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Ist das unsere einzige Antwort auf das Erstarken der AfD? – Ein Debattenbeitrag

„Gemeinsam gegen Rechts, für unsere Demokratie, Vielfalt und eine solidarische Gemeinschaft!“

Die GEW Sachsen rief in der zweiten Januarhälfte wiederholt zu mehreren Demonstrationen „gegen rechts“ und „für unsere Demokratie, Vielfalt und eine solidarische Gemeinschaft“ in verschiedenen Städten Sachsens auf.

Anlass waren zum einen Umfrageergebnisse, die der AfD in Sachsen eine Zustimmung im Bereich von bis zu 35 Prozent bescheinigen, sowie erschreckend geringe Zustimmungswerte für SPD, Linke und Grüne jeweils im Bereich von vier bis acht Prozent. Der zweite Stein des Anstoßes war die Veröffentlichung eines Berichts von CORRECTIV über ein Treffen von rund zwei Dutzend Menschen in einem Hotel in Potsdam im November vergangenen Jahres, an dem u. a. auch Personen aus der AfD, der CDU und der Identitären Bewegung teilgenommen hatten.

Trotz der Vielzahl an Demonstrationen in den vergangenen Wochen und Monaten sowie der großen medialen Präsenz dieser und der Behauptungen von CORRECTIV über das Treffen in Potsdam haben sich die Zustimmungswerte zu den Parteien nicht nennenswert verändert – so zeigt es sich beispielsweise im Politbarometer des ZDF Ende Februar für ganz Deutschland. Es stellt sich demnach natürlich die Frage, warum dies so ist. Für uns als GEW stellt sich darüber hinaus allerdings auch noch die Frage, wie sich daran etwas ändern lässt, da wir sowohl in bildungs- als auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht ein großes Interesse daran haben, dass gerade jene Parteien, die sich auf dem politischen Spektrum in der Mitte oder links befinden, die Politik maßgeblich bestimmen, um beispielsweise unsere Vorstellungen von guter Arbeit und Bildung, aber auch von einer gerechten Gesellschaft zu verwirklichen. 

Eine weit verbreitete Erklärung für die derzeitigen Umfragewerte lautet häufig, dass es einen Rechtsruck gegeben hätte, in dessen Folge (jetzt auf einmal?) bis zu ein Drittel der Menschen in Sachsen rechtsextreme Meinungen vertreten würde. Meiner Wahrnehmung nach bauen die Demonstrationen „gegen rechts“ nahezu ausschließlich auf diese Erklärung auf und erschöpfen sich deshalb im Grunde darin, die AfD und ihre Anhänger*innen noch einmal öffentlich als aus diesem Grund unwählbar darzustellen und sich selbst von ihnen insbesondere aus allgemeinen moralisch geprägten Motiven abzugrenzen. 

In letzter Konsequenz wären demnach die Proteste nicht mehr als eine schlichte Selbstvergewisserung all jener, die eh schon jetzt nicht die AfD wählen. Menschen, die man eigentlich für die Wahl der anderen Parteien zurückgewinnen möchte, erreicht man damit ganz offenkundig kaum. Im Gegenteil – die Dämonisierung der AfD scheint die Partei und ihre Sympathisant*innen in deren Opferrolle zu bestärken, teilweise durchaus sogar zu recht, wenn man beispielsweise den Inhalt und die Dramaturgie sowie die Umstände zur Entstehung und zur Veröffentlichung des Berichts von CORRECTIV kritisch reflektiert. Verstärkend scheint in diesem Zusammenhang auch die Wahrnehmung in einem Teil der Bevölkerung zu wirken, dass die Menschen für die Regierung und gegen Teile der Opposition auf die Straße gingen. 

Stattdessen erscheint es mir als wesentlich zielführender aber auch konstruktiver für die politische Debatte zu sein, sich auf die Frage danach zu fokussieren, weshalb sich ganz offensichtlich mindestens zwei Drittel der Menschen in Sachsen zunehmend von Parteien links von AfD und CDU nicht (mehr) vertreten fühlen. Um dies zu verstehen, müssen m. E. eine Reihe von politischen Entscheidungen, die in den vergangenen Jahren das Leben der Menschen maßgeblich geprägt haben, kritisch reflektiert werden. Erinnert sei hier beispielhaft an die beschlossenen Corona-Maßnahmen (Lockdown, Schulschließungen, Impfdruck/-pflicht usw.) und den bis heute fehlenden politischen, aber auch medialen Willen zur Aufarbeitung, an Entscheidungen bezüglich Fragen zur Migration und zum Umgang mit Geflüchteten, zur Klima- und Energiekrise sowie zum Krieg in der Ukraine mit all ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Menschen. 

Eine Analyse im Hinblick auf die Beteiligung an der Entscheidungsfindung und die Kommunikation darüber kann aufzeigen, warum Menschen wiederholt ihre Interessen in der Mehrheit der Parteien nicht vertreten sehen. Dies liegt möglicherweise auch daran, dass über Themen beispielsweise nicht breit genug gesprochen, Meinungen pauschal (als rechts o. ä.) ihre Berechtigung abgesprochen oder politische Entscheidungen viel zu eng bzw. mit viel zu wenig Debatten- und Handlungsspielraum für Andersdenkende getroffen wurden. Dies könnte erklären, weshalb Menschen dann die AfD unter Ausblendung ihres rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen Charakters entweder als (vermeintliche) Alternative oder aus Protest wählen.

Unter dieser Annahme erscheint es in der Tat lohnenswert, einen Strategiewechsel im Umgang mit der AfD vorzunehmen. Dabei geht es natürlich nicht darum zu fordern, dass die anderen Parteien die Positionen der AfD übernehmen oder völkisch-nationale bzw. rassistische Aussagen aus den Reihen dieser Partei zu relativieren. Vielmehr bedeutet dies anzuerkennen, dass es relevante Themen wie die o. g. gibt, die Menschen bewegen, die aber bisher nahezu ausschließlich von der AfD besetzt worden sind. Für diese Themen sollten alternative Lösungen entwickelt werden und es sollte deutlich werden, warum es sich dabei um die besseren Lösungen handelt. Dadurch könnte zudem der Eindruck vermieden werden, dass der öffentliche Meinungskorridor durch pauschale Abwertungen anderer Positionen als „rechts“, „Nazi“, „russlandfreundlich“ usw. immer weiter eingeengt sei. 
Also – wagen wir doch (endlich) die konkrete inhaltliche politische Auseinandersetzung mit dieser Partei!

  1. Machen wir (uns) klar, wofür die AfD über Rechtspopulismus und in Teilen Rechtsextremismus hinaus denn auch noch steht (Stichworte: Wirtschaftsliberalismus, schlanker Sozialstaat, Antifeminismus usw.). 
  2. Zeigen wir konkret mögliche Folgen einer Politik der AfD, insbesondere im Bildungsbereich, in der Wirtschaft und in der Sozialpolitik, auf. 
  3. Werben wir für eine alternative, bessere Politik aus unserer Sicht für genau diese Themen, die Menschen (berechtigterweise) umtreiben, und überlassen wir sie nicht der AfD. 
  4. Kritisieren wir die anderen Parteien dafür, dass sie durch ihr politisches Handeln mit dazu beitragen, die AfD stark zu machen.

Andernfalls befürchte ich, dass ein pauschales Abgrenzen von „rechts“ und von der AfD allein kaum etwas am Wahlverhalten der Menschen verändern wird – auch deshalb, weil gleichzeitig die öffentliche Debatte vordergründig von Angst dominiert wird: Angst vor Corona, vor Putin, vor dem Klimawandel, vor der AfD usw. 
Weil Angst jedoch eine differenzierte und breite Debatte im Grunde verunmöglicht, werden demnach auch die besseren bildungs- und gesellschaftspolitischen Positionen leider kaum Gehör – vor allem nicht bei jenen, die die AfD eigentlich „nur“ aus Protest und Enttäuschung anstelle einer anderen Partei wählen (würden).

Alexander Wittenstein