Lehramtsstudierende aller Universitäten: Vereinigt euch! – ein Appell
Dir geht es so wie mir? Dein Studium und die Aussicht, in Sachsen Lehrer*in zu werden, findest du nicht kompromisslos gut, du nimmst die Missstände im Studium wahr und nimmst sie nicht kommentarlos hin? Du willst deine eigene Stimme nutzen, um Veränderungen anzustoßen? Dann seid dabei!
Wir Lehramtsstudierende bekommen medial mal mehr oder weniger, aber aktuell besonders viel Aufmerksamkeit. Der Lehrpersonenmangel ist bundesweit omnipräsent und spitzt sich immer weiter zu. Überall werden Stimmen laut, dass die aktuelle Situation so perspektiv- und alternativlos sei wie noch nie. Die Gewährleistung von „guter Schulbildung“ wird in Frage gestellt und niemand findet eine Antwort darauf, was getan werden muss, um das deutsche Bildungssystem vom absteigenden Ast zu retten.
Vor allem Sachsens Verantwortungsträger*innen fürchten zunehmend, dass es irgendwann keinen Lehrkraft-Nachwuchs mehr gibt und die flächendeckende Unterrichtsversorgung nicht mehr geleistet werden kann, vom Anspruch des Ministerpräsidenten Kretschmers auf den „höchsten Bildungsstandard Deutschlands“ ganz zu schweigen. Entsprechend hoch sind aktuell Erwartungen und Wünsche an Absolvent*innen: Werdet schnell Lehrer*in in Sachsen! Füllt Le(e)hrstellen aus und werdet unserem Anspruch gerecht (oder wachst darüber hinaus!) und das alles am besten in einer sogenannten Bedarfsregion, also auf dem sächsischen Land und bitte SOFORT. Gelockt werden die Student*innen mit teuren Kampagnen in den Skiregionen des Erzgebirges, ob man nicht am liebsten zum Arbeiten dortbleiben wolle, es sei doch hier so schön. Après-Ski inklusive, denn das Land zahlt monatlich 1.000 € in ihren Vorbereitungsdienst mehr, wenn sich Absolvent*innen verpflichten, in einer solchen Region, ihr Referendariat und anschließend fünf Berufsjahre dort zu absolvieren. Nachwuchs wird mit zahlreichen Infoständen zu großen und (sehr) kleinen Anlässen mit Keksen und Kugelschreibern gelockt und mit einem hohen Einstiegsgehalt und lebenslanger Sicherheit im altbewährten Schulsystem geworben.
Die Mühen sind groß und die Anspannung spürbar. Trotzdem steigt die Anzahl der Absolvent*innen, die ihr Referendariat in Sachsen beginnen nicht signifikant an und das, obwohl bereits 10.000 Personen Lehramt in den Standorten Leipzig, Dresden und Chemnitz studieren. Das ist etwa ein Zehntel aller sächsischen Studierenden insgesamt und wäre reichlich ein Viertel der Abiturient*innen Sachsens. Entsprechend voll sind unsere Lehrveranstaltungen, Seminare und Vorlesungen. Hinzu kommen zu viele Studierende auf zu wenig Dozierende, überlastete Praktikumsportale und ein Gefühl ahnungsloser Anonymität. Veraltete Curricular, fragwürdige Abschlussmodalitäten und viel zu viele Prüfungsleistungen ergänzen den gefühlten Dauerstress und ratlose Überforderungen. Lange schon scheint das Motto: Quantität über Qualität.
Da sich scheinbar niemand erklären kann, wie diese überfüllten Studiengänge zu leeren Seminargruppen im Referendariat zusammenschrumpfen, sind umfassende Problemanalysen gefragt: Was muss am Studium verbessert werden? Wie viel Praxis braucht das Studium? Was ist gute Praxis? Welche Inhalte fehlen? Was wollt ihr und wo wollt ihr hin und warum nicht nach Mittelsachsen? Diese Fragen stellen nicht nur politische Akteur*innen, sondern auch Presse, Eltern und Dozierende, denn alle haben Angst, vor dem was passiert, wenn Klassen ohne Lehrer*in dasitzen. Widersprüchlich sind dann trotzdem die aktuellen Jobaussichten: Berufseinstieg und direkt Klassenlehrer*in, Referendariat auf dem sächsischen Land (und Teilzeit ist eher schwierig), hohe Erwartungen und schlecht ausgestattete Schulgebäude.
Kein Wunder also, dass das erhöhte Risiko von 64,2 % besteht, an einem Burnout zu erkranken. [1]
In meinen Augen sind diese Zukunftsaussichten eher ernüchternd und frustrierend und ich bin mir sicher, die Gründe von meinen Kommiliton*innen, nicht in Sachsen bleiben zu wollen, sind genauso individuell wie vielfältig. Aus dieser Erkenntnis heraus müssten sich auch die möglichen Lösungsansätze, Strategien oder Kampagnen bedarfs- und zukunftsorientiert und individuell gestalten lassen. Denn wir sind nicht alle eine gleichförmige stumme Masse aus Lehramtsstudent*innen, sondern wir sind alle Individuen mit eigenen Visionen und Plänen. Bei möglichen Lösungsansätzen geht es wahrscheinlich zum einen um „kleine strukturelle Fragen“, wie beispielsweise sich selbstständig auf einen Platz als Referendar*in zu bewerben, Arbeit und Freizeit flexibler verbinden oder sich problemlos Studienabschlüsse aus anderen Bundesländern anerkennen lassen zu können. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Probleme, die einer grundlegenden Sanierung der politischen Landschaft in Sachsen bedürfen, wie beispielsweise die Stigmatisierung von Menschen in therapeutischer Behandlung bei der Verbeamtung, dem exkludierende Kinder in Sonderschulen separierenden Schulsystem oder den oft rechtsoffenen Strukturen in ländlichen Gebieten, die individuelle Lehre und Leben bedrohen. All diese Bedürfnisse und Wünsche sind wichtig und müssen gehört werden. Und hierbei gilt eher der Grundsatz: Qualität über Quantität.
Ich denke, es ist an der Zeit, dass eine Problematisierung des Status quo auch über institutionelle Gremien der Universität (Referat für Lehramt, Fachschaftsräte, Student*innenRat) hinaus passiert. Ich denke, erst wenn wir in Seminaren laut werden, Beschwerden einlegen, Einladungen zu bildungspolitischen Veranstaltungen wahrnehmen, können wir zeigen, dass eine Erneuerung und Flexibilisierung des aktuellen Systems nicht nur Wünsche einzelner Interessensvertreter*innen ist. Wir sind jetzt in der Universität die größte Interessensgruppe und in den nächsten Jahren sind wir alle Teil des sächsischen Bildungs- und Schulsystems. Das heißt, dass wir uns zwar in einem System bewegen, aber die Arbeit und Funktionalität dieses Systems von uns abhängig ist und wir mit unseren Ideen und Perspektiven die zukünftige Gesellschaft gestalten werden. Und das nicht nur in Sachsen, sondern bundesweit.
Und deswegen möchte ich hier einen Appell an alle Lehramtsstudierenden richten: Du musst weder dein Studium abbrechen, noch gewaltsam das Kultusministerium stürmen. Du musst nicht Vollzeit in der Studierendenvertretung arbeiten oder Politik zu eurem Lebensinhalt machen. Aber wenn sich etwas langfristig und für eure Zukunft ändern soll, musst du Missstände und Irritationen ansprechen. Du solltest nicht hinnehmen, dein drittes Blockpraktikum auf eigene Kosten im Erzgebirge zu machen. Du musst es nicht akzeptieren, wenn du findest, dass sexuelle Aufklärung zu wenig thematisiert wird oder du das sächsische Schulsystem rückständig und veraltet findest. Wir alle kennen diese Probleme (und vielleicht auch mehr) und haben an unterschiedlichen Punkten mit unserem Studium oder dem zukünftigen Arbeitsplatz zu kämpfen. Deswegen hier mit viel Pathos zum Schluss: Ich glaube daran, dass wir als zukünftig potenzielle Kolleg*innen solidarisch miteinander sei sollten und gemeinsam laut und präsent sein müssen, um langfristige Veränderungen anzustoßen. Denn aktuell sind wir noch in der Uni, aber in ein paar Jahren auch im Bildungssystem von morgen. In diesem Sinne: Lehramtsstudierende aller Unis vereinigt euch. Und zwar am besten jetzt und gemeinsam!
Fanny Weickelt
Über Fanny Weickelt:
Fanny studiert im 7. Semester Sonderpädagogik mit dem Kernfach Grundschuldidaktik. Aktuell ist sie die Referentin für Lehramt des Student*innenRates der Universität Leipzig und ein Teil der Leitung des Bereichs „Hochschule und Forschung“ der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft Sachsen. Vielleicht kommt daher auch ihr Bestreben nach einem solidarischen Miteinander zwischen Lehramtsstudent*innen und einer Grundreform des Bildungssystems. Wenn sie nicht gerade all ihre Ämter ausübt, dann macht sie sich trotzdem intensiv Gedanken über größere und kleinere Revolutionen.
Quelle:
[1] https://www.gew-sachsen.de/arbeitszeit