Lernstandserhebungen in Klasse 2
Über den Sinn und Unsinn einer ministeriellen Maßnahme
Am 28. und 29. Mai 2024 wird es erstmalig sachsenweite Lernstandserhebungen (LSE) in der zweiten Klasse geben. Ausgewählte lernzielgleiche Grund- und Förderschulen werden daran teilnehmen. Dabei sollen rund 36.000 Grundschulkinder in den Fächern Deutsch und Mathematik getestet werden. Diese Maßnahme soll laut des Sächsischen Kultusministeriums (SMK), den „pädagogischen Werkzeugkasten“ der sächsischen Grundschullehrkräfte um ein Instrument der Schuldiagnostik erweitern.
Über das Zustandekommen, den Sinn und den Unsinn dieser Maßnahme des SMK möchte ich hier einen kleinen Überblick geben.
Eine Bestandsaufnahme
Bereits zu Anfang des Schuljahres 2023/2024 wurden die betroffenen Schulleitungen über die geplanten Tests informiert. Dabei sind weder Expertisen der Kollegien noch der Personalräte einbezogen worden. Als zweiten Schritt informierte am 29. Januar 2024 ein Artikel auf dem ministeriellen Blog (www.bildung.sachsen.de) über die geplante Maßnahme. Diese wurde dort hauptsächlich mit den Ergebnissen der PISA Studie und des IQB Bildungstrends (beide von 2022) begründet. Die daraus resultierende Lernstandserhebung soll die basalen Kompetenzen des Anfangsunterrichts (Klasse 1 & 2) landesweit vergleichbar darstellen. Zu guter Letzt wurde der Sachverhalt Anfang März auch im Lehrerhauptpersonalrat (LHPR) diskutiert. Dabei fiel den Mitgliedern des Personalrats auf, dass eine Änderung der Verwaltungsvorschrift „Schuljahresplanung und -bedarf für das Schuljahr 2024/2025“ einen völlig neu eingefügten Passus zu Lernstandserhebungen in Klasse 2 enthielt. In der anschließenden Erörterung des SMK mit dem LHPR wurde schnell klar, dass die Maßnahme bereits zu Beginn des laufenden Schuljahres begonnen hatte. Vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe sieht anders aus.
Sinn oder Unsinn?
Ganz grundsätzlich findet die GEW Sachsen die Idee einer Lernstandserhebung zur Ermittlung landesweiter Bildungsergebnisse gut. Das heißt aber nicht, dass wir auch diese LSE gut finden. Es drängen sich mehrere wichtige Fragen auf:
- Traut Sachsen seinen Lehrkräften in der Grundschule die Lernstandsdiagnostik nicht zu?
- Was passiert mit den Ergebnissen?
- Haben wir nicht schon genug Tests und Leistungsermittlungen in den Klassen 1 & 2?
- Wird durch Tests und deren Auswertung die Bildung besser?
- Haben die Grundschullehrkräfte am Ende der 2. Klasse nicht schon genug Arbeit auf dem Schreibtisch liegen?
Was passiert mit den Ergebnissen?
Ich werde in der Folge versuchen auf alle diese Fragen eine Antwort zu finden. Erstens muss ich leider mit „vermutlich, ja“ beantworten, denn wer seinem Personal ohne Aufforderung, Beteiligung oder Hilferuf „ein weiteres Werkzeug der Schuldiagnostik“ in den pädagogischen Werkzeugkasten legt und zur Benutzung zwingt, erzeugt Misstrauen. Misstrauen in das Werkzeug und Missachtung der bereits vorhandenen pädagogischen Diagnostik.
Für die zweite Frage gibt es natürlich keine abschließende Antwort aber doch Vermutungen. Es passiert erstmal bis auf ein kleines mediales Aufschreien bzw. Aufatmen, nichts. Wie soll es auch? Es fehlt ja an allen Ecken und Enden das benötigte Personal für echte Investitionen in die Bildungsqualität. Wenn also die Kolleg*innen mit „schlechten“ Ergebnissen nicht noch mehr Mehrarbeit in die Förderung der betroffenen Kinder investieren, bleibt nur das schlechte Gewissen zurück. Was passiert, wenn tatsächlich wieder genug Personal zur Verfügung stünde, liegt „zum Glück“ erst nach den Landtagswahlen und damit in einer fernen Zukunft.
Frage Drei lässt sich leicht mit „ja“ beantworten, denn besonders in der Schuleingangsphase ist das Netz an pädagogischer Diagnostik ein ausreichend enges. So werden vor und zu Beginn der ersten Klasse diverse Formen der Schuleingangsdiagnostik angewendet. Mit deren Hilfe richten die Lehrkräfte ihre pädagogische und elterliche Arbeit in der Schule aus. Zum Ende von Klasse 1 entstehen lange und ausführliche Bildungsberichte. Durch die Notengebung in Klasse 2 für die Fächer Deutsch, Mathematik und Sachunterricht werden permanent Lernstände aller Kinder erhoben. Eine weitere LSE am Ende von Klasse 2 ist also als pädagogisches Werkzeug überflüssig, sie gibt einzig und allein einen statistischen, landesweiten Überblick des Bildungsstands.
Mit den letzten Sätzen ist auch Frage Vier ausreichend beantwortet oder um es mit den Worten einer lieben Kollegin zu sagen: „Vom vielen Wiegen wird die Sau nicht fett!“
Die letzte Frage stelle ich mir eigentlich immer wieder. Und ich komme immer zur selben Antwort: „Selbstverständlich!“ Hat die Arbeitszeitstudie der GEW Sachsen nicht gut genug dargestellt wie voll die Schreibtische der Lehrkräfte (besonders am Schuljahresende) sind? Da legen wir dann einfach noch einen Test, seine Durchführung, die Eingabe der Ergebnisse, die Auswertung und die Auseinandersetzung mit den Eltern obendrauf? Tut mir leid, aber das finde ich einfach nicht richtig.
Was bleibt?
Es bleibt ein weiterer Bildungstest aus der Reihe PISA, IGLU und IQB mit der Erkenntnis, dass keiner dieser Test die Bildung hierzulande verbessert hat. Ganz im Gegenteil, die Ergebnisse werden (mit ganz wenigen Ausnahmen) von Test zu Test immer ein kleiner bisschen schlechter.
Also liebes Kultusministerium, statt zu testen wie gut eure Zweitklässler-Kinder im Allgemeinen lesen, schreiben und rechnen können, führt doch endlich mal (den im Koalitionsvertrag verankerten) Sozialindex ein, um gezielt Geld und Personal an den Stellen zu investieren wo es seit Jahrzehnten an Bildungserfolg fehlt. Dann bräuchten wir vielleicht auch mal einen Test, um zu messen wie gut die Investitionen in Bildungsgerechtigkeit angekommen sind.
Geschäftsstelle der GEW Sachsen (Kreisverband Leipzig)
01445 Leipzig