine Kolleginnen und Kollegen hinter mir stehen, und das ist wichtig für mich. Ich verbringe viele Stunden auf der Arbeit, und ich bin überzeugt, dass die Arbeit wie ein Zuhause sein muss. Man muss sich bei der Arbeit gut fühlen. Wenn man sich nicht gut fühlen würde, dann würde etwas verloren gehen. Ich fühle mich gut bei meiner Arbeit.

Was ich auch wichtig finde, sind Fortbildungen, die wir in der Kita oder während der Corona-Situation manchmal online durchführen. Durch Teamtage habe ich sehr viel gelernt. Zum Beispiel: Was stärkt oder schwächt deine Energie bei der Arbeit? Wir haben die Ideen von allen gesammelt und haben darüber gesprochen. In einem Protokoll haben wir alles aufgeschrieben, das ist sehr praktisch für mich. Dort kann ich lesen, was die Kolleginnen und Kollegen brauchen und wie ich ihnen helfen kann, dass sie Energie behalten.
Der nächste Vorteil, den ich erwähnen kann, ist die Arbeit mit Kollegen mit verschiedenen Spezialisierungen, zum Beispiel Erzieherin, Heilerzieherin, Kunsttherapeutin. Das ist sehr praktisch, für die Kinder und auch für mich. Während der Arbeit mit diesen qualifizierten Menschen habe ich viel gelernt. Und natürlich hat jeder etwas Besonderes, besondere Erfahrungen.

Irene Sperfeld: Herr Asadi, was würden Sie denn sagen, was Ihre besonderen Fähigkeiten sind? Und, Frau Hantschmann, was ist aus Ihrer Sicht das Besondere, das Herr Asadi einbringt? Über Persisch als Erstsprache haben wir schon gesprochen, aber da gibt es ja bestimmt noch mehr Dinge, die erwähnenswert sind.

Susanne Hantschmann: Ja, auf jeden Fall. Der kultursensible Blick, den Saeed mitbringt. Aber auch seine ruhige Art. Ich habe das Gefühl, er lässt sich wirklich durch nichts aus der Ruhe bringen. Das tut dem Team sehr gut. Saeed hat eine ausgleichende Wirkung auf seine Kolleginnen und Kollegen. Saeed gibt dem Kleinteam so eine Stimmigkeit, er ist ein Ruhepol.
Du strahlst während des ganzen Tages Ruhe aus. Auch in herausfordernden Situationen sprichst du mit einer ruhigen Stimme mit den Kindern. Und das wirkt sich natürlich auch wieder positiv auf die Kinder aus. Das schätze ich als große Stärke an dir.

Saeed Asadi: Ja, ich finde auch, dass das eine Stärke bei mir ist, und ich freue mich, dass die anderen mich so wahrnehmen. Als ich Psychologie studiert habe, habe ich viel an mir gearbeitet. Und auch im Brückenkurs habe ich gute Methoden bekommen.

Susanne Hantschmann: Ich würde nochmal an etwas anknüpfen, was Saeed gesagt hat: die verschiedenen Spezialisierungen der Mitarbeitenden. Wir verstehen uns tatsächlich als ein multiprofessionelles Team und Saeed ist ein Teil davon. Als Pädagoge und Psychologe steht er bei uns neben den Erzieherinnen, Sozialpädagogen und Heilpädagoginnen. Wir haben auch Ergotherapeuten, eine Kunsttherapeutin und das macht es einfach so spannend, diese vielen Professionen, die da zusammenarbeiten. Saeeds Blick ist genauso wichtig wie die Blicke der anderen. Also nicht nur er lernt von seinen Kolleginnen und Kollegen, sondern alle lernen auch von ihm.

Irene Sperfeld: Das heißt, Herr Asadi, Sie werden nicht nur als jemand gesehen, der eine Sprache spricht, die die anderen nicht sprechen, sondern Sie werden als Pädagoge und als Psychologe mit vielen Berufserfahrungen gesehen. Habe ich das richtig verstanden, Frau Hantschmann? 

Susanne Hantschmann: Ja, so ist es. Im Rahmen des Handlungsprogramms „Kita²“ machen wir zum Beispiel jedes Kind mindestens einmal im Jahr – in dem Monat, in dem es Geburtstag hat – zum Mittelpunkt einer kollegialen Besprechung. Da fließen die Beobachtungen aller ein und da spüre ich immer ganz deutlich, dass Saeed wichtige Fragen stellt und Impulse gibt.Das erlebe ich als eine große Bereicherung. Auch in unsere regelmäßig stattfindenden kollegialen Reflexionsgruppen bringt Saeed sich ein. Um mit „Team als Methode“ zu arbeiten, muss man viel übereinander wissen. Und es müssen auch alle bereit sein, ihre Dinge zu teilen.

Ich denke, unsere Arbeitsstrukturen passen nicht für alle Menschen. Das muss man auch wollen, um das gut leben zu können. Ich glaube, es gibt durchaus Erzieher*innen, die sich eine Leitung wünschen, die sagt, das wird ab jetzt so und nicht anders gemacht. Das findet man bei uns nicht. 
Bei uns gibt es viele Aushandlungsprozesse und es kann auch mal ein bisschen dauern. Aber die vielen Jahre, die ich jetzt schon dabei bin, haben mir einfach die Erfahrung gebracht, dass Entscheidungen dann auch ganz anders getragen werden vom Team. Auch wenn der Prozess langwieriger und manchmal anstrengender ist. Aber das Ergebnis hat sich bisher immer gelohnt.

Irene Sperfeld: Für Sie, Herr Asadi, scheinen diese Strukturen passend zu sein, oder? Sie haben am Anfang von der sozialdemokratischen Arbeitsatmosphäre gesprochen. Ich denke dabei an die Partei SPD, aber ich glaube, Sie haben damit zusammengefasst, was Sie in der Kita erleben: eine soziale, menschenfreundliche und demokratische, partizipative Atmosphäre. Und das ergibt für Sie die sozial-demokratische Arbeitsatmosphäre.

Saeed Asadi: Ja, genau! Das Leitungsteam in der Kita spricht bei jeder Sache mit den Kolleginnen und Kollegen. Es gibt keine Hierarchien. Es gibt nie den Moment, in dem jemand von oben spricht. Wir sind alle gleichberechtigt. Deswegen fühle ich mich im Team und mit der Arbeit wohl. Es ist eine sehr angenehme Atmosphäre.

Irene Sperfeld: Ich würde gern etwas zum Thema deutsche Sprache fragen. Es ist ja nun wirklich eine große Herausforderung, Pädagoge in einer neuen Sprache zu sein. Herr Asadi, wie funktioniert das denn für Sie? Was ist für Sie herausfordernd? Was ist leicht? Und Frau Hantschmann, wie ist das für Sie? Ich stelle mir vor, dass es ein bisschen Mut erfordert, eine Person einzustellen, die erst noch dabei ist, Deutsch zu lernen. 

Saeed Asadi: Am Anfang hatte ich ein paar Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Nicht mit den Kollegen, bei ihnen kann man einfach nachfragen und die Schwierigkeit auflösen. Aber, ehrlich, ich hatte Schwierigkeiten in der Kommunikation mit den Kindern. Ich möchte, dass der Kontakt mit mir für die Kinder entspannend und hilfreich ist. Dass sie sich durch den Kontakt mit mir entwickeln können. Und dass der Kontakt immer weitergeht. Natürlich habe ich durch die Arbeit meine Deutsch-Sprachfähigkeit schon sehr verbessert. Aber ich muss immer weiter lernen.

Irene Sperfeld: In unkomplizierten Alltagssituationen ist es also kein Problem, dass Sie nicht perfekt Deutsch sprechen? Aber in herausfordernden Situationen mit Kindern spüren Sie eine Grenze? Sie möchten aus Ihrer Professionalität heraus etwas sagen, was Sie auf Deutsch noch nicht sagen können? Ich kann mir vorstellen, dass das manchmal frustrierend ist.

Saeed Asadi: Ja, genau, besonders am Anfang habe ich mich so gefühlt. Aber ich muss mich bedanken, die Kollegen und Kolleginnen haben mir Zeit gegeben, dass ich mich verbessern kann. Und jetzt kann ich aus den Reaktionen der Kinder verstehen, dass ich mich schon verbessert habe.
Ich erinnere mich, am Anfang ist ein kleiner Junge zu mir gekommen und hat mich gefragt: Verstehst du mich? Und ich habe gesagt: Ja, ich verstehe dich. Dann hat er gesagt: Aber ich verstehe dich nicht. Da war ich enttäuscht von mir. Das war aber auch eine lustige Erfahrung.

Susanne Hantschmann: Saeed, diese Geschichte bringt mich zum Schmunzeln. Ich erinnere mich auch, wie du im Oktober oder November zu mir gesagt hast, du kannst jetzt keinen Urlaub machen, denn du musst in Übung bleiben. Und genau das spüre ich im Alltag: Der tägliche Umgang mit der deutschen Sprache, der bringt natürlich enorme Fortschritte mit sich.
Nein, viel Mut hat es uns nicht gekostet, Saeed einzustellen. Wir haben eine Kollegin und einen Kollegen mit Arabisch als Muttersprache, mit denen haben wir die Erfahrung gemacht, dass es im Alltag so schnell geht. Da kann man eigentlich fast täglich die Entwicklung beobachten. Wir waren uns sicher, dass Saeed sein Deutsch sehr schnell verbessern wird. Von daher war das also gar nicht so mutig.

Irene Sperfeld: Wenn eine andere Kitaleitung diesbezüglich skeptisch wäre, was würden Sie sagen?

Susanne Hantschmann: Wahrscheinlich genau das: Sie können einfach darauf vertrauen, dass die Menschen, die in der Kita arbeiten wollen, gut mit den Kindern im Gespräch sein wollen. Durch den täglichen Umgang mit den Kindern, mit den Familien, mit den Kollegen geht das Lernen sehr schnell. Das ist ja ein Sprachbad, acht Stunden am Tag. Eine bessere Möglichkeit, Sprache zu lernen, gibt es gar nicht. Wenn die Motivation da ist und so viel sprachlicher Input, das kann ja gar nicht schiefgehen.

Irene Sperfeld: Sind alle Ihre Kolleg*innen so gelassen und zuversichtlich? Oder gibt es da auch Ungeduld?

Susanne Hantschmann: Also am Anfang gab es schon einige, die ein bisschen skeptischer waren. In manchen Köpfen ist noch so drin, dass Kinder Sprachinput kriegen sollen, der grammatikalisch richtig ist. Da ist ein Stück Sorge da.

Irene Sperfeld: Das konnten Sie aber entkräften? Wissenschaftlich ist ja belegt, dass es überhaupt nicht schädlich ist, wenn eine Bezugsperson nicht perfekt Deutsch spricht. Aber das heißt ja nicht unbedingt, dass das alle überzeugt ...

Susanne Hantschmann: Wir haben uns im Team mit dem Thema Mehrsprachigkeit beschäftigt, weil wir viele Familien haben, in denen zwei oder auch drei Sprachen gesprochen werden. Und damit, wie Spracherwerb funktioniert. Ich glaube, es ist wichtig, das im Team zu thematisieren. Wobei wir dabei eher den Blick auf die Kinder gerichtet haben als auf die Mitarbeitenden mit anderen Herkunftssprachen.

Irene Sperfeld: Jemand kommt aus einem anderen Land, mit vielen Berufserfahrungen, aber nicht mit Berufserfahrungen hier vor Ort. Er ist nicht durch das deutsche Ausbildungssystem gegangen, sondern durch ein anderes Ausbildungssystem. Er ist sehr kompetent, aber spricht eben nicht perfekt Deutsch. Gibt es in diesem Kontext noch einen Aspekt, der wichtig ist und den wir noch besprechen wollen?

Saeed Asadi: Ich finde noch etwas wichtig: Wir übernehmen alle die gleichen Aufgaben. Egal, ob ein Kollege eine Ausbildung gemacht hat oder eine Kollegin an der Uni studiert hat. Ich mache alles, was die anderen machen, außer die schriftlichen Aufgaben. Oft gibt es etwas zu dokumentieren, das mache ich noch nicht. Aber ich übernehme zum Beispiel Übersetzungen von Texten und ich dolmetsche in Elterngesprächen oder führe die Gespräche.

Irene Sperfeld: Werden Sie auch irgendwann die Dokumentation auf Deutsch mit übernehmen?

Saeed Asadi: Natürlich werde ich das machen! In meiner Arbeit im Iran habe ich selbstverständlich auch dokumentiert, aber auf Deutsch ist es schwer. Mein Schritt ist jetzt, dass ich mir Notizen mache. Ich freue mich, wenn ich später auf Deutsch dokumentieren kann.

Susanne Hantschmann: Ja, Saeed ist ja erst seit August bei uns. Und er ist nicht der einzige Kollege, der noch nicht dokumentieren muss. In der Anfangszeit steht einfach der Beziehungsaufbau im Mittelpunkt und dann schauen wir individuell, was die nächsten Schritte sind. Dokumentation ist nicht unbedingt der erste Schritt.

Irene Sperfeld: Wollen Sie zum Schluss Ihren Fachkolleg*innen noch etwas sagen?

Susanne Hantschmann: Ich möchte nochmal betonen, was es für eine Bereicherung ist, einen so gut ausgebildeten Mitarbeiter mit solchen Kompetenzen bei sich im Haus zu haben, der auch noch eine andere Muttersprache und einen kultursensiblen Blick mitbringt. Das ist für das ganze Team, für die Eltern, für die Kinder, für alle ein Gewinn.

Saeed Asadi: Ich stimme Susanne zu. Es ist gut, eine internationale Einrichtung zu sein und mit verschiedenen Sprachen und Spezialisierungen zusammenzuarbeiten. Migrierten Pädagoginnen und Pädagogen und den Teilnehmenden im Brückenkurs kann ich sagen, dass sie das bewältigen können. Dass das Ankommen und Arbeiten in der Kita einfacher ist, als sie denken. Es ist einfacher, als ich gedacht habe. Besonders, wenn man Glück hat und freundliche Kolleginnen und Kollegen hat.

Infos:

https://www.ehs-dresden.de/iq-projekt/
Email: IQ-Projekt(at)ehs-dresden(dot)de

Lisa Gulich und Irene Sperfeld
IQ-Projekt „Brückenkurse und Qualifizierungsbegleitung für migrierte Akademiker*innen
in den Bereichen Soziale Arbeit, Pädagogik und Erziehung“ am ehs Zentrum

Das Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ verfolgt die nachhaltige Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von migrierten Erwachsenen. Das Programm wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und den Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Partner in der Umsetzung sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Bundesagentur für Arbeit (BA).

 

Kontakt
Lisa Gulich
Referat Antidiskriminierung, Migration und Internationales