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Bildungspolitik

Bildungsgerechtigkeit in Sachsen.

Fragen und Antworten zum IQB-Bildungstrend 2021

Worum geht es in der Untersuchung?

In der IQB-Bildungstrendstudie 2021 wurde durch Stichprobentestungen untersucht, welche Kompetenzniveaus die Gesamtpopulation der Schüler*innen in der Klasse 4 in Bezug auf die KMK-Bildungsstandards erreichen. Getestet wurde in den Fächern Deutsch und Mathematik. Da diese Studie nach 2011 und 2016 nun zum dritten Mal durchgeführt wurde, können nicht nur die Unterschiede zwischen den Ländern ausgewertet werden, sondern auch eine Entwicklung der Trends in den einzelnen Ländern und die bundesweite Entwicklung bezüglich der erreichten Kompetenzen der Schüler*innen. Analysiert wurden unter anderem aber auch Ungleichheiten in Bezug auf die soziale Herkunft und den Zuwanderungshintergrund der Kinder.

 

Was ist das IQB und in welchem Auftrag arbeitet es?

Das Berliner Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungs­­wesen (IQB) untersucht im Auf­trag der Kultusministerkonferenz (KMK) regelmäßig die Leistungen von Schüler*innen in der Klassenstufe 4 und in der Klassenstufe 9. Gegründet wurde das IQB 2004 in Reaktion auf das schlechte Abschneiden der Bundesrepublik in der PISA-Studie. Das IQB ist die gemeinsame wissenschaftliche Einrichtung der Länder. Neben der Durchführung des IQB-Bildungstrends ist der Hauptauftrag des IQB, für die seit 2003/2004 geltenden länderübergreifenden Bildungsstandards passende Testaufgaben und Kompetenzstufenmodelle bereitzustellen. Seit 2013/2014 koordiniert das IQB auch den Pool an Abi­turprüfungsaufgaben auf Grundlage der Bildungsstandards der KMK für das Abitur.

 

Wie lassen sich die wichtigsten Ergebnisse bundesweit und für Sachsen zusammenfassen?

Im Ländervergleich der erreichten Kompetenzniveaus konnten sich wieder Bayern und Sachsen in der Spitzengruppe behaupten. Im Bundesdurchschnitt erreichten im Vergleich zu den Erhebungen in den Jahren 2011 und 2016 allerdings deutlich weniger Schüler*innen der Klassenstufe 4 die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz in den Fächern Deutsch und Mathematik. In fast allen Bundesländern ist gegenüber 2016 der Anteil der Kinder gestiegen, die die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik verfehlen. Der Regelstandard in den untersuchten Kompetenzbereichen ist im Vergleich zu 2016 um 8 bis 10 Prozent gesunken. Und durchschnittlich 6 bis 8 Prozent mehr Kinder verfehlten auch den Mindeststandard. Der Rückgang an Kompetenzen kann umgerechnet werden in Schuljahre. Bundesweit ist im Zuhören ein halbes Schuljahr abhandengekommen, im Lesen ein Drittel, in Orthografie ein Viertel und in Mathematik etwas mehr als ein Viertel.

Besonders betroffen von den Kompetenzverlusten sind Kinder mit einem Zuwanderungshintergrund sowie Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Ein Zusammenhang mit dem Distanzlernen während der coronabedingten Schulschließungen kann dabei nicht ausgeschlossen werden. Gut ablesen lässt sich die Abhängigkeit der Ergebnisse von den sozialen Bedingungen der Schüler*innen an der großen Aufspreizung der erreichten Kompetenzniveaus, wenn Bundesländern mit einen hohen Anteil von (neu) zugewanderten Familien und Bundesländern mit einem niedrigen Anteil verglichen werden. Sachsen und Bremen können hier als gegensätzliche Pole im Ländervergleich gelten.

Mit Blick auf die Trends sorgte dagegen für Überraschung, dass immerhin drei Bundesländer sich gegen den allgemeinen Trend des Absinkens des Kompetenzniveaus stemmen konnten. Das sind Rheinland-Pfalz, Hamburg und mit besonders deutlichen Zahlen Bremen und dies, obwohl in Bremen im Bundesvergleich die Zunahme der geflüchteten und neu zugewanderten Kinder in den letzten Jahren am größten war.

In Zahlen bedeutet dies, dass in Sachsen aktuell nur 3,9 Prozent der Grundschüler:innen nicht in Sachsen geboren worden sind, dagegen in Bremen 18,8 Prozent (= 1. Generation). Wird geschaut, ob auch die Eltern nicht in der Bundesrepublik geboren worden sind (= 2. Generation), haben in Bremen 58,3 Prozent der Kinder und in Sachsen 12,2 Prozent der Kinder einen Zuwanderungshintergrund (1.+ 2. Generation). Während sich in Bremen beispielsweise die Leistungen im Lesen weder bei Kindern mit, noch bei Kindern ohne Zuwanderungshintergrund signifikant verschlechterte, sackte in Sachsen ausschließlich die Leistung der Kinder mit Zuwanderungshintergrund in den letzten Jahren signifikant um 62 Punkte ab, nämlich von 480 im Jahr 2016 auf nun 418 Punkte. Kinder ohne einen Zuwanderungshintergrund erreichten 504 Punkte (514 im Jahr 2016).

Wie sehen die aktuellen Landesdurchschnitte in Bezug auf die erreichten Kompetenzniveaus aus?

Die Diagramme auf der rechten Seite veranschaulichen diese Zahlen und Sachverhalte.


Was wurde nicht untersucht bzw. nicht ausgewertet?

Enttäuscht werden alle von der IQB-Studie sein, die sich aus der Studie eindeutige Schlussfolgerungen darüber erhofften, in welchem Bundesland an den Grundschulen der beste Unterricht stattfindet oder das Schulsystem am besten funktioniert. Untersucht hätte dafür werden müssen, wie die Kompetenzniveaus der Kinder vor der Einschulung gewesen sind, um zu sehen, welche Förderung und Unterstützung die Kinder bereits im Elternhaus oder in der Kita hatten. Dann wäre tatsächlich eine Messung der Auswirkungen des Unterrichtes möglich gewesen. Eine solche Untersuchung und auch eine Analyse der Besuchszeiten in der Kita wurde nicht vorgenommen. 

Untersucht wurden auch nicht der Zusammenhang der erreichten Kompetenzniveaus mit den Klassengrößen, mit den ergänzenden länderspezifischen Sprach­förderangeboten, mit dem Vorhandensein von multiprofessionellen Teams aus Schulpsycholog*innen, Sozialpädagog*innen und Unterrichtsassistent*innen an den Schulen.
Untersucht werden sollte dagegen die technische Ausstattung der für die Studie ausgelosten Schulen.  Allerdings wurde hier auf Rückmeldungen über Fragebögen für die entsprechenden Schulleitungen und Lehrkräfte gesetzt. Sachsen hatte die Beantwortung dieser Fragebögen vollkommen freigestellt. Dies hat dazu geführt, dass über Sachsen als einziges Bundesland keine Aussagen zur technischen Ausstattung getroffen werden konnten, da Sachsen hier mit unter 60 % eine zu niedrige Rückmeldequote hatte. Über die Schulleitungs- und Lehrkräftefragebögen wurde zwar die Qualifikation der Lehrkräfte erhoben, die in den getesteten Klassen unterrichtet haben. Allerdings haben die Autor*innen aus Zeitgründen eine Auswertung bisher nicht vorgenommen.

 

Welche Reaktionen aus der Politik und Wissenschaft gab es auf den IQB-Bildungstrend?

Anja Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): „Die Grundschule nimmt prinzipiell alle Kinder auf und hat es – mehr als andere Schulen – mit großen sozialen Unterschieden zwischen den Familien und einer großen Vielfalt der Kinder zu tun. Sie hat die Aufgabe, alle Kinder in der Entwicklung ihrer Potenziale und in ihren individuellen Entwicklungsbedürfnissen zu fördern. […] Auch muss klar sein, dass gute Bildung und gute Arbeit zwei Seiten einer Medaille seien. Nötig seien eine niedrigere Unterrichtsverpflichtung, eine deutlich bessere personelle Ausstattung mit Lehrkräften und multiprofessionellen Teams.“

Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache: „Für das fachliche Lernen und den schulischen Erfolg – auch das verdeutlichen die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends – ist die sprachliche Bildung entscheidend. Denn nur wer Lesen, Schreiben und Zuhören kann, ist in der Lage, Inhalte zu verstehen und zu lernen. [...] Hier können bereits existierende Initiativen […] hilfreich sein, aber es lassen sich auch zukünftige Vorhaben, wie das Startchancen-Programm, einbeziehen. Zentrale Aufgabe der nächsten Zeit wird daher sein, zu schauen, wie diese Programme sinnvoll aufeinander bezogen werden können.“

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-­Watzinger (FDP): „Mit dem Startchancen-Programm wollen wir diesen großen Hebel ansetzen. Ziel sind bis zu 4.000 Schulen mit Modellcharakter, die dort unterstützen, wo die Herausforderungen am größten sind. Damit wollen wir nicht weniger als eine systemische Veränderung im Bildungswesen erreichen. Denn die Kompetenzverluste zeigen sich zwar im Schnitt bei allen Kindern. Allerdings sind Kinder mit Zuwanderungshintergrund und in sozial herausfordernder Lage besonders stark betroffen.“

Kultusminister Christian Piwarz (CDU): „Dieses Ergebnis ist vor allem der ausgezeichneten Arbeit der Grundschullehrerinnen und -lehrer zu verdanken. Sie leisten in schwierigen Zeiten Außergewöhnliches. […] Die Schülerschaft wird immer heterogener. Umso wichtiger ist es, dass wir endlich damit aufhören, Schulen zum Reparaturbetrieb der Gesellschaft zu erklären. Schulen können nicht alle Fehlentwicklungen in der Gesellschaft ausgleichen“.

 

Quellen:

www.iqb.hu-berlin.de/bt


www.bildung.sachsen.de/blog


www.gew.de/bildungsqualitaet


deutsches-schulportal.de/bildungswesen/iqb-bildungstrend-die-wichtigsten-ergebnisse

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Juri Haas
Leitungsteam Referat Antidiskriminierung, Migration und Internationales Adresse (Lehrer an der 135. Grundschule Dresden & Mitglied im Lehrer-Hauptpersonalrat)
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