Engagement gegen Rechts
Fortsetzung zum binationalen Pädagog*innen-Austausch
NASWUT trifft GEW in Birmingham: Von dem internationalen Rechtsruck sind Schulen und pädagogische Einrichtungen stark herausgefordert. Zu beobachten ist, dass sich innerhalb der Gesellschaft rechtspopulistische und -radikale Ideen und Handlungen stark etablieren, die zu einem erkennbaren Anstieg von rassistischen und diskriminierenden Verhaltensweisen von Lernenden führen.
Die Verbreitung rechtspopulistischer Ideen in der Politik und Gesellschaft haben Folgen für Pädagog*innen, die eine zentrale Rolle bei der Förderung eines inklusiven Bildungsumfelds und der demokratischen Grundwerte im Allgemeinen spielen.
Als einen zentralen Ansatzpunkt haben die GEW Sachsen und ihre in den englischen West Midlands agierende Schwestergewerkschaft NASUWT diese Problematik gemeinsam identifiziert und zwischen Mai und Oktober 2024 im Rahmen eines internationalen Gewerkschaftsaustauschs bearbeitet. Der von dem Kulturbüro Sachsen und der Friedrich-Ebert-Stiftung London Büro unterstützte Lehrer*innenaustausch zielte auf die gemeinsame Entwicklung einer Handlungsstrategie und konkreter Maßnahmen gegen Rechtspopulismus und Menschenfeindlichkeit in Bildung und Zivilgesellschaft.
Da der Einflussbereich der Bildungsbehörden in beiden Ländern in Bezug auf Demokratieförderung einigermaßen begrenzt scheint, müssen Gewerkschaften den Auftrag ernst nehmen und Pädagog*innen mit relevanten Kenntnissen, Instrumenten und Handlungsmöglichkeiten ausstatten.
Im Mai 2024 bot zum Auftakt die GEW Sachsen und das Kulturbüro Sachsen der reisenden Delegation von fünf Lehrer*innen der NASUWT aus den West Midlands ein intensives Programm mit Briefings, Hospitationen in Schulen und fachlichen Austauschen zu verschiedenen Themen an. Drei Schulen – die Geschwister-Scholl-Grundschule, die Leipziger Modellschule und die Geschwister-Scholl-Oberschule – öffneten ihre Türen und boten der deutsch-britischen Delegation vielfältige Einblicke in ihre schulischen Initiativen und laufende Projekte. Schwerpunkt waren dabei insbesondere Möglichkeiten präventiver Arbeit durch Demokratiepädagogik und Umgang mit Kontroversen im Klassenzimmer.
Über die Hospitationen hinaus gehörten Inputs vom Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC) und dem Kulturbüro Sachsen, die Einblicke in ihre Bildungsangebote und hervorragendes soziales Engagement zur Verfügung stellten. Dazu wurde sich zum sehr politisierten Thema Neutralitätspflicht im Austausch mit GEW-Referent*innen ausgetauscht (vgl. E&W Sachsen Juli/August 2024, S. 16).
Fünf Monate später kam die GEW-Delegation in der vielfältigen und zweitgrößten Stadt Großbritanniens Birmingham an. Wie beim sächsischen Programm besuchte die Gruppe der GEW-Vertreter*innen drei verschiedene Schulen. In der Lodge Primary School wurden der Umgang und die Implementierung der ‚british values‘ gezeigt sowie eine grundsätzliche Unterrichtskultur, die die Prävention von demokratiefeindlichen Haltungen anstrebt.
Auf der Basis einer Schulkultur und Programmatik „Participation in peace“ konnten die Delegationsmitglieder in der Holte School, einer gemischten Sekundar- und Gemeinschaftsschule in einem durchaus prekären Stadtteil Birminghams, besuchen und dort einen Einblick in die pädagogische Arbeit mit dem „positive peace concept“ (nach Leighton et al.) gewinnen.
Einen intensiven Blick bekam die Delegation sowohl inhaltlich-strukturell als auch praktisch auf die Umsetzung des schuleigenen Konzeptes von „personal development“. Eine feste Stundenverankerung und schulstufenspezifische Ausgestaltung machte eindrücklich klar, dass Lebensbewältigung und Zukunftsfähigkeit der Schüler*innen nicht allein durch Wissensvermittlung abgedeckt werden können.
Gerahmt wurden die Schulhospitationen durch bedeutsame Vorträge und Workshops. Exemplarisch zu nennen sind Prof. Imran Awan der Birmingham City University mit einem Blick auf „Countering Extremism and tackling conspiracies“, Jennifer Moses (NASUWT) zur Thematik „Equalities and the UK Education System“ und ein „Overview of Far-right populism in the UK“ von Dr. Joe Mulhall von der antifaschistischen Organisation ‚HOPE Not Hate‘ (hopenothate.org.uk/).
Das vom Gewerkschaftsdachverband TUC erarbeitete Programm „Tackling the Far Right“, welches erst seit 2024 als Bildungsangebot für Betriebsräte und Einzelgewerkschaften zur Verfügung steht, konnte die nationale und internationale Problematik für Gewerkschaften sehr gut verdeutlichen und beinhaltete konkrete Handlungsmöglichkeiten für die ortsspezifische Gewerkschafts- und Bildungsarbeit.
Das Ziel des gewerkschaftlichen Dialogs bestand nicht darin, die Verschiedenheiten der jeweiligen Bildungskontexte in Großbritannien und Sachsen festzustellen. Unterschiedliche Ansätze zu der Absicherung von Lernenden, der Behandlung von Kontroversen oder der Aufteilung der Verantwortungen zwischen Pädagog*innen, Schule und Behörde sind selbstverständlich. Erreicht wurde jedoch die Explizierung von Einflussmöglichkeiten als auch der Handlungseinschränkungen der Pädagog*innen im Umgang mit rechtspopulistischen und menschenfeindlichen Vorkommnissen in Bildungseinrichtungen.
Auffällig war das gemeinsame Dilemma: Trotz würdiger und ausgezeichneter Eigeninitiative einzelner Pädagog*innen und Schulen, fehlt eine umfangreiche Strategie zur Bildung der Resilienz gegen Rechts, sowie zur Entwicklung der Legitimität und Dauerhaftigkeit der demokratischen Grundrechte und der anti-rassistischen und anti-diskriminierenden Kräfte in der Bildung.
Die Kenntnisse und Erfahrungen dieses internationalen Gewerkschaftsdialogs fließen abschließend in eine vom Kulturbüro Sachsen erstellte Handreichung ein, die als Bildungs- und Handlungsinstrument für Gewerkschafts-mitglieder und Praxisakteur*innen dienen soll. Darüber hinaus soll die Expertise als strategischer Handlungsauftakt fungieren: Demokratisches Engagement und Miteinander muss gestärkt werden, damit Allianzen in der Gemeinschaft, mit Eltern und der Zivilgesellschaft besser funktionieren. Die Allianzbildung ist eine Kernaufgabe der Gewerkschaftsarbeit. Mit Unterstützung der Gewerkschaften können Pädagog*innen sich durch verbindliche Mitbestimmung in der Schule oder auf Landesebene für Regelungen und Aufsicht einsetzen.
Nicht zuletzt zeigte das Projekt der GEW und NASUWT ganz deutlich die Synergien der pädagogischen und gewerkschaftlichen Arbeit, um nach einer positiven, selbstwirksamen und solidarischen Gesellschaft und Bildungskultur zu streben, in der junge Menschen ohne Hass oder Vorurteile lernen und leben können.
Annett Steinmann, James Hoctor
Mitglieder der Delegation