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Recht

Aufsichtspflicht bei Schulfahrten

In dieser Zeit des Jahres stehen wieder vermehrt Schulfahrten und Ausflüge an. Denn Schule findet nicht immer nur in den Klassenräumen statt.

Auch wenn Schüler*innen und Lehrkräfte grundsätzlich zur Teilnahme verpflichtet sind, nehmen doch die meisten Schüler*innen gern an diesen Ausflügen teil. Auch für viele Lehrkräfte ist es eine willkommene Abwechselung. Durch das kürzlich ergangene, aber nicht rechtskräftige Urteil zum tragischen Tod einer 13jährigen diabeteserkrankten Schülerin auf einer Schulfahrt sind nun vereinzelt Unsicherheiten entstanden, welche wir mit diesem Artikel versuchen aufzugreifen. Wie gestaltet sich also die Aufsichtspflicht, wenn Umgebung und Veranstaltungen ganz andere sind, als üblich?

Grundsätzliches zur Aufsichtspflicht

Was ist Aufsichtspflicht? Es gibt im Gesetz keine Definition, was Aufsichtspflicht konkret bedeutet. Dies hat auch einen Grund: Es ist schlicht nicht möglich eine allgemeingültige Definition abzubilden. Gesetzlich sind nur die Rechtsfolgen bei der Verletzung der Aufsichtspflicht geregelt, nicht aber Inhalt und Umfang. Es handelt sich dabei also um einen unbestimmten Rechtsbegriff. 
Denn es ist so, dass eine Abwägung zwischen größtmöglichem Freiraum und umfangreichen Schutz keine leichte Entscheidung ist. Alle Lehrer*innen und Erzieher*innen kennen ihn: den Spagat zwischen dem Fördern der Selbstwirksamkeit und der Bevormundung zum Schutz der Kinder oder Jugendlichen. Dabei sind sich wohl alle einig, dass ein völliger Ausschluss von Gefahren weder möglich noch sinnvoll ist. Denn auch Kinder haben ein Recht darauf, den Umgang mit berechenbaren Risiken zu erlernen. 
Die Aufsichtspflicht soll zum einen verhindern, dass Schüler*innen Schaden erleiden und zum anderen, dass sie Schaden verursachen.

Den Erziehungsberechtigten steht in der Regel die sogenannte Personensorge zu. Diese umfasst das Recht und die Pflicht der Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung des Kindes (§ 1631 BGB). Die Pflicht zur Beaufsichtigung kann durch Betreuungsvertrag für die Dauer und den Umfang der Betreuung auf den Träger übertragen. Der Träger überträgt dann seinerseits durch den Arbeitsvertrag diese Pflicht an seine pädagogischen Fachkräfte weiter, andernfalls könnte der staatliche Bildungsauftrag nicht erfüllt werden.

Für Sachsen finden sich die maßgeblichen rechtlichen Regelungen im Jugendschutzgesetz, im sächsischen Schulgesetz und in der VwV Schulfahrten.

Umfang der Aufsichtspflicht

Wie genau die Aufsicht auszusehen hat, hängt von vielerlei Faktoren ab. Der Umfang der Aufsichtspflicht richtet sich beispielsweise nach dem Alter und Entwicklungsstand der Kinder. Als weiterer Faktor kommen bei Schulfahrten noch eine möglicherweise fremde Umgebung und andere Gruppendynamik hinzu. Sportliche Aktivitäten erfordern mehr Aufsicht als ungefährlichere Unternehmungen. Besondere Gefahrenlagen erfordern auch besondere Aufsicht. Daher kann bei den entsprechenden Anzeichen auch ein nächtliches Eingreifen erforderlich sein. 
Die Aufsichtspflicht besteht grundsätzlich während der gesamten Klassenfahrt. Ein Beobachten der Schüler*innen rund um die Uhr und Kontrolle auf Schritt und Tritt wird aber auch von der Rechtsprechung nicht verlangt. Da es keiner Lehrkraft möglich ist überall gleichzeitig anwesend zu sein, sollte die Aufsicht präventiv, aktiv und kontinuierlich geführt werden. Durch Belehrungen und klare Regeln im Vorhinein und vorausschauendes Handeln können viele gefährliche Situationen vermieden werden. Das Einhalten der Regeln sollte überprüft werden. Entstehen dann doch gefährliche Situationen, muss die Lehrkraft aktiv eingreifen. Die Aufsicht muss also aus präventiven Maßnahmen der Gefahrenabwehr und einer effektiven Hilfeleistung bestehen, sollte tatsächlich ein Schaden eintreten.

Besonderer Faktor bei Bemessung des Umfangs der Aufsichtspflicht sind zudem eventuell vorhandene Krankheiten oder Behinderungen. Diese sollten nun in Konsequenz zu dem eingangs erwähnten Urteil vorher schriftlich abgefragt werden. Bei Ausflügen einer Förderschule bemisst sich der Umfang der Aufsicht zudem am Entwicklungsstand des Kindes. 
Auch volljährige Schüler*innen sind grundsätzlich aufsichtspflichtig. Der Umfang ist jedoch geringer als bei minderjährigen Schüler*innen.

Ausschluss eine*r Schüler*in

Schüler*innen können von Klassenfahrten nach Punkt 14 der VwV Schulfahrten § 32 und § 39 SächsSchulG ausgeschlossen werden, wenn wiederholtes oder schweres Fehlverhalten vorliegt und keine mildere Maßnahme erfolgversprechend ist oder bereits durchgeführt wurde. Der Ausschluss ist im Vorhinein oder auch während der Schulfahrt möglich. Grundsätzlich sind die Eltern vorher anzuhören und die Schulleitung zu informieren.

Folgen einer Aufsichtspflichtverletzung

Wenn die Aufsichtspflicht schuldhaft verletzt wurde, kommen zivilrechtliche, strafrechtliche und arbeitsrechtliche Folgen in Betracht.
Für Lehrkräfte im Beamtenverhältnis stellt die Aufsichtspflichtverletzung eine Amtspflichtverletzung dar. Die schuldhafte Verletzung dieser Dienstpflicht führt dazu, dass der Freistaat Sachsen Anspruchsgegner von Schadensersatzansprüchen wird. Das bedeutet, dass beispielsweise Ansprüche auf Schmerzensgeld (zunächst) gegen das Land zu richten sind. Grundsätzlich können solche Ansprüche nicht gegen die Lehrkraft persönlich geltend gemacht werden. Gleiches gilt nach der Rechtsprechung auch für Angestellte, die in Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft tätig sind.
Ob eine Lehrkraft ausnahmsweise doch persönlich haftet, hängt vom Grad des Verschuldens ab. Eine persönliche Haftung kommt daher nur in Betracht, wenn die Lehrkraft grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. Dabei kommt es insbesondere auf die Abgrenzung von einfacher und grober Fahrlässigkeit an, welche sich im Einzelfall als schwierig darstellen kann. Über solche Streitfragen entscheiden im Zweifel die Gerichte. Im Vergleich zur einfachen Fahrlässigkeit muss für die grobe Fahrlässigkeit die erforderliche Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt worden sein. Es müsste übersehen worden sein, was für jeden Mensch einleuchtend ist. 
Das Ausführen der objektiv erforderlichen Aufsicht muss den Lehrkräften auch zumutbar sein. Im Übrigen kommt eine Haftung auf Schadensersatz auch nur dann in Betracht, wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtspflicht entstanden wäre.
Wenn es tatsächlich zu einem Unfall kommt, dann greift außerdem in der Regel die gesetzliche Unfallkasse. Es gelten die gleichen Regelungen wie für Unfälle auf dem Schulhof. Daher halten sich die finanziellen Folgen zumeist in Grenzen. Allerdings sollten die Schulfahrten und Exkursionen im Vorhinein beantragt und genehmigt werden, um den vollen Versicherungsschutz für alle Teilnehmenden zu erlangen. Die gesetzliche Unfallkasse haftet nur bei Aktivitäten im Zusammenhang mit der Schule.
Die behandelnden Ärzt*innen müssen darüber informiert werden, dass es sich um einen Unfall während einer schulischen Veranstaltung gehandelt hat, damit die Kosten direkt gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung abgerechnet werden.

Strafrechtlich kommen neben Straftaten wie z. B. einer Körperverletzung eine Verantwortlichkeit wegen einer Begehung durch Unterlassen in Betracht, da Lehrkräfte durch die gesetzliche Aufsichtspflicht eine sogenannte Garantenstellung innehaben.

Auch wenn kein Schaden eingetreten ist und es nicht zu strafrechtlichen Konsequenzen kam, kann der Arbeitgeber arbeitsrechtliche oder disziplinarrechtliche Sanktionen auferlegen. Dies ist aber auch nur möglich, wenn vorwerfbares Verhalten vorliegt.

Was sagt die Rechtsprechung?

Ein Blick in die Rechtsprechung zeigt deutlich, dass es keine allgemeingültige Regel gibt, wie die Aufsichtsführung konkret auszusehen hat. In manchen Konstellationen ist es ausreichend, Verhaltensanweisungen zu geben. Dies gilt vor allem dann, wenn mit schädigendem Verhalten nicht gerechnet werden muss und es keine entgegenstehenden Anzeichen gab (LG Itzehoe, SPE aF. S. VI F V/107). Bei einer Skifahrt ist grundsätzlich mehr Aufsicht von Nöten. Gleiches gilt für andere gefährliche Aktivitäten oder unbekannte Orte. In diesen Konstellationen ist eine einfache Ermahnung regelmäßig nicht ausreichend. Zu den aufzustellenden Regeln bei Übernachtungen gehören auch ein Alkoholverbot und das Verbot, die Unterkunft nachts zu verlassen. Diese Regeln müssen ausdrücklich formuliert und deren Einhaltung kontrolliert werden.

Für die nächste Schulfahrt

Achten Sie darauf, dass sie im notwendigen Rahmen abgesichert sind. Zum Beispiel sollten die Erziehungsberechtigten der Fahrt und dem geplanten Programm zustimmen. Genaueres ist in Punkt 4 der VwV Schulfahrten geregelt. Möglicherweise müssen noch weitere Erklärungen eingeholt werden. Auch wenn das eingangs erwähnte Urteil nicht rechtskräftig ist und Berufung eingelegt wurde, empfehlen wir dringend vor einer bevorstehenden Schulfahrt mögliche Erkrankungen aller Schüler*innen schriftlich abzufragen.

Gemäß 6.2. der VwV Schulfahrten ist bei mehrtägigen Schulfahrten die Teilnahme einer Begleitperson erforderlich. Zudem müssen ab Jahrgangsstufe sieben Aufsichtspersonen beiderlei Geschlechts teilnehmen. Fahrten ins Ausland bedürfen einer gesonderten Anzeige gegenüber dem Landesschulamt.

Kommt es zu Unfällen, müssen diese unverzüglich im Schulsekretariat gemeldet und ein Unfallbericht angefertigt werden. Jede Leistung von Erste Hilfe muss für etwaige Schadenser­satz­ansprüche dokumentiert werden. Bei Schulfahrten muss eine Erste-Hilfe­Tasche nach Din 13160 mitgeführt werden und Kenntnisse im Umgang mit Erster Hilfe vorhanden sein. Beim Baden oder Befahren von Gewässern müssen Rettungsschwimmer*innen Stufe Silber (nicht älter als 2 Jahre) anwesend sein.
Schüler*innen sollten auf der Reise einen Nachweis der Krankenversicherung bei sich tragen, optional auch ihren Impfausweis. Die Eltern sollten auf notwendige Versicherungen hingewiesen werden.
 

Kontakt
Henriette Schuberth
Juristin
Adresse Nonnenstr. 58
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